Selbst die größten Verbrecher werden einmal alt. Das muss auch Antonio (Xan Cejudo) feststellen, einer der bekanntesten und berüchtigtsten Drogendealer. Anstatt weiterhin im Knast zu sitzen, soll er seinen Lebensabend in einem Pflegeheim verbringen. Das ist an und für sich nicht verkehrt, schließlich kümmern sich die Leute um einen, wollen dass es dir gut geht. Bis auf einen: Mario (Luis Tosar). An und für sich ist der Pfleger recht freundlich und hilfsbereit. Allerdings verbindet ihn eine Vorgeschichte mit Antonio, ist doch sein eigener Bruder an seiner Drogensucht gestorben. Und dieses Leid gilt es nun, dem bettlägerigen Verbrecher heimzuzahlen …
Eine Zeit lang galt Spanien als die große europäische Hoffnung für das Genrekino. Ob nun Horrorfilme oder Thriller, viele ebenso sehenswerte wie düstere Filme kamen da aus dem Süden zu uns. Zuletzt ist davon leider nicht mehr viel übrig geblieben, kaum ein Titel wird noch bei uns veröffentlicht. Immerhin, auf Netflix ist Verlass. Auch wenn die Qualität mitunter etwas schwankte, Werke wie Animas oder Parallelwelten brachten genug Eigenes mit sich, um in dem ansonsten recht gedrängten Feld auf sich aufmerksam zu machen. Die Zuschauerzahlen dürften wohl auch gestimmt haben, schließlich bringt der Streamingdienst in regelmäßigen Abständen Nachschub.
Bekannte Meister des Schreckens
Auge um Auge sollte es da eigentlich ziemlich einfach haben, ein geneigtes Publikum zu einem Reinschauen zu bewegen. Denn hier spricht nicht nur die Thriller-Schublade für launige Abgründe, sondern auch die Menschen vor und hinter der Kamera. So führte Paco Plaza Regie, der vielen aufgrund seiner Horrorwerke [REC] und Verónica – Spiel mit dem Teufel geläufig sein sollte. Am Drehbuch war Jorge Guerricaechevarría beteiligt, der einige beliebte Genre-Beiträge verfasst hat. Hauptdarsteller wiederum ist Luis Tosar, der in eigenen düsteren Fanfavoriten zu sehen war (Sleep Tight, Shrew’s Nest) und sicherlich zu den bekanntesten Exporten Spaniens gehört, zumindest im Darstellerbereich.
Tosar ist dann auch der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte, glücklicherweise, denn kaum einer verkörpert derart meisterhaft stille Abgründe wie der Spanier. Eine Pflegekraft, die nur so tut, als hätte sie das Wohl ihrer Patienten vor Augen, während sie gleichzeitig eine eigene Agenda verfolgt? Ein bettlägeriger Patient, der seinem Folterer hilflos ausgeliefert ist, von Menschen umgeben, ohne aber in der Lage, sich anderen mitzuteilen? Das ist natürlich eine überaus perfide Situation, mit der Auge um Auge da an den Start geht. Und eine spannende, schließlich weiß man als Zuschauer nicht, wie weit dieser Gutmensch am Ende wirklich gehen wird, wie viel von dem, was er ankündigt, sich bewahrheiten wird, wie viel psychologische Folter bleibt.
Viel Zeit, ein bisschen Action
Wobei Auge um Auge dabei nie zu einem reinen Torture-Horror verkommt. Wer sich angesichts der Beschreibung ein neues Saw erhofft, der ist an der falschen Adresse. Selbst Misery, das eine entfernt verwandte Situation beschreibt, ging da deutlich härter zur Sache. Tatsächlich ist der spanische Film sogar ausgesprochen ruhig, lässt sich viel Zeit damit, die Daumenschrauben anzuziehen. Das liegt auch daran, dass die Geschichte immer wieder zu Parallelhandlungen springt, welche die Söhne Antonios und allgemeine Drogengeschäfte betreffen. Schließlich muss das Leben auf den Straßen ja weitergehen, während der Boss gefoltert wird.
Diese Mehrteilung ist etwas zwiespältig. Einerseits sorgt das für Auflockerung, verhindert auf diese Weise, dass der Hauptplot zu sehr auf der Stelle tritt. Andererseits, so richtig interessant ist der Rest nicht, obwohl dort sogar richtige Actionszenen zum Einsatz kommen. Da machte es sich das Drehbuchduo doch recht einfach. Dennoch, wer sich nicht an den Störfeuern aufhängt oder dem ansonsten recht gemächlichen Tempo, darf sich hier auf einen kleinen Geheimtipp freuen, der noch einmal daran erinnert, dass da im sonnigen Süden viel Finsternis wartet, die es sich zu erkunden lohnt.
OT: „Quien a hierro mata“
IT: „Eye for an Eye“
Land: Spanien
Jahr: 2019
Regie: Paco Plaza
Drehbuch: Juan Galiñanes, Jorge Guerricaechevarría
Musik: Maika Makovski
Kamera: Pablo Rosso
Besetzung: Luis Tosar, Xan Cejudo, Ismael Martínez, Enric Auquer, María Vázquez
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