Dass Jungen beschnitten werden, meist im Rahmen religiöser Rituale, das dürfte der eine oder andere gehört haben. Dass aber auch Mädchen dran glauben müssen, das hat sich zumindest hierzulande weniger herumgesprochen. Dabei gibt es gerade hier Handlungs- und Gesprächsbedarf. Denn anders als bei den zwar umstrittenen, letztendlich aber meist gesundheitlich folgenlosen Prozeduren, die Jungen über sich ergehen lassen müssen, ist die weibliche Variante deutlich gravierender. Nicht grundlos hat sich im deutschen Sprachgebrauch die Bezeichnung „Genitalverstümmelung“ durchgesetzt, wenn Teile der äußeren weiblichen Geschlechtsorgane entfernt werden, manchmal sogar alles.
Eine späte Suche
In Europa ist das kein Thema, weltweit sollen jedoch etwa 200 Millionen Frauen und Mädchen beschnitten sein. Eine davon ist Beryl Magoko. Sie wuchs in einem kleinen kenianischen Dorf auf, wo die Beschneidung ein lang gehegter Brauch ist. Mit der Zeit wurde der zwar abgeschwächt, es wird weniger weggeschnitten als noch früher. Der Schnitt an sich ist aber nach wie vor Pflicht, das wird von jedem erwartet. Beryl hinterfragte das alles deshalb nicht, als sie an der Reihe war, lernte erst viele Jahre später als Erwachsene, dass in anderen Teilen dieser Welt nichts Derartiges getan wird. Mehr noch, diese Rituale sind geächtet, zahlreiche Organisationen setzen sich für deren Abschaffung ein und helfen betroffenen Frauen, die alten Genitalien wieder operativ zu rekonstruieren.
Das hört sich gut an, naheliegend. Wenn eine Frau die Möglichkeit hat, die Verstümmelung wieder rückgängig zu machen, warum sollte sie es dann nicht tun? Ganz so einfach ist es jedoch nicht, wie In Search … zeigt. Selbst Beryl, eine aufgeklärte Frau, die sich intensiv mit dem Thema beschäftigt hat, kämpft mit ihren Zweifeln. Denn so irrational die Beschneidungen sind, so sehr sind sie doch mit der jeweiligen Kultur oft verbunden. Wer gelernt hat, dass das alles ganz natürlich ist, der tut sich natürlich schwerer damit. Zumal das Thema bei vielen noch ein Tabu darstellt, was eine Auseinandersetzung deutlich behindert. Darf ich das überhaupt? Was werden die anderen sagen? Auch Angst und Scham spielen da oft mit rein.
Die überfällige Rückeroberung
In ihrem Dokumentarfilm bricht die junge Frau dieses Schweigen. Sie unterhält sich mit anderen Betroffen, auch ihrer eigenen Familie und fragt sie nach ihren Erfahrungen. Aber auch ärztliche Organisationen kommen zu Wort und schildern, was genau diese erneuten Operationen ändern sollen. In Search … zeigt dabei auf, wie heikel das Thema für ist. Während manche ganz frei über alles reden können, hadern andere, wollen beispielsweise nicht erkannt werden. Eine Frau als selbstbestimmtes Wesen, das ein Recht auf Unversehrtheit hat, auf sexuelle Freuden, das ist für viele ein zu fremdes Konzept.
In Search … hat dabei erstaunlich wenig zu den Ritualen und deren Geschichte zu erzählen. Mehr als ein diffuses „das ist halt so“ entnimmt man dem Film nicht. Ein Grund: Beryl lässt kaum einen Mann zu Wort kommen, abgesehen von einem Arzt, der die Rekonstruktion durchführt, haben die Frauen hier mal das Sagen. Dennoch ist die Dokumentation keine reine Verteufelung der Praktiken. Dass diese abgeschafft werden sollten, das wird zwar klar, der Film ist aber mehr als eine reine Anklageschrift. Stattdessen ist er eine leise Auseinandersetzung mit einem wichtigen Thema sowie eine Aufmunterung an die Frauen da draußen, auf sich selbst und die eigene Stimme zu hören, ihren eigenen Körper zu entdecken und für sich selbst zu reklamieren. Eine eigene Identität und eigene Wünsche haben zu dürfen, die nicht von Männern und Bräuchen diktiert werden.
OT: „In Search …“
Land: Deutschland
Jahr: 2018
Regie: Beryl Magoko
Musik: Fatoumata Diawara, Matthias Wittwer, Lennart Saathoff
Kamera: Jule Katinka Cramer
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