Heutzutage ist es üblich, dass an einem Animationspielfilm Dutzende, wenn nicht Hunderte Menschen arbeiten. Dass das auch ganz anders geht, zeigt das Beispiel Away – Vom Finden des Glücks (Kinostart: 5. März 2020) über einen Jungen, der auf einer einsamen Insel landet und nun nach einem Weg nach Hause sucht. Denn Gints Zilbalodis hat in mühevoller Kleinstarbeit und komplett in Eigenregie das auf vielen Festivals gezeigte Abenteuer umgesetzt. Welche Erfahrungen er dabei gesammelt hat, welche Entscheidungen er dabei treffen musste und wohin die Reise geht, hat uns der lettische Nachwuchsregisseur im Interview verraten.
Away ist dein erster Spielfilm. Könntest du uns ein bisschen erzählen, was du davor so getan hast?
Ich habe vorher einige Kurzfilme gedreht, alle in unterschiedlichen Techniken. Einer war handgezeichnet, einer war Live-Action, die anderen CGI. Mich interessieren also alle Techniken, die es so gibt. Auf eine gewisse Weise habe ich die auch alle in Away angewendet. Der Film ist in 3D. Ich wollte aber den Look von 2D-Filmen beibehalten. Außerdem wollte ich die Kamera so nutzen wie in einem Dokumentarfilm, mit kleinen Wacklern, so als wäre es eine Handkamera. Und auch die sehr langen Einstellungen sind in Animationsfilmen eher unüblich.
Und wie hast du dir diese Techniken angeeignet?
Die habe ich mir selbst beigebracht. Eine Filmhochschule habe ich nie besucht. Stattdessen habe ich direkt mit den Kurzfilmen angefangen. Einer wurde auch auf Festivals gezeigt, wodurch ich dann das Geld bekommen habe für die nächsten Kurzfilme.
Wolltest du denn schon immer Filmemacher werden?
Ich denke schon, ja. Wann genau, kann ich heute nicht mehr sagen. Aber ich wollte schon früh Filme drehen. Nur ist das gar nicht so einfach, wenn du kein Geld hast. Deswegen habe ich auch diese Animationsfilme gemacht, weil ich dort mehr Freiheiten hatte. Ich konnte auf diese Weise Geschichten erzählen, die als Live Action unmöglich gewesen wären. Ich konnte außerdem die Filme ganz alleine machen und musste deshalb keine Kompromisse eingehen, wie du es bei einer Teamproduktion musst. Ich würde mich aber nicht als Animationsfilmemacher bezeichnen. Ich könnte mir auch gut vorstellen, einmal einen Realfilm zu drehen.
Als du dann mit Away angefangen hast, was waren deine Inspirationen?
Jede Menge. Da gab es Filme mit ganz einfachen Erzählungen, Der General von Buster Keaton zum Beispiel, der im Prinzip nur eine einfache Jagd ist. Ähnlich wie bei Away. Dann Duell von Steven Spielberg. Aber auch Videospiele wie Journey oder Shadow of Colossus. Studio Ghibli-Filme. Also sehr unterschiedliche Einflüsse.
Gab es bei Away vorher eine komplette Geschichte oder hast du zuerst an einzelnen Szenen gearbeitet, die später zusammengefügt wurden?
Ich hatte vorher kein wirkliches Drehbuch. Ideen hatte ich zwar jede Menge. Aber nicht alle davon waren bis ins Detail ausgearbeitet. Ich habe einfach angefangen, ohne Storyboards, und ein bisschen herumexperimentiert. Das war wie in einem Dokumentarfilm, wo du ganz viel Material drehst, aus dem du dir am Ende deinen Film bastelst. Die Geschichte entwickelte sich unterwegs, war also eher spontan und improvisiert. Bei Animationsfilmen ist das eigentlich nicht üblich. Die sind normalerweise durchgeplant. Das hat bei Away auch nur funktioniert, weil ich den Film eben alleine gemacht habe. Wenn du mit einem Team arbeitest, dann müssen die alle auf einem gemeinsamen Stand sein. Bei meinem nächsten Film werde ich versuchen, ein bisschen traditioneller zu sein, so richtig mit Drehbuch und allem. Ein wenig will ich mir aber auch dann noch von dieser Independent-Spontaneität bewahren.
War es immer geplant, dass Away ein Independent-Film ist? Oder hattest du auch darüber nachgedacht, zum Beispiel mit einem Studio zusammenzuarbeiten?
Das nicht. Als ich angefangen habe, war ich noch sehr jung und unerfahren und kannte kaum jemanden in dem Bereich. In Lettland gibt es keine wirkliche Animationsindustrie, die sind alle unabhängig, denke ich. Ich hätte also wenn dann ins Ausland gehen müssen. Außerdem war ich es durch meine Kurzfilme einfach gewohnt, so zu arbeiten. Ich war einfach noch nicht bereit dafür, in einem Team zu arbeiten. Jetzt fühle ich mich durch die Erfahrungen aber sicherer, um auch mit anderen zu arbeiten.
Wie würdest du denn reagieren, wenn jetzt ein Studio zu dir käme und anbietet, an ihrem neuen Film zu arbeiten? Würdest du das tun?
Vielleicht. Es hängt von dem Studio ab. Aber momentan bin ich noch zu sehr mit meinem eigenen Film beschäftigt und versuche erst einmal herauszufinden, in welche Richtung er gehen soll und was die Geschichte ist. Er soll auf jeden Fall größer werden, mit mehr Figuren, weshalb ich wahrscheinlich schon nach Leuten suchen werde, die mir helfen.
Wie hast du Away finanziert?
Ich hatte ein Budget durch eine staatliche Förderung. Es war jedoch ziemlich klein. Es gibt Kurzfilme, die ein größeres Budget hatten als Away. Aber das war okay, weil ich wie gesagt alles selbst gemacht habe und von zu Hause aus daran arbeiten konnte. Ich habe auch die Geschichte so angelegt, mit diesen Einschränkungen im Blick, damit das funktionieren kann. Indem die Geschichte auf einer einsamen Insel spielt, gibt es kaum Figuren und keine Dialoge. Es ist einfach niemand da, mit dem sich der Junge unterhalten könnte. An anderen Stellen haben diese Einschränkungen dem Film sogar geholfen. Es gibt eine Szene, in der lauter Katzen auftauchen. Ursprünglich wollte ich sie alle unterschiedlich designen. Dann habe ich aber doch per copy and paste nur ein Design vervielfältigt, weil der Aufwand sonst zu groß geworden wäre. Jetzt sieht es so aus, als wären die Katzen ein einziges Wesen mit einem gemeinsamen Bewusstsein.
Wie lange hast du insgesamt an dem Film gearbeitet?
Der gesamte Prozess waren ungefähr dreieinhalb Jahre, in denen ich praktisch jeden Tag daran gearbeitet habe. Das hört sich nach viel an, im Bereich Animation ist das aber normal. Außerdem gab mir das ein bisschen Beständigkeit, weil ich wusste, dass ich ein paar Jahre erst einmal beschäftigt sein würde und keinen neuen Job suchen muss.
Was waren die größten Herausforderungen während dieses Prozesses?
Die Punkte, die den Job einfacher und spaßiger gemacht haben, waren letztendlich auch die herausforderndsten. Die Gleichmäßigkeit, die Routine, immer nur eine Sache zu machen, das kann manchmal auch langweilig sein. Ansonsten gab es aber kaum größere Herausforderungen. Ich habe einmal diverse Dateien verloren und musste daraufhin die Szenen noch einmal komplett von vorne machen. Das war schon sehr stressig. Aber es hatte auch einen Vorteil. Die verlorenen Szenen waren die, die ich ganz am Anfang gemacht hatte, und die sahen einfach nicht so gut aus wie die späteren, die ich im Anschluss gemacht habe, als ich schon mehr Erfahrung hatte. Es hat dem Film glaube ich geholfen, sie noch einmal neu machen zu müssen.
Warum hast du den Titel Away gewählt?
Ich habe lange darüber nachgedacht. Er sollte natürlich relevant für die Geschichte sein, gleichzeitig das Publikum ansprechen. Außerdem musste er gut auf dem Poster wirken. Der Junge in der Geschichte ist in mehrfacher Hinsicht verloren. Er ist weit weg von zu Hause und versucht wieder zurückzukommen.
Gleichzeitig vermittelt der Film aber auch dieses Gefühl des Staunens und des Entdeckens, wenn man eine völlig fremde Welt erkundet und Abenteuer erlebt. Ist Away ein Film über das Heimkommen oder das Fortgehen?
Ich denke, dass es beides ist. Der Film handelt auch davon, die eigene Komfortzone zu verlassen. Am Anfang findet der Junge einen Ort, an dem er alles hat, was er braucht und wo er bleiben könnte, so lange er will. Aber er beschließt, das alles zu riskieren und die Sicherheit hinter sich zu lassen, um andere Menschen zu finden und nach Hause zu kommen. Wobei ein Zuhause nicht zwangsweise ein Ort sein muss. Es kann auch bedeuten, eine Verbindung zu anderen zu finden.
Gibt es denn noch Orte und Länder, die du selbst gern sehen und erkunden wolltest?
Sicher. Aber ich war durch Away selbst so viel weg, war auf so vielen Festivals, dass ich jetzt ganz froh bin, erst einmal nicht mehr reisen zu müssen. Ansonsten kann Reisen aber sehr inspirierend sein. Viele meiner Ideen für Away hatte ich, als ich unterwegs war und allein in der Wildnis. Ich war in Island unterwegs und in Japan, was mir sehr viel gebracht hat. Die Insel im Film setzt sich aus vielen Erfahrungen zusammen.
Die Reise ist am Ende des Films noch nicht wirklich vorbei für den Jungen. Könntest du dir vorstellen, eine Fortsetzung zu Away zu machen?
Keine direkte Fortsetzung. Denn das würde bedeuten, eine Geschichte zu erzählen, die auf Dialogen basiert. Und ganz so weit bin ich dann doch nicht. Einige der Themen, die in Away vorkommen, werden mich aber auch beim nächsten Film begleiten.
Worum soll es denn in dem nächsten Film gehen?
Es soll um eine Gruppe von Leuten gehen, die auf engem Raum zusammen sind und dadurch gezwungen werden zusammenzuarbeiten. Away spiegelte ein bisschen meine Erfahrungen wider, einen Film ganz alleine zu machen, mit dem Jungen, der sich allein durch die Wildnis schlägt. Beim neuen Film wird sich viel um Kooperation drehen, weshalb auch der Film in einer Kooperation entstehen soll.
Wie weit bist du mit dem Film?
Momentan bin ich noch in der Entwicklungsphase, probiere verschiedene Techniken aus, entwerfe die Figuren und arbeite an der Geschichte. Es geht gut voran. Ein paar Jahre wird es aber noch dauern, bis er fertig ist.
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