Effacer l’historique Delete History
© Les Films du Worso / No Money Productions

Online für Anfänger

Kritik

„Online für Anfänger“ // Deutschland-Start: 28. Oktober 2021

Marie (Blanche Gardin), Bertrand (Denis Podalydès) und Christine (Corinne Masiero) leben in einen kleinen französischen Vorort und lernten sich über die Gelbwesten-Bewegung kennen. Alle drei kämpfen an ganz unterschiedlichen Fronten gegen die digitale Übermacht, die mittlerweile ihr Leben bestimmt. Marie wird mit einem Sexvideo erpresst, Betrand verliebt sich in die Telefonstimme aus Mauritius und Christine fragt sich, warum ihr Uberservice nicht über die Ein-Stern-Bewertung hinauskommt. Am Ende sind sich jedoch alle einig und sagen den gesichtslosen Technik-Giganten und der ominösen Datenkrake den Kampf an.

Das französische Regieduo Benoît Delépine und Gustave Kervern sind auf der Berlinale tatsächlich keine unbekannten Gesichter. Bereits zwei ihrer filmischen Kooperationen starteten in den vergangenen Jahren auf dem Filmfestival der Hauptstadt. 2010 war es Mammuth und 2016 Saint Amour. Online für Anfänger ist nun die nunmehr zehnte Zusammenarbeit der Regisseure, die wie die beiden Festivalvorgänger ebenfalls als Komödien-Drama daherkommt. Als einziger Vertreter seines Genres startete der Film dieses Jahr im Wettbewerb der 70. Berlinale und wurde am Ende sogar noch mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet.

Der alltägliche Technikwahnsinn

Die Idee für ihren Film schöpften die Regisseure dabei aus dem alltäglichem Leben. Oder besser gesagt aus dem täglichen Wahnsinn und Irrsinn, welches das digitale Zeitalter bereithält. Der telefonische Kundendienst, der den Service ad absurdum treibt oder das Drama um Passwörter, die man sich eh schon lange nicht mehr merken kann, sind da nur einige der Situationen, die von dem Film aufgegriffen werden, nicht zuletzt um dem Zuschauer dadurch auch den Spiegel vorzuhalten.

Hier nutzt Online für Anfänger also ganz klar seine Aktualität und baut auf  Zuschauernähe. Die drei Hauptfiguren tappen währenddessen von einem technischen Fauxpas in den nächsten und lassen dabei keine Gelegenheit aus, das Ganze auf die Spitze zu treiben. Klein angefangen bei Marie, die beispielsweise eigentlich nur ihr Handyladekabel sucht, sich dabei im Kabelsalat aber erst einmal auf eine Reise durch ihre Mobilfunkhistorie begibt. Betrand hingegen genießt die unermüdlichen Werbeanrufe und lässt diese seinerseits eigentlich schon zur Datinghotline ausarten. Christine ist aber dann doch noch ein ganz besonderer Härtefall. Sie verlor ihren Job im Atomkraftwerk, da sie selbst am Arbeitsplatz nicht die Finger von Dr. House lassen konnte und ihr dadurch ein schwerwiegender Fehler unterlief. Kann eben schon mal passieren, wenn man seriensüchtig ist und sich dem Bingewatching nicht mehr entziehen kann.

Drama im Schnelldurchgang

So hangelt sich der Film von bissiger Pointe zu Pointe und wird zu einer Art satirischem Stand-up-Comedy-Programm. Viele Witze sitzen während der fast zwei Stunden tatsächlich. Allerdings hat man etliches genauso gut anderweitig schon mal irgendwo gesehen, weshalb gewisse Szenen nur noch bedingt funktionieren. Online für Anfänger kann dadurch tatsächlich zu einer Herausforderung werden, jedoch leider weniger im positiven Sinne. Spätestens nach der Hälfte wird das Pointenfeuer, das hier gezündet wird, doch etwas ermüdend, wenn nicht sogar dröge und verliert zusehends seinen Reiz. Dabei hat die Geschichte gleichzeitig eine sehr ernsthafte und eigentlich tief traurige Seite zu bieten. Klar, Online für Anfänger ist eine Tragikkomödie. Dass die Hauptfiguren zwischen all dem Klamauk auch gegen soziale Isolation, Überschuldung, Cybermobbing und Erpressung kämpfen müssen, kommt aber einfach deutlich zu kurz.

Die Dramatik hätte man an der Stelle wohl noch sehr viel prägnanter herausarbeiten können, wenn die Figuren einfach mehr Persönlichkeit zugestanden bekommen hätten. Denn auch wenn man beispielsweise dazu neigt, sich über Bertrand amüsieren zu wollen, der vor Rührung in Tränen ausbricht, wenn seine Tochter lediglich für Sekunden vom Handy aufblickt, das Abendessen mit einem einsilbigen „Cool“ abtut und so ein winziges Fünkchen Interesse vorheuchelt, so bleibt einem das Lachen dabei im Halse stecken. Hätte man mit derartig bitteren Situationen mehr gespielt und den Zuschauer viel öfter von einem Extrem zum anderen geführt, hätte Online für Anfänger durchaus zu einem Film werden können, an den man sich noch einige Zeit später erinnert oder der auch ein klein wenig zum Umdenken anregt. So bleiben vielmehr vereinzelte Gags im Gedächtnis als die Moral der Geschichte. Angesichts der globalen Entwicklung, die am Ende jeden trifft, eine mehr als vertane Chance.

Credits

OT: „Effacer l’historique“
Land: Frankreich
Jahr: 2020
Regie: Benoît Delépine, Gustave Kerver
Drehbuch: Benoît Delépine, Gustave Kerver
Musik: Thibault Deboaisne
Kamera: Hugues Poulain
Besetzung: Blanche Gardin, Denis Podalydès, Corinne Masiero, Vincent Lacoste, Benoît Poelvoorde, Denis O’Hare, Jean-Louis Barcelona, Jackie Berroyer

Bilder

Trailer

Filmpreise

Preis Jahr Kategorie Ergebnis
César 2021 Bestes Original-Drehbuch Benoît Delépine, Gustave Kervern Nominierung

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Eine solide wenn auch kurzweilige bittersüße Satire zum heutigen Technikwahn, die mit vielen Lachern punktet, an Aktualität wohl kaum zu übertreffen ist, aber am Ende ihr volles Potenzial nie wirklich auszuschöpfen weiß und damit ziemlich schnell wieder in Vergessenheit gerät. Fans des Regieduos Deléphine und Kervern werden mit „Delete History“ aber dennoch erneut vollends auf ihre Kosten kommen.
5
von 10