Noch nie war es so einfach, das eigene Land zu verlassen und die Welt zu sehen. Gleichzeitig war es aber auch noch nie so schwierig, eine neue Heimat zu finden. Das zumindest ist die Erkenntnis der Komödie Vom Gießen des Zitronenbaums, die beim Filmfest München 2019 Deutschlandpremiere hatte und ab 16. Januar 2020 auch regulär in unseren Kinos läuft. In dem Film spielt Regisseur und Drehbuchautor Elia Suleiman eine fiktive Version seiner selbst, die Palästina verlässt, nur um dann festzustellen, dass der Rest der Welt ebenso verrückt ist. Wir haben den Filmemacher zu seinem neuesten Werk befragt, aber auch zur Kunst
Seit Ihrem letzten Spielfilm The Time That Remains ist doch recht viel Zeit vergangen. Was haben Sie in der Zwischenzeit so gemacht?
Eigentlich war es gar nicht so viel länger als sonst. Die Leute vergessen immer wieder: 2011 habe ich einen Kurzfilm für die Anthologie 7 Tage in Havanna gedreht. Danach habe ich dann mit meinem neuen Film angefangen. Ein bisschen länger hat das schon gedauert, aber eben nicht so viel.
Wie kamen Sie denn auf die Idee für Vom Gießen des Zitronenbaums?
Eigentlich wollte ich schon nach meinem allerersten Film 1996 einen Film drehen, der in mehreren Ländern spielt. Aber die Idee dazu war damals noch nicht wirklich ausgereift. Also drehte ich dann doch erst meinen zweiten Film, danach meinen dritten. Und in der Zwischenzeit war mir bewusst geworden, wie sehr sich die Welt langsam veränderte, hin auch zu einer globalen Gewalt. Also nahm ich meine Idee von damals und kombinierte sie mit etwas, das gerade direkt vor unseren Augen geschieht, während wir schwierigen Zeiten entgegenblicken.
Ihr Alter Ego zieht ja auch raus in die Welt und stellt dann fest, dass es woanders genauso verrückt zugeht wie daheim. Ist das jetzt gut oder schlecht?
Wie könnte das gut sein?
Manche könnten es als einen Trost empfinden, wenn sie sehen, dass es woanders genauso mies ist wie bei dir …
Das ist lustig. Aber tatsächlich ist die Situation ja deutlich komplexer. Es ist ja nicht nur, dass die Figur woanders all die Zeichen von Gewalt sieht, auch bei der Polizei oder Flughafensicherheit. Normalerweise wenn du nach einer Alternative für dein Zuhause suchst, dann achtest du auf die Kultur, die Landschaften, all das, was anders und besonders ist. Aber durch die Globalisierung sehen die Orte nach und nach alle gleich aus. Die anderen Orte, die die Figur besucht, sind also alle gleich verrückt und sehen gleich aus. Dieses Gefühl von Besonderheit, wenn du an einen fremden Ort besuchst, das geht verloren und führt eben auch dazu, dass die Figur keine alternative Heimat findet.
Wenn die ganze Welt gleich ist, macht es das einfacher oder schwieriger, ein Zuhause zu finden?
Ganz klar schwieriger. Du fühlst dich fremder, wenn jeder Ort so ist wie der, an dem du vorher warst. Es ist auch einsamer, wenn alles gleich ist. Normalerweise bedeutet ein Zuhause, dass irgendetwas an diesem Ort ganz besonders ist und er eine eigene Identität hat. Ich habe in den 80ern und 90ern in New York gelebt und kehre immer mal wieder dorthin zurück, um Master Classes zu halten. Und jedes Mal, wenn ich dort bin, merke ich, wie sehr Manhattan sich immer mehr angleicht. Das war ein Ort, den ich früher als meine Heimat bezeichnet hätte. Die Erfahrungen, die ich in New York und meiner Heimatstadt Nazareth gesammelt habe, das sind die Grundlagen für meine Familie. New York hat aus mir einen Filmemacher gemacht. Doch jetzt werden dort nur die Reichen immer reicher, die Wohnungen immer teurer und die einzelnen Viertel haben ihren Charakter verloren. Das ist das, was ich mit Globalisierung meine.
Das werden aber nicht alle als etwas Negatives empfinden. Es dürfte genug Leute geben, die sich darüber freuen, sich woanders nicht mehr anpassen zu müssen …
Aber ist das damit auch gut? Genau davon handelt der Film. Klar, der soll auch unterhaltsam sein, vielleicht ein bisschen poetisch. Aber er stellt eben die Frage, was das bedeutet, wenn die aktuellen Entwicklungen so weitergehen und wir diesen politischen, ökonomischen Neoliberalismus bedienen. Wir sehen ja, was um uns herum geschieht. Die großen Konzerne nutzen die Politik, um ihre Produkte aufzuzwängen, die wir dann konsumieren sollen. Und wenn die Leute dagegen demonstrieren, schlägt die Politik mit Gewalt zurück.
Aber gibt es überhaupt noch die Chance, diese Entwicklung umzukehren?
Ich fing an, alle Hoffnung zu verlieren, bis ich überall dieser neuen Generation begegnet bin. Sie scheint mir weniger ideologisch zu sein, sie sind pazifistisch, setzen sich ein. Vielleicht gelingt es ihnen ja, die Situation zu verändern? Zumindest ist das meine Hoffnung, die ich auch mit der letzten Szene in meinem Film ausdrücke.
Wie haben Sie es in der Hoffnungslosigkeit geschafft, Ihren Sinn für Humor zu behalten?
Humor und Verzweiflung gehören einfach zusammen. An besonders verzweifelten orten findest du oft die radikalsten Formen von Humor. Nazareth ist zum Beispiel ein Ghetto. Und in Ghettos entsteht einfach schwarzer Humor. Mit Humor kannst du gegen eine Situation protestieren. Wobei ich nicht glaube, dass Humor zwangsläufig ein Ergebnis der realen Welt sein muss. Ich wurde einfach in einem Haushalt groß, der zärtlich und komisch war. Wahrscheinlich bin ich also einfach stark von meiner Familie beeinflusst.
In Vom Gießen des Zitronenbaums lehnt ein Produzent Ihren Film ab, weil er nicht typisch palästinensisch ist. Er würde vermutlich sagen, dass Humor bei dem Thema nicht passt …
Das stimmt. Das ist genau das, was mir selbst damals passiert ist, als ich meinen ersten Film gedreht habe. Der wurde abgelehnt, weil er Humor enthielt. Dabei gibt es da durchaus historische Parallelen in Europa, etwa der jüdische Humor in Ghettos, der sich nie unterkriegen ließ, auch im Angesicht des eigenen Endes. Humor hilft dir dabei, das Ende noch ein wenig hinauszuzögern.
Wie würden Sie Heimat definieren?
Ein Ort, an dem du dich wohl fühlst und du ganz du selbst sein kannst.
In einer schönen Szene im Film sind Sie in einem Taxi unterwegs und der Fahrer ist total begeistert, endlich mal einen Palästinenser im wahren Leben zu treffen. Wie reagieren die Leute, wenn sie hören, dass Sie Palästinenser sind?
Ich habe diese Szene natürlich als Gag eingebaut, sie basiert aber auch tatsächlichen Erfahrungen. Verallgemeinern kannst du das natürlich nicht. Manche sehen in dir etwas Exotisches, andere solidarisieren sich mit dir und identifizieren sich mit deinem Kampf. Aber es gibt auch Leute, die gar nicht wissen, was Palästina eigentlich sein soll.
Der Originaltitel Ihres Films lautet It Must be Heaven. Glauben Sie an einen Himmel?
Nein, auf keinen Fall. Und mir ging es ja auch mehr um den Himmel, den man auf Erden findet, nicht woanders. Wobei ich natürlich auch nichts gegen einen Gott im Himmel einzuwenden hätte. Ich würde das sogar lieben.
Wenn Sie selbst einen Himmel erschaffen könnten, wie würde der aussehen?
Ein bisschen wie Griechenland (lacht). Aber im Ernst, der Himmel ist ein Ideal, das wir verfolgen, und nichts, das irgendwie greifbar wäre oder auch gemalt werden kann. Himmel ist hier nur eine Metapher für das Heimatland, das im Film gesucht wird, aber nicht gefunden werden kann.
Für das Publikum, das Ihre Filme noch nicht kennt: Warum wird darin so wenig Sprache verwendet?
Da gibt es eigentlich keinen bestimmten Grund. Du folgt zunächst einmal deiner Intuition und tust das, was du für richtig hältst. Der Film ist letztendlich ein visuelles Medium und das erste, was dir immer auffallen wird, sind die Bilder. Es gibt auch durchaus Sprache in meinen Filmen, die ist dann nur vielleicht nicht mündlich. Bilder können eine Sprache sein, ebenso Töne, sogar Stille. Film bedeutet, eine Vielzahl von Sprachen in einem zu haben. Und bei mir lief es eben intuitiv darauf hinaus, die mündliche Sprache nicht so exzessiv zu nutzen, wie es in Filmen sonst üblich ist. Viele nutzen Sprache auch allein für die Übermittlung von Informationen. Ich will Sprache aber lieber zum Zwecke der Poesie verwenden, nicht allein als Informationsmittel. Die mündliche Sprache ist mir zu konventionell und linear.
Was ist universeller verständlich, die visuelle oder die mündliche Sprache?
Auf der einen Seite sind Bilder schon universell verständlicher und auch demokratischer, weil sie den Zuschauer miteinbeziehen, anstatt ihm nur etwas aufzuzwängen. So wie Kunst auch. Du kannst Kunst auf der ganzen Welt anschauen und etwas darin für dich entdecken. Auf der anderen Seite ist die informative Sprache die, die wir aufgrund des Filmkonsums gewohnt sind. Beim Popcorn-Kino wollen sich die Menschen gar nicht selbst einbringen müssen.
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