Der diskrete Charme der Bourgeoisie
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Der diskrete Charme der Bourgeoisie

Kritik

Luis Bunuel
„Der diskrete Charme der Bourgeoisie“ // Deutschland-Start: 20. April 1973 (Kino) // 9. Januar 2020 (Blu-ray)

Eigentlich wollte das großbürgerliche Sextett nur eins: ein gemeinsames stilvolles Mal. Doch leichter gesagt als getan. Der mirandische Botschafter Don Rafael (Fernando Rey), die junge Frau Florence (Bulle Ogier) sowie die beiden Paare Mme und M. Thévenot (Delphine Seyrig, Paul Frankeur) und Mme und M. Sénéchal (Stéphane Audran, Jean-Pierre Cassel) finden keinen Moment zusammen. Immer stört eine unglückliche Verkettung von Ereignissen oder ein simples Missverständnis das Vorhaben. Da wird sogar der Tee am Nachmittag zu einem schier hoffnungslosen Unterfangen.

Der diskrete Charme der Bourgeoisie ist eines der letzten Werke von Luis Buñuel und konnte 1973 sogar noch den Oscar für den besten internationalen Film einheimsen. Leicht macht es der Regisseur dem Publikum mit seinen Filmen aber nie. Der Surrealist, der wenig von Traumdeutung hält, merklich eine Affinität zum Tod hatte und gern mit sich wiederholenden Elementen arbeitete, fordert seine Zuschauer regelrecht heraus. Wie sollte man sonst erklären, dass eine recht überschaubare Handlung zwar im Grundton recht eindeutig ist, aber dennoch viel Potenzial zur Eigeninterpretation mit sich bringt?

Die feinen Damen sind einfach dämlich
Die Idee um ein nie zustande kommendes Dinner ist dabei einem vom Produzenten Serge Silberman selbst erlebten Fiaskos entsprungen. Buñuel griff das Szenario einfach auf und erarbeitete mit Jean-Claude Carrière eine Abfolge von Momenten, die einerseits in ihrer Absurdität überaus komödiantisch wirken, aber trotzdem nie den Bezug zum Möglichen verlieren. Dass man in einem Restaurant seinen Gästen nicht mal mehr ein Wasser anbieten kann, ist zwar sehr unwahrscheinlich und fast lächerlich, lässt aber dadurch glaubwürdig Spott und Hohn auf die anwesenden Damen der feinen Gesellschaft niederprasseln. Die stellen diesen Umstand nämlich auch nicht in Frage und merken so gar nicht, wie man sich ganz diskret und hinterrücks damit über sie lustig macht und sie mit Häme bedacht.

So spielt Buñuel konstant mit verdeckten Seitenhieben, um die Gruppe immer wieder für den Zuschauer bloßzustellen. Wird an der Qualität eines Restaurants gezweifelt, so liegt im Nebenraum der verstorbene Besitzer. Grund genug die feinen Herrschaften wieder mit knurrendem Magen den Weg nach Hause anzutreten zu lassen. Obwohl es im Verlauf des Films nie zum gemeinsamen Festmahl kommt, schafft es der Regisseur immerhin, sehr subtil sein eigenes Martini Dry Rezept unterzubringen. Das Zelebrieren dieses Getränks wird hier ebenso zur Falle des „ungebildeten“ Arbeiters wie zur Demaskierung der Bourgeoisie. Während dem einen die Bedeutung des soeben dargebotenen Aperitifs verborgen bleibt und damit reichlich Futter für herablassende Äußerungen bietet, zeigt sich im Umkehrschluss die Verachtung, die das besser bestellte Großbürgertum für seine Angestellten übrig hat. Buñuel lässt also keine Gelegenheit aus, um das vorherrschende Ungleichgewicht des Bürgertums zu kritisieren und mit bitterböser, wenn gleich auch überaus komischer Satire aufzuarbeiten.

Alles im und aus dem Gleichgewicht
Zeitgleich schleicht sich aber auch immer wieder Kritik an politischen Gegebenheiten ein. So ist Fernando Rey (Dieses obskure Objekt der Begierde) in der Rolle eines Botschafters zu sehen, der seine Immunität auch dazu nutzt, um sich gänzlich unbescholten in Drogengeschäfte mit einzumischen. Dieser Handlungsstrang trieft förmlich vor Arroganz, Selbstgefälligkeit und Hochnäsigkeit. Aber auch damit lässt Buñuel seine Protagonisten, zur Freude des Zuschauers, am Ende nicht davon kommen. Obwohl der Regisseur die Situationen genüsslich auskostet, ergreift er doch nie ausdrücklich Partei für eine der beiden Seiten. Dementsprechend sind seine Charaktere in Gänze auch nie wirklich unsympathisch.

Und wer meint, Christoper Nolan hätte in Inception mit seinen Traumebenen schon reichlich für Verwirrung gesorgt, darf sich mit dem diskreten Charme der Bourgeoisie auf eine noch weitreichendere Verschachtelung von Realität und Traum freuen. Nicht nur, dass die Protagonisten zwischendurch damit immer wieder deftige Rechnungen für ihr unreflektiertes Verhalten serviert bekommen, auch verschwimmt zusehends die Wahrnehmung von Struktur und Chaos, von Sinn und Sinnlosigkeit, von Wahrhaftigkeit und Illusion und sogar von Leben und Tod.

Credits

OT: „Le charme discret de la bourgeoisie“
Land: Frankreich
Jahr: 1972
Regie: Luis Buñuel
Drehbuch: Luis Buñuel, Jean-Claude Carrière
Kamera: Edmond Richard
Besetzung: Fernando Rey, Paul Frankeur, Delphine Seyrig, Bulle Ogier, Stéphane Audran, Jean-Pierre Cassel, Georges Douking, Claude Piéplu, Maria Gabriella Maione

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Luis Buñuel zeigt sich auch mit diesem oscarprämierten Werk als Meister seines Faches. Seine wohldosierte Mischung aus bitterer Satire und Komödie lässt den Zuschauer am Ende zwar gleichermaßen mit leerem Magen zurück, dem diskreten Charme ist er aber trotzdem verfallen.
8
von 10