Pierre Perdrix (Swann Arlaud) schätzt sein ruhiges, geregeltes Leben, das er da als Polizist führt. Er hat zu tun, wird gebraucht, weiß, wie der Hase läuft. Außer es handelt sich dabei um nackte Hasen. Oder fast nackte. So wie Juliette (Maud Wyler), die von einer Gruppe anarchischer Nudisten ausgeraubt wurde und bei ihm auf der Wache auftaucht. Für Pierre, der ein Haus mit seiner Mutter Thérèse (Fanny Ardant), seinem geschiedenen Bruder Juju (Nicolas Maury) und dessen Tochter Marion (Patience Munchenbach) teilt, ist das ein bisschen viel. Zumal Juliette auch keine Anstalten macht, wieder aus seinem Leben zu verschwinden – was dem Polizisten nach einer Weile irgendwie auch ganz recht ist …
Das französische Kino wird hierzulande gerne mal mit gefälligen, romantischen Komödien gleichgesetzt, in denen die Liebe noch mit verschnörkelten Großbuchstaben geschrieben wird. Aber die Grande Nation hat auch diverse Filmemacher hervorgebracht, welche sich auf surreale Komödien verstehen. Hierzulande ist Quentin Dupieux einer der bekannteren Vertreter, Filme wie Wrong oder Die Wache haben einen gewissen Kultstatus erreicht durch die Umwandlung des Alltäglichen in das Außergewöhnliche. Da darf es schon mal im Inneren regnen oder man von Traum zu Traum hüpfen, auf der Suche nach Wahrheit und erlösenden Auflösungen.
Der nackte Spaß
The Bare Necessity, welches letztes Jahr in Cannes Premiere feierte und anschließend auf diversen deutschen Festivals zu sehen war, ist eine Art Mischung aus beidem. Äußerst skurril fängt die Geschichte an, wenn eine Bande wildgewordener Nudisten ihr Unwesen treibt und alles mopst, was den Angezogen gehört. Inklusive der Kleidung. Da sind einige wunderbare Szenen dabei, so einfach wie durchgeknallt, wenn nicht nur der verwirrte Polizist Perdric einen Sinn in dieser Revolution sucht, sondern das Publikum gleich mit. Man darf es aber auch bleiben lassen und einfach die Bilder genießen, die mal schön, mal komisch sind, manchmal beides auf einmal.
Gleichzeitig ist The Bare Necessity, welches im Original nach der Hauptfigur Perdrix benannt wurde, aber auch die Geschichte der Liebe. Das betrifft – na klar! – Pierre und Juliette. Wenn zwei Singles, die sich ein bisschen schwer tun mit der Gefühlswelt viel Zeit miteinander verbringen, dann muss da am Ende schon was bei rumkommen. Wenn die Welt schon bekloppt ist, zumindest darauf ist Verlass. Doch Regisseur und Drehbuchautor Erwan Le Duc, der hier sein Spielfilmdebüt gibt, räumt auch der Familie des Protagonisten viel Raum ein, die alle ihre eigenen Erfahrungen und Ansichten zu Gefühlen haben.
Die eigenwillige Welt der Liebe
Das ist auch wunderbar besetzt, ob Fanny Ardant als Weisheiten ins Mikro hauchende Grande Dame der Liebe oder der mürrisch bis zynisch auftretende Nicolas Maury, Le Duc hat schon darauf geachtet, mit sehr markant gezeichneten Figuren den kleinen malerischen Ort in den Alpen zu füllen. Von der restlichen Bevölkerung bekommt man eher wenig mit, was ein bisschen schade ist. Viele erfüllen hier in erster Linie eine Funktion, sofern sie überhaupt mehr sind als Hintergrundelemente. Aber man ist auch so ganz gut beschäftigt mit den eigenwilligen Charakteren, die einen speziellen Charme haben.
Den hat The Bare Necessity auch. Gegen Ende geht dem Film ein bisschen das Besondere verloren, verlagert den Schwerpunkt vom Surrealen zum Romantischen. Aber sie geht doch auch zu Herzen, diese Mischung aus Poesie und Blödsinn, aus Traumartigem und Existenziellem. Wer die Chance hat, die etwas andere, zärtlich-warmherzige Komödie zu sehen und sich selbst ein bisschen für das Skurril-Schwärmerische erwärmen kann, das sich nach der großen Liebe sehnt, der wird diese hier vielleicht nicht finden, wohl aber anderthalb rührende und unterhaltsame Stunden.
OT: „Perdrix“
Land: Frankreich
Jahr: 2019
Regie: Erwan Le Duc
Drehbuch: Erwan Le Duc
Musik: Julie Roué
Kamera: Alexis Kavyrchine
Besetzung: Swann Arlaud, Maud Wyler, Fanny Ardant, Nicolas Maury, Patience Munchenbach
Cannes 2019
Filmfest Hamburg 2019
Französische Filmtage Tübingen-Stuttgart 2019
MyFrenchFilmFestival 2020
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