Jeder Neuanfang ist schwer, das gilt auch für den amerikanischen Regisseur Tommaso (Willem Dafoe), der in Italien an der Seite seiner Frau Nikki (Cristina Chiriac) ein bürgerliches Leben begonnen hat, damit jedoch so seine Probleme hat. Nachdem wir in unserem ersten Interview zum Drama Tommaso und der Tanz der Geister (Kinostart: 13. Februar 2020) Regisseur Abel Ferrara gesprochen haben, kommt nun auch Hauptdarstellerin Chiriac bei uns zu Wort. Wir haben die Schauspielerin über ihre erste Hauptrolle, über ihre Vorbilder und die Zusammenarbeit mit Dafoe befragt.
Was für ein Film ist Tommaso und der Tanz der Geister für Sie?
Tommaso ist ein sehr persönlicher Film und deswegen ist es teilweise schwierig für mich ihn anzuschauen. Jedes Mal bricht es mir das Herz, aber nicht meinetwegen oder anderer Aspekte, sondern weil es eine Geschichte über eine Trennung zwischen zwei Menschen ist. Was es noch trauriger macht, ist, dass in ihrer Mitte noch ein Kind steht, welches diese Trennung miterlebt.
Gleichzeitig liebe ich den Film wegen seiner Wahrhaftigkeit. Als jemand, der an diesem Film mitarbeitete, fühle ich, dass ich an meinen Teil zu dieser schönen, traurigen Geschichte beigetragen habe.
Speziell bei einem so persönlichen und intimen Projekt, wo ziehen Sie für sich die Grenze zwischen der Figur, die Sie spielen, und sich selbst?
Als Abel mir und den anderen Darstellern das Skript gab, las ich es und wusste, dass es bestimmte Dinge dort gibt, die ich nicht spielen möchte.
Gegen Ende gibt es eine sehr brutale Szene mit Willem, auf die noch eine weitere hätte folgen sollen, die ich aber nicht spielen wollte. Das Wunderbare an einem Regisseur wie Abel ist, dass er spontan reagieren kann: Er gab mir und Willem ein Grundgerüst der Szene und dann überließ er es uns, wie wir diese spielten. Das mag riskant sein, aber ist gleichzeitig eine so freie, entspannte Art zu arbeiten, die mich als Schauspielerin und Menschen respektiert.
Abel gibt einem Schauspieler diese Figur an die Hand, gibt einem diese Freiheiten und versteht seine Darsteller nicht als seine Erfüllungsgehilfen. Das macht ihn so einzigartig und zeigt sein Talent.
Gibt es eine Szene im Film, auf die Sie besonders stolz sind?
Ich mag die Szene in der Küche, in welcher ich mit Anna zu Abend esse und Willems Charakter dazu kommt und dann aufgebracht ist, dass wir nicht auf ihn warten konnten. Eigentlich war die Szene viel länger, als sie nun im fertigen Film ist.
Es ist eine simple, sehr minimalistische Szene, bei der man, wenn man gut und genau beobachtet, schnell merkt, warum diese beiden Menschen wirklich streiten.
Wie sind Sie an Ihre Figur herangegangen und wie viel von der realen Cristina Chiriac steckt in diesem Charakter?
Ich habe sie nie als Figur verstanden, habe nie versucht, zu schauspielern.
Wenn Willems Figur zu der kleinen Gruppe anonymer Alkoholiker davon spricht, dass der Vater seiner Frau Alkoholiker war und wie dies die Familie beeinflusst hat, ist nichts davon gelogen. Das ist meine Geschichte.
Das dramatische Fundament für Nicky haben wir von mir genommen, haben natürlich damit gespielt, um zu sehen, welche Möglichkeiten in dieser Geschichte vorhanden sind, aber größtenteils haben wir an diesem Grundbaustein nichts verändert.
Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole, aber ich finde diese Art zu arbeiten unglaublich toll. In einem Publikumsgespräch neulich sagte ich, dass sich viele junge Filmemacher ein Beispiel an dieser Herangehensweise nehmen sollten. Tommaso wird für mich dadurch so authentisch und verleiht seinen Figuren so viel mehr an Tiefe.
Wenn man nicht nach dieser Wahrhaftigkeit strebt, warum gibt man sich dann überhaupt die Mühe? Am Ende steht man da mit einer Geschichte und mit Charakteren, die künstlich sind und das verabscheue ich.
Wie war die Zusammenarbeit mit Willem Dafoe?
Er war sehr verständnisvoll und hat mir bei der Gestaltung meiner Rolle sehr geholfen. Willem ist ein sehr geduldiger Mensch, der auf mich zugegangen ist und immer ein offenes Ohr hatte.
Bei den Szenen mit ihm hatte ich immer das Gefühl, dass wir zusammen sind, dass wir in einer Beziehung sind. Das war sehr speziell.
Wie haben Sie Ihre Tochter auf die Rolle im Film vorbereitet?
Mit sehr viel Geduld. Manchmal wollte sie spielen oder in den Park, aber weil wir drehten, war dies nicht möglich. Ich musste ihr dann zu verstehen geben, dass wir in später dorthin gehen würden und zuerst die Szene spielen würden. Es war nicht immer einfach, aber mit viel Geduld haben wir es beide zusammen geschafft.
Haben Sie Vorbilder als Schauspielerin, die Sie inspirieren?
Ich bewundere Iréne Jacob (Die zwei Leben der Veronika) wirklich sehr. Einmal durfte ich sie treffen und wir haben uns sehr gut verstanden. Ansonsten bin ich noch ein großer Fan von Juliette Binoche.
Wenn es um Regisseure geht, mag ich besonders die Klassiker, also Ingmar Bergman oder David Lynch. Robert Bresson hat einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen wegen seines Stils und der Art, nicht Schauspieler für seine Filme zu besetzen, sondern Menschen. Seine Filme haben etwas Spontanes, was man sehr selten in Filmen oder generell in der Kunst findet.
In Tommaso wird oft der Titel der Frau des Künstlers oder der Muse verwendet. Was halten Sie von diesem Label?
Ich habe kein Problem mit diesen Begriffen und wenn es Menschen gibt, die etwas Negatives mit diesen Titeln verbinden, dann ist das eben so. Die Art und Weise, wie sie diese Begriffe gebrauchen, zeigt ihre begrenzte Intelligenz.
Wenn mich persönlich diese Attribute oder Urteile berühren würden, könnte ich meinen Job nicht machen, könnte vielleicht noch nicht einmal das Haus verlassen. Ich habe keine Angst vor der Meinung anderer, denn diese Urteile können mich nicht berühren, wenn ich es nicht zulasse.
Da Sie nun in Tommaso Ihre erste große Rolle gespielt haben, gibt es andere Projekte und Geschichten, die Sie interessieren?
In den meisten Filmen Abels, mit der Ausnahme von Tommaso, bin ich meist nur kurz zu sehen oder habe eine kleinere Rolle. Sein neuer Film behandelt die Geschichte Pio del Pietrelcinas und dort gibt es eine Figur, die ich sehr interessant finde und gerne spielen würde.
Ich bin sehr stolz auf meine Rolle als Mutter und möchte meinen Mann bei seinen Projekten unterstützen. Das ist auch ein schwieriger Job.
Filme wie Tommaso und Pasolini handeln von Figuren, für die die Grenze zwischen Kunst und Leben verschwimmt, was existenzielle Folgen für sie hat. Was halten Sie von diesem Dilemma der Figuren?
Ich glaube, keiner dieser Männer sollte so leiden. Kunst und Leben ergänzen sich und sollten nicht getrennt gesehen werden. Das Leben ist die schönste Kreation, die es gibt. Ohne Kunst könnte es keine Schönheit geben und das Leben würde so leer sein. Es gibt keine Grenzen zwischen diesen beiden Konzepten, was Abel in seinen Filmen auszudrücken will. Das Schöne ist, das wir alle als Menschen Teil dieses kontinuierlichen Austausches von Kunst und Leben sind, wir können alle unser Leben bereichern, indem wir Kunst erschaffen.
Heutzutage sieht man in der Realität aber auch in der Kunst so viel Falschheit und ich kann es nicht ertragen oder mir ansehen. Am Schluss muss die Schönheit, die Wahrheit, das Leben und die Kunst siegen.
Vielen Dank für das interessante Gespräch.
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