Eine polnische Kleinstadt im Jahr 1984: Als in einem Wald ein Jugendbetreuer und eine Prostituierte tot aufgefunden werden, wird der Fall von der Polizei schnell zu den Akten gelegt. Warum auch nicht? Schließlich wurde der Täter bereits gefunden, gestanden hat er auch schon. Der Rest sind nur Formalitäten. Außer für den Journalisten Piotr Zarzycki (Dawid Ogrodnik), der kürzlich mit seiner Frau Teresa (Zofia Wichlacz) aus Krakau hierhergezogen ist, um ein neues Leben zu beginnen. Er und sein älterer Kollege Witold Wanycz (Andrzej Seweryn) werden schnell misstrauisch und beginnen deshalb, auf eigene Faust zu ermitteln. Tatsächlich stoßen sie dabei auf Ungereimtheiten – aber auch auf erbitterten Widerstand durch ihren Chef und die Polizei, die am liebsten die ganze Geschichte begraben würden …
Abgründe lassen sich doch wirklich überall finden, wenn man nur danach sucht. Und die findigen Programmer bei Netflix tun das ohne jeden Zweifel, importieren derzeit aus allen Ecken und Enden dieser Welt düstere Serien aus dem Krimi- und Thrillerbereich. So schickte etwa Österreich Freud ins Rennen, aus Schweden kam Kalifat, The Valhalla Murders ist eine isländische Produktion. Und das sind nur die aktuellsten Beispiele, im Sortiment des Streamingdienstes tummeln sich inzwischen die unterschiedlichsten Genrevertreter. Da passt Im Sumpf natürlich wunderbar ins Konzept – und das nicht nur seines Titels wegen.
Das verrate ich nicht …
Einen Sumpf im eigentlichen Sinn wird man hier vergebens suchen, allenfalls im übertragenen Sinn. Stattdessen gibt es einen Wald, von dem immer mal wieder gemunkelt wird, dass dort etwas Unheimliches vor sich geht, auch wegen einer Vorgeschichte, die nur geflüstert wird, nicht ausgesprochen werden darf. Das Motiv des Schweigens bzw. Verschweigens taucht immer mal wieder in der polnischen Serie auf. Das betrifft nicht nur die Täter, die aus naheliegenden Gründen nicht wollen, dass man über sie spricht. Es betrifft praktisch jeden hier: Düstere Geheimnisse gehören in der Provinz zum festen Lebenskonzept, ebenso dass man irgendwelche verbotenen Sachen macht.
Das gilt interessanterweise auch für das Ermittlerduo. Zwar hat es sich in den letzten Jahren durchaus etabliert, dass die Protagonisten und Protagonistinnen von Krimis und Thrillern nicht mehr die strahlenden Heldengestalten sind, die sie mal waren. Familiäre Probleme sind Standard, dazu vielleicht die eine oder andere Abhängigkeit – je kaputter, desto besser. In einem Umfeld, das komplett verdorben ist, werden dennoch gern moralische Instanzen platziert, als Alternative. Das funktioniert jedoch weniger, wenn der Held schon nach ein paar Minuten die hochschwangere Frau mit einer Zufallsbegegnung betrügt. Und das, obwohl er nicht mal von hier ist.
Ein Sumpf des Sumpfes willen
Das Hauptaugenmerk von Regisseur und Co-Autor Jan Holoubek liegt dann auch darin, eine möglichst finstere Atmosphäre zu schaffen, innerhalb derer man kaum einen Schritt gehen kann, ohne sich das Genick zu brechen. Das gelingt ihm gut, auch wegen der Bilder, über denen immer ein Grauschleier zu hängen scheint. Das ähnelt Freies Land Anfang des Jahres: Wo der deutsche Thriller die Perspektivlosigkeit nach der Wende in der Provinz nachzeichnete, da nimmt sich Im Sumpf des polnischen Kommunismus vor, der in den 80ern langsam seinem Ende zugeht. Da ist viel davon die Rede, dass die Sachen einfach so sind, verkrustete Strukturen und dubiose Seilschaften bestimmen den Alltag, man ertränkt die innere Leere in Alkohol oder Sex.
Als Porträt ist das ausgesprochen stimmungsvoll, zumal sich alle Beteiligten in ihren jeweiligen Rollen fallenlassen. Als tatsächlicher Krimi ist Im Sumpf hingegen zu vernachlässigen. Die Zahl der Verdächtigen ist sehr überschaubar, weshalb die fünf Folgen mit diversen Nebenhandlungen gefüllt werden müssen. Die tragen dann zwar ebenfalls zur Atmosphäre bei, jedoch nicht wirklich zum Inhalt. Man hat bei der Serie weniger das Gefühl tatsächlich mit der Geschichte voranzukommen. Stattdessen versinkt man nur immer tiefer im Morast, weiß zum Ende hin nicht mehr, wo man gerade ist, einiges spielt eigentlich überhaupt keine Rolle. Zusammen mit der eher spärlichen Handlung – es wird eher auf Psychoterror gesetzt –, könnten die Ermittlungen manchen zu langweilig und träge sein. Wer sich jedoch darauf einlässt auf diese Reise in den Abgrund und mehr am Weg als dem Ziel interessiert ist, der bekommt hier schon einiges geboten.
OT: „Rojst“
IT: „The Mire“
Land: Polen
Jahr: 2018
Regie: Jan Holoubek
Drehbuch: Jan Holoubek, Kasper Bajon
Musik: Jan Komar, Malgorzata Penkalla
Kamera: Bartlomiej Kaczmarek
Besetzung: Dawid Ogrodnik, Andrzej Seweryn, Zofia Wichlacz, Magdalena Walach, Piotr Fronczewski, Agnieszka Zulewska, Ireneusz Czop, Zbigniew Walerys
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