Auf der einen Seite gibt es die Männer, auf der anderen Seite die Frauen. So hat das die Natur, wahlweise auch Gott gewollt. Oder vielleicht doch nicht? Seit Ende 2018 gibt es in Deutschland die Möglichkeit, statt der beiden üblichen Geschlechter ein „divers“ eintragen zu lassen. Auch andere Länder haben mittlerweile eingesehen, dass die Einteilung in da eine oder andere nicht immer so funktioniert wie ursprünglich angenommen. Da wären zum einen die Menschen, die im biologischen Sinne Anlagen zu beiden Geschlechtern haben. Aber es gibt auch welche, die sich nicht in den oftmals von der Gesellschaft vorgegebenen Geschlechteridentitäten wiederfinden können, sich weder als Mann, noch als Frau fühlen.
Sagt mir nicht, wer ich sein soll
Always Amber erzählt von einem Menschen, für den die gängigen Schubladen nicht so recht passen wollen. Rein biologisch gesehen ist sie eine Frau, mit allem, was dazugehört. Amber fühlt sich aber nicht als Frau, zumindest als Frau, wie von dem Umfeld definiert. An einer Stelle in dem Dokumentarfilm heißt es, dass auf einer einsamen Insel, nur umgeben von Freunden und Freundinnen, Amber womöglich kein Problem mit dem angeborenen Körper hätte. Doch Amber ist auf keiner einsamen Insel, sondern in Schweden. Und auch wenn das skandinavische Land sicher noch zu den offeneren gehört, dieser Körper weckt dort Erwartungen, die Amber nicht erfüllen kann oder will.
Lia Hietala und Hannah Reinikainen begleiten Amber auf einer Reise zu einem neuen Körper, der mehr den eigenen Vorstellungen und Erwartungen entspricht. Unterstützung erhält der junge Mensch, der für sich selbst ein geschlechtsneutrales Pronomen verwendet, vor allem durch den Freundeskreis. Durch Olivera beispielsweise, Ambers Partner, der selbst mit einem männlichen Körper ausgestattet ist, das mit der Geschlechteridentität aber ebenfalls nichts so eng sieht. Wenn das Paar gemeinsam Zeit verbringt, Always Amber ihnen in den Alltag folgt, dann verschwimmen die Grenzen zwischen den üblichen Rollen einer solchen Partnerschaft.
Persönlich statt allgemein
Aber gibt es diese Rollen überhaupt oder sind es reine Konstrukte, im Laufe der Jahrhunderte als Normen entwickelt? Der Dokumentarfilm schweigt sich dazu aus, will gar keine große Debatte darüber starten, was normal ist und was nicht, wie viel sich aus der Natur ergibt und was durch Menschenwillen geschaffen wurde. Stattdessen bleibt Always Amber, das auf der Berlinale 2020 Weltpremiere hatte, eine sehr persönliche Geschichte, die eng mit Amber verbunden ist. Allgemeingültig ist das nur manchmal, beispielsweise wenn Besuche bei einer auf Geschlechteridentitäten spezialisierten Therapeutin etwas von dem gesellschaftlichen Umgang mit dem Thema sowie dem Prozedere einer Geschlechtsangleichung verraten.
Ansonsten stehen jedoch Situationen im Vordergrund, die sich mit Amber und dem Umfeld befassen, beim gemeinsamen Baden, Diskussionen über Freundschaften, auch Schminken steht irgendwann auf dem Programm. Das ist ganz schön, Always Amber gibt einem als Zuschauer die Möglichkeit, eine junge Generation kennenzulernen, die sich auf eine ganz eigene Weise entfaltet, irgendwo zwischen Individualismus und Masse, zwischen persönlichen Gedanken und Instagram-Selfies. Wer Amber genau ist, das weiß sie, er, es zum Ende immer noch nicht, die Suche ist nach drei Jahren – eine solche Spanne umfasst der Dokumentarfilm – immer noch nicht vorbei. Aber es ist eben spannend, bei dem Versuch der Selbstfindung und Selbstbestimmung dabei zu sein.
OT: „Always Amber“
Land: Schweden
Jahr: 2020
Regie: Lia Hietala, Hannah Reinikainen
Musik: ShitKid
Kamera: Lia Hietala, Sara Thisner Lindstedt
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