Aniara
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Kritik

Aniara
„Aniara“ // Deutschland-Start: 13. Februar 2020 (DVD/Blu-ray)

In unbestimmter Zukunft ist die Erde nur noch ein trostloser, lebloser Planet. Wenige Auserwählte treten auf dem Raumschiff Aniara ihre Reise zur neuen Heimat auf dem Mars an. Auf dem Weg kollidiert das Raumschiff allerdings mit Weltraumschrott und die Aniara kommt vom Kurs ab. Ohne Aussicht auf sofortige Hilfe, sieht die Besatzung einer ungewissen Zukunft in der endlosen Dunkelheit des Weltalls entgegen.

Dass sich die lebensfeindliche Leere und die tiefe Dunkelheit des unendlichen Universums als perfekter Ausgangspunkt für fantastische Geschichten etabliert hat, kommt wohl nicht von ungefähr. Keine andere Umgebung birgt soviel Faszination, Hoffnung aber auch Ungewissheit und Furcht in sich wie der unentdeckte, kaum erforschte Weltraum. Ob Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt, Event Horizon, Sunshine oder auch WALL·E – Der letzte räumt die Erde auf, Regisseure schicken in ihren Filmen die Menschheit auf eine ungewisse Reise durch Raum und Zeit. Stanley Kubrick landete mit 2001: Odyssee im Weltraum ein Meisterwerk, letztes Jahr bewies Claire Denis mit High Life dass das Thema noch längst nicht auserzählt ist und keineswegs an Aktualität und Reiz verloren hat.

Ein aktueller alter Stoff
Aniara, das Langfilmdebüt des schwedischen Regieduos Pella Kågerman und Hugo Lilja überrascht im ersten Moment daher weniger dadurch, dass sie nach der Zerstörung der Erde die Passagiere des Raumschiffs zur Neubesiedlung zum Mars aufbrechen lassen. Vielmehr erstaunt, dass sie sich dabei eines literarischen Stoffes bedienen, der bereits einige Jahrzehnte auf dem Buckel hat. Das von dem schwedischen Nobelpreisträger Harry Martinson in den 1950er Jahren verfasste Versepos Aniara. Eine Revue von Menschen in Zeit und Raum zeigt sich 2020 brisanter und bedeutender denn je. Denn der dystopische Science-Fiction-Endzeit-Horror glänzt trotz seines geringeren Budgets mit herausragend dichter Atmosphäre und muss sich beim Production Design keinesfalls hinter den großen Genremitstreitern verstecken.

Das Raumschiff gleicht dabei eher einem Luxuskreuzfahrtschiff, auf dem es den Auserwählten Neumarsianern an nichts fehlen soll. Eingehüllt in gedämpftes kühles Neonlicht darf die nächsten drei Wochen nach Herzenslust dem Konsum gefrönt und darüber diskutiert werden, ob denn der Weltraumdruckanzug auch wirklich „chic“ ist, den man sich notgedrungen kaufen muss. Falls diese Bespaßungsstrategie mal nicht funktioniert, gibt es dann ja immer noch die Virtual Reality von MIMA. Gerade erst hat man den ausgebeuteten und unbewohnbaren Heimatplaneten verlassen, schon sehnt man sich nach dem ehemals satten Grün der Wälder und dem dunklen Blau der Wellen zurück, die schon lange nicht mehr real existierten.

Gemeinsam in den Untergang
In Kapitel unterteilt, die manchmal unscheinbare, manchmal jedoch spoilerartige Titel tragen und sehr unterschiedlich lange Zeitabstände umfassen, bietet die erste Hälfte von Aniara zunächst mal nicht unbedingt viel Neues. Nicht belehrend, aber mehr als deutlich wird die Ressourcenverschwendung, Maßlosigkeit und Gleichgültigkeit einer konsumgesteuerten Gesellschaft angeprangert. Nachdem die Aniara aber durch einen vergleichsweise unspektakulären Unfall mit Weltraummüll vom Kurs abkommt, schlägt die Story weitaus interessantere Wege ein. Ganz plötzlich fühlt man sich auch an das Science-Fiction-Sozialabenteuer Snowpiercervon Oscargewinner Bong Joon-Ho oder an Ben Wheatleys High-Rise erinnert. Denn dann geht es nicht mehr nur um das Überleben der Menschheit, sondern auch darum, wie Hoffnung zu einem leeren Blendwerk der Macht- und Hilflosigkeit wird, um Strukturen beizubehalten, die dann schon lange keinen Sinn mehr machen.

Die Balance zwischen Sozialdrama und Endzeitdystopie schafft Aniara an einigen Stellen dann aber doch nicht ganz so gut wie erhofft. Die Handlungsstränge gleichen manchmal mehr einem versprengtem Asteroidengürtel, durch den sich die Protagonistin durchkämpfen müssen. An vielen Stücken wird thematisch gekratzt, manche zur Begutachtung länger in der Umlaufbahn gehalten, andere wiederum sofort wieder in die Schwerelosigkeit entlassen, kaum dass man sie in der Hand halten durfte. So schleichen sich Szenen ein, die zwar unglaublich überraschend und spannend sind, aber für den kurzen Augenblick so andersartig daher kommen, als seien sie gerade einem gänzlich anderem Genre oder Film entsprungen. Als sich die Langzeitwirkung von Sonnenlichtentzug bei den Passagieren versinnbildlicht, mag man deshalb seinen Augen und Ohren erst gar nicht trauen.

Trotz kleinerer erzählerischen Schwächen hinterlässt Aniara deutlich Eindruck. Nicht nur der aktuellen Thematik wegen, sondern auch weil er qualitativ an allen Ecken mit bekannten Werken locker mithalten kann. Die fantastische Hauptdarstellerin Emelie Jonsson überzeugt bis zum Schluss. Eine Frau, die sich durch Schicksalsschläge nicht beirren lässt, gleichzeitig aber genauso eine Marionette im Mikrokosmos der Konsumgesellschaft ist. Ganz klare Empfehlung.

Credits

OT: „Aniara“
Land: Schweden
Jahr: 2018
Regie: Pella Kågerman, Hugo Lilja
Drehbuch: Pella Kågerman, Hugo Lilja
Vorlage: Harry Martinson
Musik: Alexander Berg
Kamera: Sophie Winqvist
Besetzung: Emilie Jonsson, Bianca Cruzeiro, Arvin Kananian, Anneli Martini, Jamil Drissi, David Nzinga, Dakota Trancher Williams

Bilder

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„Aniara“ ist eine Sci-Fi Dystopie, die derzeit ihres gleichen sucht. Qualitativ weit oben angesiedelt, atmosphärisch erdrückend und thematisch hochaktuell. Eine Parabel über eine Konsum getriebene Gesellschaft, die Verantwortung verweigert und sich nicht eingestehen will, dass zu einer Reise auch ein Ende gehört.
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von 10