Eigentlich führte Familie Price ein glückliches, ausgefülltes Leben. Bis zu jenem Tag, als eine fremde Frau (Hannah John-Kamen) Adam (Richard Armitage) anspricht und ihm einige seltsame Dinge über seine Frau Corinne (Dervla Kirwan) erzählt. Der will zunächst nichts davon wissen, stellt sie aber doch nach einigen Nachforschungen zur Rede. Corinne ist sichtlich erschüttert, will erst einmal ein bisschen Bedenkzeit – und ist daraufhin spurlos verschwunden. Derweil hat die ermittelnde Polizistin Johanna Griffin (Siobhan Finneran) noch ganz andere Sorgen, weil die Fremde noch viele andere Geheimnisse in Erfahrung gebracht hat und damit jede Menge Leute erpresst …
Ich weiß etwas, das du nicht weißt …
Fleißige Netflix-Schauer, zumindest solche mit einer Krimivorliebe, könnten schon einmal Bekanntschaft mit Harlan Coben gemacht haben. Etwa anderthalb Jahre ist es her, dass die von ihm geschaffene Serie Safe auf dem Streamingdienst lief, in der ein erfolgreicher Arzt seine verschwundene Tochter sucht. Nun gibt es Nachschub in Form von Ich schweige für dich. Zwar hat der amerikanische Buchautor mit der konkreten Serie nichts zu tun gehabt, dafür basiert sie auf einem von ihm geschriebenen Roman aus dem Jahr 2015. Wer die andere Serie gesehen hat, weiß aber auch so schon grob, was ihn erwartet: unbescholtene Bürger, die in finstere Machenschaften verwickelt werden, dazu jede Menge düsterer Geheimnisse.
Ich schweige für dich fackelt dann auch nicht lange. Mit der Verkündung des ersten Geheimnisses geht es los, danach werden in kurzer Folge immer mehr Leichen aus dem Keller getragen – und ein paar neue dort untergebracht. Ausgangspunkt davon ist immer diese mysteriöse, namenlose Frau, deren Absichten anfangs nicht ganz ersichtlich sind. Aber das macht ja nichts. Im Gegenteil, es trägt schön zu der mysteriösen Stimmung bei, wenn man als Zuschauer bald vor lauter Fragen kaum noch denken kann. Zumal die Serie kein größeres Bedürfnis hat, diese Fragen zu beantworten. Denn jeder Schritt für zu einer neuen Abzweigung, zu neuen Figuren, die irgendwie mit allem zusammenhängen und die wir erst einordnen müssen.
Viele Spuren, wenig Sinn
Das ist gerade zu Beginn durchaus spannend, wenn eine ganze Reihe von Parallelhandlungen eingeführt werden, die von gewöhnlicher Erpressung bis zu bizarren Funden reichen. Hinzu kommt, dass auch die jeweiligen Ermittlungen ohne große Berührungspunkte sind, die Figuren unabhängig voneinander nach Lösungen suchen oder anderweitig auf der Jagd sind. Davon wird nicht alles ein Ziel finden. Tatsächlich ist es sogar bemerkenswert, wie gleichgültig Ich schweige für dich einige Figuren fallenlässt und Nebenhandlungen im Nichts enden. Das kann man interessant finden, weil längere Zeit eben nicht klar ist, was von dem Wust von Informationen nun überhaupt relevant ist. Oder auch irritierend, weil die Serie oft nicht wirklich durchdacht wirkt.
Ohnehin, allzu sehr drüber nachdenken sollte man besser nicht. So manches, was Coben da zusammengeschrieben hat, ergibt nicht wirklich Sinn. Auch psychologisch liegt da einiges im Argen, wenn Figuren sich kaum nachvollziehbar verhalten, man sich bei den Erklärungen keine besondere Mühe gegeben hat. Manche Seltsamkeiten werden durch den Einsatz des Ensembles überspielt. Wirklich herausragend sind die Darsteller oder Darstellerinnen aber nicht, mehr als das übliche TV-Niveau für den Hausgebrauch ist nicht drin. Selbst die an und für sich emotionalen Szenen sind recht blutleer. Spaß haben kann man mit Ich schweige für dich trotzdem. Wie viel Spaß das ist, hängt von der eigenen Toleranzgrenze ab, wie unglaubwürdig eine Geschichte werden darf. Gerade zum Ende hin sollte die besser möglichst weit oben liegen, wenn die Versuche, alle Fäden zusammenzubringen, ein willkürlich zusammengeschustertes Konstrukt ergeben, völlig übertrieben ohne den dafür notwendigen Humor. Zum schnellen Bingen übers Wochenende reicht es, die Auflösung selbst ist nach dem vielversprechenden Einstieg aber eher etwas enttäuschend.
OT: „The Stranger“
Land: UK
Jahr: 2020
Regie: Daniel O’Hara, Hannah Quinn
Drehbuch: Daniel Brocklehurst, Mick Ford, Charlotte Coben, Karla Crome
Vorlage: Harlan Coben
Musik: David Buckley
Kamera: Peter Robertson, Tim Fleming
Besetzung: Richard Armitage, Siobhan Finneran, Hannah John-Kamen, Jacob Dudman, Brandon Fellows, Jennifer Saunders, Paul Kaye, Dervla Kirwan, Shaun Dooley, Kadiff Kirwan
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