Angst ist eine natürliche Eigenschaft von Lebewesen, um sich vor Gefahrensituationen zu schützen. Angst kann aber auch Spaß machen, in geringen Dosen und in einem geordneten Umfeld, weshalb sich das Horror-Genre einer unveränderten Beliebtheit erfreut. Schließlich ist deren Ziel ja eben, dass das Publikum sich daheim schön gruselt. Oder man jagt anderen Angst ein, was ebenfalls der eigenen Unterhaltung dienen kann. Das weiß natürlich auch Moe Bennani, Entwickler der neuen Netflix-Show Bis zum Morgengrauen. In der französischen Produktion treffen jede Folge drei französische Komiker und Komikerinnen zusammen, in einem unheimlichen Ambiente, und versuchen sich gegenseitig etwa durch Streiche das Fürchten zu lehren.
Zum Totlachen?
Das erinnert an das letztjährige Krasse Pranks. Damals wurden vor versteckter Kamera ahnungslose Opfer in schreckliche, manchmal bizarre Situationen gelockt, mit der Aussicht auf einen Aushilfsjob. Das sorgte im Vorfeld für jede Menge Kontroversen, war am Ende aber halb so schlimm. Dafür waren die einzelnen Streiche zu harmlos bzw. zu übertrieben. Bis zum Morgengrauen geht da schon mit etwas anderen Kalibern zur Sache. Eine Begegnung mit Wölfen oder Ratten? Lebendig begraben werden? Das sind Erfahrungen, die man nicht unbedingt machen muss, erinnern eher an die jährlichen Mutproben vom Dschungelcamp.
Der wesentliche Unterschied ist nämlich, dass die jeweiligen Personen genau wissen, Teil einer Show zu sein. Und so nachvollziehbar manche Reaktionen sind, so übertrieben sind sie an anderer Stelle. Das Trio besteht eben nicht aus regulären Opfern, sondern aus Komikern. Und so ziemlich jede Szene zeigt, wie die von Folge zu Folge wechselnden Teilnehmer und Teilnehmerinnen auch wirklich eine Show daraus machen wollen. Selbst die banalsten Situationen werden dann zum Ende der Welt erklärt, Bis zum Morgengrauen besteht nahezu ausschließlich aus einem Wechsel von hysterischem Gekreische, schadenfrohem Gelächter und gegenseitigen Beschimpfungen.
Angriff auf die Atmosphäre
Das geht nicht nur schnell auf die Nerven. Es macht auch die Atmosphäre ziemlich kaputt. Eigentlich punktet Bis zum Morgengrauen nämlich mit äußerst stimmungsvollen Locations, die bewusst mit Horrorklischees spielen. Mal sind wir in einem verlassenen Krankenhaus unterwegs, dann wieder in einer Burg, auch der Besuch der Gruft darf im Laufe der acht Folgen nicht fehlen. Zudem gab man sich Mühe, die Orte noch mit ein paar Gruselgeschichten aufzuwerten, wie man sie auch in echten Genrevertretern klassischer Machart vermuten könnte. Da geht es um Geister oder Schätze, die gesucht werden müssen, also alles, was man von einer solchen Situation erwarten kann.
Dass die Geschichten oft recht konventionell sind, ist schade, ließe sich aber verschmerzen. Schlimmer ist die angesprochene vermurkste Atmosphäre. Selbst die grausigsten Orte bekommen keine Gelegenheit, mal ein bisschen Wirkung zu zeigen, da alles immer gleich völlig überdreht sein muss und zudem schnell vorbei. Hinzu kommt, dass der Gebrauch der Nachtkameras – schließlich spielt Bis zum Morgengrauen dem Titel entsprechend nur nachts – manchmal kaum erkennen lässt, was da eigentlich geschieht. In einem fiktiven Werk, eben einem Spielfilm oder einer Serie, lässt sich auf diese Weise Spannung erzeugen, nicht aber in einer Show. Aufgrund des betriebenen Aufwands können Fans von Streiche-Produktionen mal reinschauen. Durch den Fokus auf Comedy bleibt aber kaum etwas von den Stärken übrig, die Reality-TV-Produktion schwankt zwischen ärgerlich, anstrengend und langweilig.
OT: „Jusq’a l’aube“
IT: „Until Dawn“
Land: Frankreich
Jahr: 2020
Idee: Moe Bennani
Musik: Sulee B. Wax, Wendy Milton
Kamera: François Décréau
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