Weihnachten steht vor der Tür, und damit ein besinnliches Fest im Kreise der Liebsten! Oder auch der weniger lieben Menschen. Tatsächlich dauert es nicht lange in dem eingeschneiten Familienanwesen, bis die Fetzen fliegen. Dabei hat es so nett angefangen: Suzon (Virginie Ledoyen) ist aus England zurück, freut sich auf ihre Schwester Catherine (Ludivine Sagnier), ihre Mutter Gaby (Catherine Deneuve), ihre Großmutter (Danielle Darrieux). Gut, dass ihre Tante Augustine (Isabelle Huppert) dabei ist, das ist weniger Grund zur Freude, treibt sie doch jeden mit ihrer Besserwisserei in den Wahnsinn. Aber das eigentliche Unglück kommt erst, als das Dienstmädchen Louise (Emmanuelle Béart) das Familienoberhaupt Marcel ermordet in seinem Zimmer auffindet. Da zudem niemand in das Haus herein oder hinaus kann, ohne bemerkt zu werden, ist klar: Eine der Frauen im Haus – wozu auch Pierrette (Fanny Ardant), die Schwester des Toten, sowie die Haushälterin Chanel (Firmine Richard) zählen – muss die Täterin sein …
Er wollte unbedingt einen Film über Frauen drehen, erklärte François Ozon (Gelobt sei Gott) die Entstehungsgeschichte von 8 Frauen. Fündig wurde er bei einem Theaterstück von Robert Thomas aus den 50ern, das auch schon einmal verfilmt wurde. Wie der Titel bereits verrät, dreht sich hier alles um die Frauen in dem Haushalt. Der einzige Mann, das ermordete Familienoberhaupt, ist zwar Katalysator für alles, das geschieht. Auf den Ablauf der Geschichte hat er aber keinen Einfluss. Er ist kaum zu sehen, ein paar winzige Aufnahmen, teils als Flashback eingearbeitet, mehr bekommt er nicht. Er hat auch nichts zu sagen, bei Ozon haben allein die Frauen das Wort.
Jede Frau für sich allein
Tatsächlich vermissen wird ihn hier aber keiner, dafür ist das weibliche Umfeld zu ausdrucksstark, zu variantenreich auch. Vom kleinen unschuldigen Küken bis zum großen Vamp ist alles dabei, dazwischen wird noch kräftig Gift versprüht, durch Augustine, durch andere. 8 Frauen ist eben kein Film über Gemeinschaft, über weiblichen Schulterschluss. Wenn hier gegen die Normen und Moralvorstellungen der Zeit rebelliert wird – der Film spielt im Jahr 1953 –, dann nicht mittels gegenseitiger Unterstützung. Stattdessen geschieht dies auf dem Rücken der anderen, im Zweifel ist sich jede Frau dann doch selbst die nächste. Da wird geschimpft, attackiert, manchmal auch kräftig intrigiert.
Dieser Zickenkrieg steht dabei in einem deutlichen Kontrast zum eigentlich sehr freundlichen Ambiente. Das schöne Anwesen ist idyllisch gelegen, alles ist schön bunt, in der Nähe tummeln sich Rehe im Schnee, als wären wir mitten in einem Disney-Film gelandet. Bis der Mord geschieht. Bis alles eskaliert, man sich gegenseitig an die Gurgel geht. Auch wenn das Szenario Erwartungen an einen klassischen Whodunnit-Krimi weckt – der Theater-Klassiker Die Mausefalle von Agatha Christie spielt ebenfalls in einem eingeschneiten Haus, wo ein Mord geschieht –, mit einem solchen ist 8 Frauen nur bedingt zu vergleichen. Die Aufklärung des Verbrechens ist zwar Ziel und Antrieb, wird von Ozon aber nur als Anlass genutzt, ist oft mehr Krimi-Parodie als tatsächlicher Krimi. Stattdessen ist sein Werk gleichzeitig Porträt der Protagonistinnen wie auch der Zeit, in der sie leben.
Kunterbunter Kampf um die Selbstverwirklichung
Von der Freiheit in den 1960ern ist man hier noch weit entfernt, im Schutz der abgelegenen Villa versucht man sich am Tabubruch und einer Selbstentdeckung. Die einzelnen Schicksale könnten dabei auch einem Schundroman entnommen sein, von Ehebruch über Homosexualität bis zu ungewollten Schwangerschaften ist alles dabei, das eine Seifenoper gebrauchen kann. Gleichzeitig liegt oft aber auch eine tatsächliche Tragik in den Geschichten, erzählt von unerwiderten Gefühlen, von dem Druck der Erwartungen, von Klassenkämpfen, von der Sehnsucht, man selbst sein zu dürfen. Verpackt wird das in eine bonbonfarbene Revue voller Gesangseinlagen, die nicht grundlos an Klassiker wie Die Regenschirme von Cherbourg erinnern. Schließlich hat Catherine Deneuve damit damals ihren Durchbruch geschafft.
8 Frauen ist deshalb nicht nur eine eigenwillige Mischung aus Komödie und Krimi, aus Gesellschaftsporträt und Musical. Der Film ist auch eine Liebeserklärung an das Kino an sich, ist vollgestopft mit Verweisen und Zitaten und Erinnerungen. Wenn sich zum Schluss das Ensemble an den Händen fasst und vor dem Publikum verbeugt, wie es eben im Theater üblich ist, dann ist es gleichzeitig eine Verbeugung vor den eigenen Wurzeln. Das ist natürlich gekünstelt ohne Ende, so sehr mit Spielereien beschäftigt, dass die eigentliche Geschichte oft eher stiefmütterlich behandelt wird. Aber es ist eben auch ein großer Spaß, umso mehr, da das bestens aufgelegte Ensemble sowohl in den Solo-Momenten wie auch im Zusammenspiel brilliert – von der biestigen Huppert über die kindliche Sagnier bis zu den großen Diven Deneuve und Ardant, die sich bekriegen und dabei doch mehr gemeinsam haben, als sie zugeben wollen.
OT: „8 femmes“
Land: Frankreich
Jahr: 2002
Regie: François Ozon
Drehbuch: François Ozon, Marina de Van
Vorlage: Robert Thomas
Musik: Krishna Levy
Kamera: Jeanne Lapoirie
Besetzung: Danielle Darrieux, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert, Emmanuelle Béart, Fanny Ardant, Virginie Ledoyen, Ludivine Sagnier, Firmine Richard
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
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Berlinale | 2002 | Goldener Bär | Nominierung | |
Silberner Bär für das beste Ensemble | Sieg | |||
César | 2003 | Bester Film | Nominierung | |
Beste Regie | François Ozon | Nominierung | ||
Beste Hauptdarstellerin | Fanny Ardant | Nominierung | ||
Beste Hauptdarstellerin | Isabelle Huppert | Nominierung | ||
Beste Nebendarstellerin | Danielle Darrieux | Nominierung | ||
Beste Nebendarstellerin | Ludivine Sagnier | Nominierung | ||
Bestes Drehbuch | François Ozon, Marina de Van | Nominierung | ||
Beste Kamera | Jeanne Lapoirie | Nominierung | ||
Beste Musik | Krishna Levy | Nominierung | ||
Beste Kostüme | Pascaline Chavanne | Nominierung | ||
Bestes Szenenbild | Arnaud de Moleron | Nominierung | ||
Bester Ton | Pierre Gamet, Benoît Hillebrant, Jean-Pierre Laforce | Nominierung | ||
Europäischer Filmpreis | 2002 | Bester Film | Nominierung | |
Beste Regie | François Ozon | Nominierung | ||
Bestes Drehbuch | François Ozon, Marina de Van | Nominierung | ||
Beste Darstellerin | Catherine Deneuve, Isabelle Huppert, Emmanuelle Béart, Fanny Ardant, Virginie Ledoyen, Danielle Darrieux, Ludivine Sagnier, Firmine Richard | Sieg | ||
Prix Lumières | 2003 | Beste Regie | François Ozon | Sieg |
Berlinale 2002
Venedig 2002
Toronto International Film Festival 2002
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