Eigentlich hatte Buck ein richtig schönes Leben. Klar, hin und wieder gab es ein bisschen Stress, wenn er sich irgendwie danebenbenommen hat und mal wieder was zu Bruch gegangen ist. Aber ansonsten konnte der Mischling aus Bernhardiner und Schottischem Schäferhund nicht klagen – bis zu jener Nacht, als er von einem Hundefänger entführt und verkauft wurde. Denn jetzt ist es mit dem bequemen Leben vorbei. Stattdessen heißt es, zusammen mit anderen Hunden den Postschlitten von Perrault (Omar Sy) zu ziehen. Doch der ist nur einer von mehreren Menschen, der sich Buck im Laufe der Zeit annimmt. Auch der Einsiedler John Thornton (Harrison Ford) wird immer wieder seine Wege kreuzen …
An Filmen, in denen Hunde die Hauptrolle spielten, hat es zuletzt nicht unbedingt gemangelt. Im Kino liefen beispielsweise Enzo und die wundersame Welt der Menschen und Die unglaublichen Abenteuer von Bella, hinzu kamen eine Reihe von Titeln, die auf DVD veröffentlicht worden sind. Einen Markt für solche Filme gibt es daher ohne jeden Zweifel. Zweifeln darf man jedoch an der Entscheidung, gleich zwei solcher Filme in direkter Konkurrenz gleichzeitig herauszubringen. Mehr noch, es handelt es sich beiden Fällen auch noch um Adaptionen alter Klassiker: Lassie – Eine abenteuerliche Reise nach dem Kinderbuch von Eric Knight, Ruf der Wildnis, das auf dem gleichnamigen Roman von Jack London (Die Abenteuer von Wolfsblut) basiert.
Ein Kinderalbtraum
Ganz austauschbar sind die zwei Filme aber nicht. Beispielsweise gibt es in Ruf der Wildnis kein einziges Kind, obwohl sich der Film an eine jüngere Zielgruppe richtet. Zumindest ist das der Eindruck, der hier vermittelt wird. Vielleicht konnte Regisseur Chris Sanders aber auch einfach nicht aus seiner Haut und seine Arbeit an Drachenzähmen leicht gemacht und Lilo & Stitch hat ihn stärker geprägt, als er selbst ahnt. Zumindest am Anfang besteht sein Solo-Debüt als Filmemacher aus diversen Slapstickszenen, in denen Buck jede Menge Chaos anrichtet. Das sorgt bei den Angestellten im Haus für viel Ärger und soll vermutlich als Kontrast dienen, bevor die Geschichte später düsterer wird. Vor allem die leicht surrealen Szenen, wenn der Hund Visionen eines wilden Wolfes hat, sind nicht für zu junge Kinderaugen gedacht.
Ohnehin ist Ruf der Wildnis ein Film, aus dem man nicht ganz schlau wird. Die Auftritte von Dan Stevens sind Beispiele ungehemmten Overactings, wenn er hier den hundeprügelnden Bösewicht Hal spielt. Das ist dermaßen überzogen, dass man sich an sein Mitwirken in Charles Dickens – Der Mann der Weihnachten erfand erinnert fühlt. Nur war das eben auch eine Komödie. Hier sollte das eigentlich für die spannenden Momente sorgen, verkommt aber zu einem Fremdkörper, der nicht zu dem ansonsten sentimentalen Ton passt. Zumal Hal auch immer nur dann auftaucht, wenn die Geschichte irgendwie vorangetrieben werden muss. Ein Schurke ex Machina sozusagen.
Die Natur, die aus dem Rechner kam
Auch sonst ergibt sich bei Ruf der Wildnis ein sehr zwiespältiges Bild. Und das darf hier wörtlich verstanden werden. Auf der einen Seite sind die Aufnahmen aus der Wildnis, die uns Steven Spielbergs Stammkameramann Janusz Kamiński mitgebracht hat, ausgesprochen schön, wecken in einem die Sehnsucht, noch einmal die unberührte Natur erleben zu dürfen. Umso grotesker ist es da, dass sämtliche Tiere computergeneriert sind. Wo Lassie diverse inhaltliche Mängel durch seine lebendige vierbeinige Heldin ausgleichen konnte, da sorgt Buck immer wieder für Irritationen. Sind die Tiere unter sich, fällt das nicht ganz so stark auf, das fügt sich besser in die Landschaften ein. Doch die Interaktionen zwischen Mensch und Tier, die sind nicht sonderlich überzeugend. Von anderen Spezialeffekten ganz zu schweigen.
Das ist auch deshalb so unverständlich, weil der Film mit wenig Subtilität für das natürliche Leben plädiert. Gerade in den von Harrison Ford vorgetragenen Voice overs wird ganz schön dick aufgetragen, vor Kitsch scheut hier keiner zurück – oder davor, dass das ohnehin keinen wirklichen Sinn ergibt. Und es ist schade, weil Ruf der Wildnis zumindest phasenweise ein wohliges Abenteuergefühl vermittelt. Auch die Rekonstruktion eines Amerikas im Goldrausch ist ganz schön geworden. Solche Filme werden heutzutage kaum noch produziert. Doch nur weil etwas Nostalgie erweckt und ein bisschen Fernweh, ist es nicht automatisch gut. Die Romanadaption ist vielmehr ein frustrierendes Stückwerk, für das es keinen wirklichen Platz gibt.
OT: „The Call of the Wild“
Land: USA
Jahr: 2020
Regie: Chris Sanders
Drehbuch: Michael Green
Vorlage: Jack London
Musik: John Powell
Kamera: Janusz Kamiński
Besetzung: Harrison Ford, Dan Stevens, Omar Sy, Karen Gillan
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