Das Vorspiel
In Ina Weisses neuem Film "Das Vorspiel" verliert eine von Perfektion besessene Musiklehrerin zunehmend die Kontrolle (© Judith Kaufmann/Port au Prince Pictures)

Ina Weisse [Interview]

In ihrem neuen Film Das Vorspiel (Kinostart 23. Januar 2020) erzählt Ina Weisse die Geschichte einer Musikerin, die durch ihren eigenen Anspruch und ihren Willen, es anderen zu beweisen, sich selbst vergisst und ihre Familie dabei aufs Spiel setzt. Im Interview mit der Schauspielerin, Autorin und Regisseurin unterhalten wir uns über ihren neuen Film, die Rolle der Musik und die Arbeit mit ihren Schauspielern.

Was war Inspiration für Das Vorspiel?
Ursprünglich war er die Geschichte einer Ehe, bei der es mehr um den Ehemann ging. Als Daphne Charizani und ich das Buch weiter entwickelten, haben wir uns aber immer mehr der Frau zugewandt. Sie schien uns interessanter in ihrer Suche nach dem Absoluten, in ihrer Unerbittlichkeit, ihrer Zerrissenheit und Unsicherheit.

Sie haben mal gesagt, Sie sehen die Familie als „kleinste Einheit innerhalb einer Gesellschaft“. Inwiefern spiegelt die Familie die Gesellschaft wider, wie wir sie in Das Vorspiel sehen?
Der Druck, den sich unsere Hauptfigur macht, ist auch ein gesellschaftlicher. Sie will bestehen. Vor sich selbst und vor ihrer Umgebung. Die Sprachlosigkeit in der Familie und die Übergriffigkeit gegenüber den Kindern, die zum verlängerten Arm der Erwachsenen werden, ist auch ein gesellschaftliches Problem.

Im Film geht es um Personen, die sich selbst und anderen etwas beweisen wollen und um den Drang nach Perfektion. Wie wichtig ist Ihnen Perfektion als Regisseurin, Autorin und Schauspielerin?
Es geht mir nicht um Perfektion, sondern um Genauigkeit. Das betrifft jedes Detail. Beim Kostüm, dem Szenenbild, den verschiedenen Kameraeinstellungen, immer ist die Haltung dahinter wichtig und die Genauigkeit des Details. Wie wohnt die Familie? Was isst sie zum Abendbrot? Wie sieht das Klassenzimmer aus? Alles muss stimmen, dann kann man sich als Zuschauer auf die Geschichte einlassen und wird nicht abgelenkt.

Inwiefern spiegelt eine Prüfungssituation, wie wir sie am Anfang des Films sehen, die Realität wider?
Daphne hat früher Cello gespielt und ich Geige,  wir waren beide im Orchester und kennen so das Milieu. Trotzdem haben wir für den Film natürlich noch recherchiert.

Können Sie uns was zu der Zusammenarbeit mit Nina Hoss und Sophie Rois sagen?
Sophie Rois kenne ich durch unsere Arbeit an Der Architekt. Mit Nina Hoss habe ich mich ein Jahr vor den Dreharbeiten getroffen. Sie hat sich in bewundernswerter Weise das Geigespielen angeeignet und die Figur mit ihren Widersprüchen großartig gespielt. Es war eine vertraute und schöne Zusammenarbeit. Auch mit den Kindern und Jens Albinus und Simon Abkarian.

In einem Interview hat Nina Hoss ihre Dankbarkeit darüber ausgedrückt, wenn sie bei einem Dreh wie zu Das Vorspiel nicht nur einen Charakter spielt und erforscht, sondern auch noch etwas dazu lernt oder wieder lernt, wie das Geigenspiel. Was haben Sie bei dem Dreh dazu gelernt?
Man lernt ständig. Durch die Schauspieler, durch meine Kamerafrau Judith Kaufmann, meine Szenenbildnerin Susanne Hopf, meinen Editor Hansjörg Weißbrich….

Ich mag die Szenen, in der Anna ihren Sohn Jonas praktisch dazu zwingt mit Alexander Musik zu spielen. Diese Szene ist toll gespielt und zugleich unerträglich anzusehen, weil man so sehr mit dem Sohn mitleidet. Wie entwickelt man als Regisseurin und Autorin solche Momente?
Man versucht eine Atmosphäre zu schaffen, in denen sich alle aufgehoben fühlen, um frei und konzentriert spielen zu können. Ilja Monti und Serafin Mishiev konnten sich gut in die Situation hineinfühlen. In einer anderen Szene ist Ilja immer wieder die Treppen hoch und runter gerannt, damit man die Anstrengung in seinem Gesicht beim Üben merkt. Er ist stundenlanges Geigenspielen gewöhnt, das allein hätte ihn also nicht ins Schwitzen gebracht. Die Auswahl der Schauspieler ist wesentlich. Dafür braucht man Zeit. Wenn man sich irrt, kann man später nicht mehr viel machen.

Neben den Dialogen ist das Schweigen ein großer Faktor bei ihrem Film, wenn beispielsweise eine Einstellung Charaktere auf dem Weg nach Hause zeigt oder in der Bahn. Warum sind diese Leerstellen wichtig für den Film?
Wenn man liest oder Musik hört, erschafft man sich als Leser oder Hörer die Geschichte selbst im Kopf. Das Kino dagegen gibt die Bilder vor. Ich versuche die Imagination zu aktivieren, indem ich nicht alles auserzähle, Lücken lasse, damit man als Zuschauer eine Freiheit bekommt und diese Lücken selbst schließt. Wenn man sieht, wie der Vater der Geigenlehrerin mit seinem Enkel umgeht, kann man seine eigenen Schlussfolgerungen über die Kindheit der Lehrerin ziehen. Das muss nicht alles auserzählt und erklärt werden.

Inwiefern ist Das Vorspiel eine Geschichte über die Trennung von Leben und Kunst?
Ich glaube nicht, dass es diese Trennung gibt.

Können Sie uns etwas zu der Musik im Film sagen und welche Bedeutung diese im Kontext der Handlung hat?
Erst einmal war es natürlich ein großes Vergnügen, sich die ganze Zeit mit Musik zu beschäftigen. Ich habe für den Unterricht das Presto aus der ersten Sonate Johann Sebastian Bachs gewählt, da man an dem Stück gut sehen kann, woran Anna mit dem Schüler arbeitet: am Tempo, an der Fingerfertigkeit. Das letzte Stück im Film ist von Carl Philipp Emanuel Bach. Ich habe es gewählt, weil es nicht das Ende des Films interpretiert. Das Lied Die Zeit der Kirschen, das Simon Abkarian bei der Geburtstagsfeier singt, ist ein Stück, das während der französische Résistance gesungen wurde. Es passt gut zu Simon. Wenn Anna mit Alexander das Felix Mendelsohn Konzert, gespielt von Yehudi Menuhin, hört, sieht man, wie sehr Anna die Musik liebt.

Können Sie generell etwas über die Zusammenarbeit mit Kamerafrau Judith Kaufmann sagen?
Wir haben bereits an dem Dokumentarfilm Die neue Nationalgalerie (2017) zusammengearbeitet. Es geht darin um die Entstehungsgeschichte der Nationalgalerie in Berlin. Mein Vater hat in den sechziger Jahren einige Zeit als Architekt bei Mies van der Rohe in Chicago gearbeitet. Judith Kaufmann hat einen präzisen, poetischen Blick. Er drückt sich in all ihre Bildern aus. Genauso wie bei Susanne Hopf, unserer Szenenbildnerin.

Wie waren die Reaktionen bislang auf den Film? Hat Sie bei diesen etwas besonders überrascht oder erfreut?
Der Film hatte seine Premiere auf dem Toronto International Film Festival und lief danach in San Sebastian, wo Nina den Preis als beste Darstellerin erhielt. Was mich sehr gefreut hat, weil man ja nie weiß, wie der Film in anderen Ländern ankommt. Er ist auch  schon nach Amerika, Polen, Schweden, Finnland, England usw. verkauft.

In Ihren beiden Filmen haben Sie sich immer mit einer Kunstform befasst – einmal der Architektur und einmal der Musik.
Na ja, im Falle von Der Architekt geht es mehr um ein Beziehungsgebäude. An einer Stelle sagt Josef Bierbichlers Figur, dass der Beruf des Architekten der einzige Beruf ist, der es möglich macht, durch die eigenen Gedanken zu gehen. Aber es ist kein Film über den Beruf des Architekten. Im Gegensatz zu dem Dokumentarfilm über die Nationalgalerie.

Gibt es denn eine Kunstform – nach Musik und Kunst –, die Sie für ein neues Projekt interessieren würde?
Ich arbeite gerade an einem neuen Projekt, aber es ist noch in einer frühen Phase, sodass ich noch nicht darüber reden kann.

Das kann ich verstehen. Vielen Dank für das tolle und interessante Gespräch.

Ina Weisse

Zur Person
Ina Weisse wurde 1968 im damaligen West-Berlin geboren und studierte nach dem Abitur Schauspiel an der Otto-Falckenberg-Schule in München. Nach dem Studium erhielt sie verschiedene Engagements an deutschen Bühnen, unter anderem am Nationaltheater Mannheim. Neben ihren Rollen am Theater ist Weisse durch viele Auftritte im Kino und im Fernsehen bekannt. So spielte sie in TV-Serien wie Der Tatort oder dem Fernsehspiel Das Ende einer Nacht, für das sie den Grimme-Preis sowie den Deutschen Fernsehpreis als beste Schauspielerin bekam. Darüber hinaus studierte Weisse Philosophie in Heidelberg, sowie Filmregie an der Hamburg Media School. Im Jahre 2008 inszenierte Weisse mit Der Architekt ihren ersten Spielfilm.



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