Sangay (Tshering Euden) hat es nicht unbedingt leicht. Ihr Vater (Dorji Gyeltshin) stellt Phallus-Holzschnitzereien her, die in der abgelegenen Gegend Bhutans für religiöse Rituale gebraucht werden und der jungen Frau viel Spott einbringen. Aber auch ihre Beziehung zu Passa (Singye) bringt ihr kein wirkliches Glück. Denn der ist verheiratet. Zwar redet er davon, seine Frau verlassen zu wollen, hat diesem Versprechen aber noch keine Taten folgen lassen. Zumal sie sich nicht von ihm vorschreiben lassen will, wie es mit ihrem Leben weitergeht. Doch je länger der Zustand andauert, je größer der Druck wird, umso mehr rumort es in ihr …
Die Welt rückt zusammen, auch filmisch, wer etwas länger sucht, kann aus allen Ecken und Enden der Erde Titel finden und auf diese Weise den eigenen Horizont erweitern. Ein in der Hinsicht noch wenig erschlossenes Land ist Bhutan, ein nur dünn besiedeltes buddhistisches Königreich in Südasien, das alte Traditionen pflegt, gleichzeitig sehr viel für den Naturschutz tut, um die unberührten, oft bergigen Landschaften bewahren zu können. Von beidem kann man sich in The Red Phallus selbst ein Bild machen, wo überlieferte Rituale auf menschenleere Naturaufnahmen treffen.
Ich sage dazu … nichts
Für ein weltoffeneres Arthouse-Publikum ist das ein Fest, gerade für ein solches, das sich gern in weitläufigen Bildern verliert. Denn von denen gibt es hier jede Menge. Regisseur und Drehbuchautor Tashi Gyeltshen ist einer von denen, die das alte Sprichwort beherzigen, dass ein Bild mehr als tausend Worte sagt. Viel gesprochen wird in seinem Drama dann auch nicht, zumindest nicht verbal. Die Dialoge sind spärlich, lassen viel Raum für eigene Gedanken. Die Kommunikation zeichnet sich eher dadurch aus, wie viel nicht offen ausgesprochen wird, dass hinter manchem Wort, hinter manchem Schweigen ebenso, mehr steckt.
Tatsächlich ist The Red Phallus ein Film, der geradezu überquillt vor Symbolik. Das können die Träume betreffen, die Gyeltshen einbaut. Aber auch die realen Szenen, sofern man diese überhaupt wirklich von den Träumen trennen kann, sparen nicht an Bildelementen, die eine eigene Geschichte erzählen. Hinzu kommt eine Atmosphäre, die so dicht ist wie der Nebel, der sich teils über die Landschaften legt. Eine Außenwelt, die gibt es zwar, so wird gemunkelt. Doch wer hier lebt, der kommt so schnell nicht weg, die Ausführungen von Passa klingen wie die Spinnereien eines Kindes.
Der Albtraum des Alltags
Das hört sich nach einem Horrorfilm an, ist auch nicht so weit von dem entfernt, was hier vor sich geht. Mit der Zeit wird die Stimmung immer düsterer, unheilvoller, die Ahnung eines unguten Endes macht sich breit. Gyeltshen zieht sich jedoch auch hier ins Nebulöse und Vage zurück. In Wahrheit geschieht in The Red Phallus nur wenig. Der Beitrag der Berlinale 2019 ist ausgesprochen ruhig, verzichtet auf eine nennenswerte Handlung, um stattdessen lieber Gefühle durch die Gegend wabern zu lassen, zwischen Sehnsucht, Unsicherheit und Wut. Gefühle, die sich manifestieren und dabei doch lange nicht wirklich konkret werden.
Doch trotz dieser unwirklichen Anmutung, die eigentliche Geschichte um eine junge Frau, die sich von den Fesseln und der Fremdbestimmung lösen will, die ist durchaus irdisch. Sie ist auch sehr universell. Die Phallus-Symbole mögen aus einem anderen Kulturkreis kommen, dort vorherrschende gesellschaftliche Normen wie die Diskriminierung von Schlachtern uns fremd erscheinen. Der Kampf zwischen Tradition und Moderne, der wird aber auch anderswo ausgetragen. Vor allem wenn diese Traditionen mit der Unterdrückung von Frauen stattfinden. Protagonistinnen, die einem solchen Käfig entkommen wollen, die hat es zuletzt einige gegeben. Doch kaum eine durfte dies mit einer derartigen Vehemenz verfolgen und vor einer vergleichbaren Kulisse.
OT: „The Red Phallus“
Land: Bhutan, Deutschland
Jahr: 2018
Regie: Tashi Gyeltshen
Drehbuch: Tashi Gyeltshen
Musik: Jigme Drupka, Frances-Marie Uitti
Kamera: Jigme T. Tenzing
Besetzung: Tshering Euden, Singye, Dorji Gyeltshin
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