Kalifat caliphate Netflix
© Netflix/SVT

Kalifat – Staffel 1

Kritik

Kalifat caliphate Netflix
„Kalifat – Staffel 1“ // Deutschland-Start: 18. März 2020 (Netflix)

Für Pervin (Gizem Erdogan) steht fest: Sie muss raus aus dem Land, weg von Syrien, irgendwohin, wo es sicher ist, und sei es nur wegen ihres kleinen Kindes, das sie in Sicherheit bringen muss. Doch ihr Mann Hasum (Amed Bozan) will nichts davon wissen. Im Gegenteil: Als Mitglied von ISIS ist er an vorderster Front und will die Ungläubigen dem Erdboden gleichmachen. Fatima (Aliette Opheim) wiederum will genau das verhindern. Aus diesem Grund schlägt die schwedische Polizistin Pervin einen Deal vor: Sie soll alles über den Anschlag und den mysteriösen Reisenden (Lancelot Ncube) in Erfahrung bringen, dafür wird ihr die Ausreise nach Schweden versprochen. Der Reisende wiederum ist längst an seinem Ziel angekommen und hat die Schülerinnern Sulle (Nora Rios) und Kerima (Amanda Sohrabi) für seine Zwecke eingespannt …

Schon seit einer Weile haben Kino und Fernsehen islamistische Terroristen als das ideale Feindbild für sich entdeckt. Aus gutem Grund: Sie sind leicht darzustellen, dazu automatisch unheimlich mit ihren fanatischen Ansichten. Andere Menschen aufgrund ihres Glaubens umzubringen? Am Ende noch durch ein Selbstmordattentat? Das ist zumindest im Westen nur schwer zu verstehen. Im Gegensatz zu dem früher üblichen Feindbild des bösen Russen ist es auch schön universell, da ISIS und Co. ja nicht müde werden, sich selbst als Antagonisten in Szene zu setzen, diese Aufmerksamkeit auch zu genießen. Da braucht es dann auch keine Ambivalenz oder Feinschliff, es reicht Männern mit krausem, langen Bart und einer etwas dunkleren Hautfarbe eine Waffe in die Hand zu drücken.

Bösewichte aus dem Katalog
In der Netflix-Serie Kalifat gibt es die auch. Zumindest die Vertreter in Syrien selbst entsprechen schön dem von allen Seiten gezeigten Klischee, dürfen bis auf Flüche und apokalyptische Drohungen nichts von sich geben. Interessanter sind da schon die Terroristen, die auf schwedischem Boden unterwegs sind. Der Reisende, richtiger Name Ibbe, ist ein freundlicher, höflicher Mann mit gepflegtem Aussehen, also ganz anders als das Feindbild des brüllenden Brutalos. Noch schockierender sind die blonden Skandinavier, die man auf den ersten Blick für Nazis halten könnte, dann aber doch im Auftrag des Islamismus unterwegs sind. Warum, das wird nicht so klar, die von Wilhelm Behrman entworfene Serie gibt sich nicht sonderlich viel Mühe dabei, den Fanatikern über ihre Gewaltsucht hinaus Kontur zu verleihen.

Aber um die Männer geht es in Kalifat ohnehin nicht wirklich. Die Geschichte dreht sich vielmehr um die Frauen, die – durch die Männer – in diese Situation hineingezogen werden. Während die Stränge von Pervin und Fatima dabei immer wieder Berührungspunkte haben, die beiden zumindest ein zusammenhängendes Ziel verfolgen, sind die Jugendlichen etwas abseits vom Geschehen. Erst spät führt die Serie das alles zusammen, auf eine nicht ganz elegante oder glaubwürdige Weise. Aber in der Hinsicht heißt es allgemein Abstriche zu machen. Dass man den Fanatikern nicht genug Hintergrund gibt, um sie verstehen zu können, ist verständlich, das würde nur die Schwarzweiß-Zeichnung verwischen. Aber auch bei den Frauen fällt es mitunter etwas schwer, alles so wirklich nachzuvollziehen.

Viel Stoff und großes Chaos
Das ist aber auch der Laufzeit geschuldet. Acht Folgen à 45 Minuten umfasst die erste Staffel, das reicht dann doch nicht ganz aus, um alles wirklich bis ins Letzte fertig zu erzählen: die Vorbereitungen auf den Anschlag, die Versuche des Anti-Terror-Kampfes, die persönlichen Befindlichkeiten. Zumal Kalifat noch das Fass aufmacht, innerhalb des Anti-Terror-Kampfes mehrere Fronten zu eröffnen, wenn Fatima auf reichlich Widerstand innerhalb der eigenen Reihen stößt. Das ist dann auch einer der interessanteren Aspekte der Serie: Während die meisten Thriller-Kollegen mit eindeutigeren Heldenkonzepten arbeiten, ist bei der Schwedin nie ganz klar, ob sie der Sache gewachsen ist und wie man zu ihr stehen soll. Schließlich nutzt sie das Leid von Pervin für ihre eigene Sache, da verschwimmen schon mal die Grenzen zwischen gut und böse.

Spannend ist die schwedische Produktion ohnehin. Neben der Frage, ob Fatima und die anderen den Terroristen zuvorkommen werden, gibt es hier auch für die anderen viele brenzlige Situationen, allen voran für Pervin. Außerdem traut sich Kalifat deutlich düsterer zu sein, als es in dem Bereich üblich ist. Gerade zum Ende hin wird dem Publikum schon richtig viel zugemutet. Auch wenn die meisten Fragen auf dem Weg dorthin beantwortet werden, die Antworten fallen teils nicht so aus, wie man es hätte erwarten können. Umso neugieriger darf man auf eine etwaige zweite Staffel sein, die hier zum Schluss ausdrücklich offen gelassen wird.

Credits

OT: „Kalifat“
IT: „Caliphate“
Land: Schweden
Jahr: 2020
Regie: Goran Kapetanovic
Drehbuch: Niklas Rockström
Idee: Wilhelm Behrman
Musik: Sophia Ersson
Kamera: Jonas Alarik
Besetzung: Gizem Erdogan, Amed Bozan, Aliette Opheim, Albin Grenholm, Nora Rios, Amanda Sohrabi, Lancelot Ncube, William Legue, Yussra El Abdouni

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„Kalifat“ erzählt auf mehrere Handlungsstränge verteilt von einem geplanten islamistischen Anschlag in Schweden und mehreren Frauen, die in die Geschichte hineingezogen werden. Das ist nicht immer alles nachvollziehbar, bei der Figurenzeichnung machte man es sich teils recht einfach. Dafür ist die Serie überaus spannend, zum Teil auch überraschend düster.
7
von 10