Die Geschichten klingen in unseren Ohren absurd. So absurd, dass man fast darüber lachen möchte, wären sie nicht so erschreckend real. Während im Westen noch darum gekämpft wird, dass Frauen dieselbe Bezahlung erhalten wie Männer oder wenige Restriktionen bei der Arbeit erdulden müssen, da ist man in Saudi-Arabien schon mit deutlich weniger glücklich. Dort wurde es als großer Erfolg gefeiert, dass Frauen inzwischen Auto fahren dürfen oder Konzerte besuchen, reisen ohne männliche Begleitung. Inzwischen wird ihnen sogar gestattet, dieselben Eingänge zu benutzen wie die Männer, wenn sie beispielsweise ein Restaurant betreten möchten.
Endlich frei sein
Diese Änderungen kann man als Fortschritt auffassen, dafür, dass sich in dem arabischen Land endlich einmal etwas tut. Oder man verzweifelt daran, dass auch nach der Abschaffung solcher bizarren Regeln genügend andere übrig sind, um Frauen das Leben schwerer zu machen. Eine, die der zweiten Sichtweise anhängt, ist Muna. Sie lebte bis vor Kurzem selbst noch in Saudi-Arabien, bis sie – der Titel des Dokumentarfilms verrät es bereits – das Land verlassen hat, ohne Absicht jemals zurückzukommen. Zu groß war der Frust über die Ungleichbehandlung und die Unterdrückung, die sie tagtäglich zu erdulden hatte.
Der Dokumentarfilm, der auf dem Sundance Film Festival 2020 Premiere hatte, beschränkt sich aber nicht allein auf diese Flucht. Vielmehr hielt Muna zuvor filmisch fest, wie ihr Leben genau ausgesehen hat, um später auch demonstrieren zu können, was das denn heißt, eine Frau in Saudi-Arabien zu sein. Nun konnte sie natürlich nicht mit einer Kamera durch die Gegend laufen, um alles filmen zu können. Stattdessen nutzte sie Handys, mit denen sie verdeckt durch die obligatorischen Schleier alles filmen konnte. Das klappte erstaunlich gut, zumindest in Hinblick auf alltägliche Situationen. Zu nah dran konnte sie auf diese Weise dennoch nicht, ohne dabei aufzufallen. Schließlich durfte niemand wissen, ihre Familie eingeschlossen, was sie da tat und was sie vorhatte.
Ein Leben wie ein Thriller
Teilweise wirkt Saudi Runaway wie ein Spionagefilm, wenn Manu als eine Art Geheimagentin auftritt und durch die Gegend schleicht, dabei immer wieder Gefahr läuft, doch noch entdeckt zu werden, falls jemand genauer hinschaut. Gegen Ende, wenn aus den Alltagsbeobachtungen die konkrete Flucht wird, dann verwandelt sich die Dokumentation endgültig in einen Thriller, der einen gebannt auf die Leinwand schauen lässt. Gerade weil hier tatsächlich etwas auf dem Spiel steht, die Ereignisse von einer ungeschönten Unmittelbarkeit sind, nicht künstlich aufgebauscht werden müssen, ist die Spannung sehr hoch. Obwohl wir nur wenig über die junge Frau wissen, sie nur selten sehen können, die kurzen Einblicke reichen, um mitzufiebern und ihr die Daumen zu drücken, dass sie den Absprung schafft.
Der Film erinnert gleichzeitig daran, dass Muna kein Einzelfall ist. Viele Frauen versuchen, der Unterdrückung in Saudi-Arabien zu entkommen. Noch mehr scheitern jedoch daran, bleiben weiter Gefangene eines archaischen, willkürlichen Systems. Saudi Runaway wird daran kaum etwas ändern, hat aber auch nicht die Ambitionen dazu. Vielmehr schildert die Regisseurin Susanne Regina Meures (Raving Iran) eine sehr persönliche Geschichte, die für viele weitere steht. Eine Geschichte, die aufrüttelt, vieles in einem anderen Licht erscheinen lässt und einen vielleicht auch ein bisschen dankbar werden lässt, wie viele Fortschritte die Frauenrechte hierzulande gemacht haben, trotz der nach wie vor großen Defizite. Die auch Mut macht, weiter dafür zu kämpfen, dass es diese Unterschiede irgendwann nicht mehr geben wird.
OT: „Saudi Runaway“
Land: Schweiz
Jahr: 2020
Regie: Susanne Regina Meures
Musik: Karim Sebastian Elias, Max Richter
Kamera: Muna
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
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Europäischer Filmpreis | 2020 | Bester Dokumentarfilm | Nominierung | |
European University Film Award | Sieg |
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