Working Girls Filles de joie
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Working Girls

Kritik

Working Girls Filles de joie
„Working Girls“ // Deutschland-Start: nicht angekündigt

Axelle (Sara Forestier), Conso (Annabelle Lengronne) und Dominique (Noémie Lvovsky) mögen unterschiedlichen Alters sein und auch sonst nicht so wahnsinnig viel gemeinsam haben in ihrem Leben, eine Gemeinsamkeit haben sie schon: ihre Nebentätigkeit. Jeden Tag treffen sich die drei Französinnen auf einem Parkplatz und überqueren zusammen die Grenze nach Belgien, wo sie in einem Bordell als Prostituierte arbeiten. Stolz sind sie nicht drauf. Genauer dürfen ihre Familien nichts davon wissen. Aber es bringt Geld, das sie alle gut gebrauchen können. Doch dann kommt es zu einer Katastrophe …

Eines ist klar zu Beginn von Working Girls: Da mag es aber jemand geheimnisvoll. Drehbuchautorin Anne Paulicevich und ihr Co-Regisseur Frédéric Fonteyne zeigen am Anfang eine dubiose Nacht-und-Nebel-Aktion, bei der nicht klar ist, wer diese Leute sind und was genau sie da machen. Eine wirkliche Antwort auf die unweigerlich aufkommenden Fragen, die wird erst sehr viel später gegeben. Der Film folgt der beliebten Strategie, mit einer ungewöhnlichen, oft brenzligen Situation zu beginnen und im Anschluss zu erzählen, wie es zu eben dieser Situation gekommen ist. Im Klartext: erst das Ende, dann der Anfang, zum Schluss das Ende nach dem Ende. Das Ziel: Steigerung der Neugierde, damit man nicht gleich nach dem Vorspann wieder geht.

Ein ungewöhnlicher Ansatz
Im Fall von Working Girls ist die Strategie ein wenig überraschend, da es sich hier weder um einen Genrefilm noch eine Komödie handelt. Kleinere Anleihen von beidem gibt es zwar. So wird es hier irgendwann alles andere als liebevoll zugehen, trotz des Berufes. Gleichzeitig sind die drei Damen schon recht eigensinnig, was zu diversen komischen Auseinandersetzungen führt. Und doch haben Fonteyne und Paulicevich in erster Linie ein Drama gedreht, das von den Herausforderungen und täglichen Problemen von Prostituierten erzählt. Das braucht eigentlich keine besondere Erzählstruktur, sollte man zumindest meinen. Man kann sich auch darüber streiten, ob der Film dadurch gewonnen hat oder nicht.

Eine andere, ebenfalls unerwartete Erzähleigenheit, ist da schon schlüssiger. Der Beitrag vom International Film Festival Rotterdam 2020 präsentiert seine Geschichte dreimal, jeweils aus der Perspektive einer anderen erzählt. Manche Situationen wiederholen sich dadurch, wenn es zu Überschneidungen kommt. Andere sind exklusiv auf eine der drei Figuren bezogen. Auch das findet sich normalerweise eher bei Filmen mit Mystery-Anteil, führt hier aber dazu, dass man das Trio nach und nach besser kennenlernt. Man erfährt auf diese Weise, wer woher kommt, was ihn antreibt – das hilft, um manche Reaktion besser zu verstehen, die zunächst etwas übertrieben erscheint.

Von Familie, Liebe und anderen Tragödien
Die drei Einzelschicksale sind dabei durchaus sehr unterschiedlich. Axelle und Dominique haben beispielsweise mit ihren jeweiligen Familien zu kämpfen, seien es giftige Mütter, nichtsnutzige Exmänner oder pubertierende Töchter. Conso wiederum träumt von der großen Liebe, weshalb ihr auch die größte Enttäuschung und die bitterste Erfahrung reserviert wurde. Richtig toll läuft es aber bei keiner von den drei Frauen. Working Girls handelt zwar vom Beruf der Prostitution, stellt aber vor allem die Bande und Freundschaft zwischen den dreien in den Vordergrund. Man ist sich nicht immer grün, wirft sich schon mal hässliche Sachen an den Kopf. Doch wenn es hart auf hart kommt, ist man füreinander da, zusammengeschweißt durch ein gemeinsames Schicksal.

Das hört sich ein bisschen nach Feel-Good-Movie an. Doch auch wenn es einzelne solcher rührenden Momente gibt, sie sind nur ein Teil des Pakets. Das zeichnet den Film auch irgendwie aus, dass er das Gewöhnliche und das Ungewöhnliche miteinander verbindet, im einen Moment fast dokumentarisch den Alltag festhält, nur um sich dann in eine komplett andere Richtung zu bewegen. Beim Publikum wird das nicht unbedingt gut ankommen. Wer mehr über das Thema Prostitution erfahren will, für den könnte das hier nicht tiefgründig genug sein, die Genreanteile sind wiederum zu zaghaft, um eine solche Zielgruppe anzusprechen. Hinzu kommt, dass viele Figuren hier recht anstrengend und laut sind, nicht unbedingt dem Klischee der Hure mit dem Herz aus Gold entsprechen. Aber das muss man Working Girls eben auch anrechnen: Hier wird nicht mit aller Gewalt ein Problemdrama erzeugt mit Opfern, denen unsere ganze Sympathie gilt. Das Trio darf einfach menschlich sein, mit den üblichen Fehlern und Macken, die man so herumträgt, selbst wenn man einen nicht ganz alltäglichen Beruf ausübt.

Credits

OT: „Filles de joie“
Land: Belgien, Frankreich
Jahr: 2019
Regie: Frédéric Fonteyne, Anne Paulicevich
Drehbuch: Anne Paulicevich
Musik: Vincent Cahay
Kamera: Juliette Van Dormael
Besetzung: Sara Forestier, Noémie Lvovsky, Annabelle Lengronne, Nicolas Cazalé, Sergi Lopez, Jonas Bloquet

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„Working Girls“ begleitet drei Französinnen, die in Belgien heimlich als Prostituierte arbeiten. Das ist grundsätzlich ein Drama, aber mit leichten Genre-Anleihen und auch komischen Situationen. Mindestens ebenso ungewöhnlich ist die Erzählstruktur, die eigentlich eher in Mystery-Filmen daheim ist. Ob es das unbedingt gebraucht hätte, darüber kann man sich streiten, sehenswert ist dieser zwischen Alltagsdoku und Ausnahmesituation schwankende Mix aber sicherlich.
7
von 10