True Crime Dokus und kein Ende: Mit den eigens produzierten Dokuserien rund um vergangene Verbrechen hat sich Netflix eine überaus lukrative Nische geschaffen. Es vergeht eigentlich kein Monat, in dem der Streamingdienst nicht wieder irgendwo eins auftreibt, das es wert ist, ein bisschen ausführlicher darüber zu reden. Während die anfänglichen Titel jedoch vergleichsweise normale Fälle darstellten, bei denen darüber nachgegrübelt wurde, was genau geschehen ist, verfolgen die US-Amerikaner inzwischen offensichtlich eine andere Strategie. Mal berichten sie von besonders schockierenden Taten, etwa beim Kätzchenmörder Don’t F**k with Cats – Die Jagd nach einem Internet-Killer oder der brutalen Folter in Der Fall Gabriel Fernandez. Oder sie schnappen sich besonders ausgefallene Beispiele, wie zuletzt in Großkatzen und ihre Raubtiere, wo es vor durchgeknallten Leuten nur so wimmelte.
Im Vergleich dazu ist die neue Serie Anleitung für einen Drogenskandal recht konventionell. Gründe, um sich aufzuregen, gibt es aber auch hier nicht zu knapp – weswegen man werbewirksam das Wort „Skandal“ in den Titel geschmuggelt hat. Dieses Mal geht es um zwei Frauen, deren Aufgabe es ist, vermeintliche Drogenfunde zu untersuchen, um auf diese Weise die Wahrheit herauszufinden und für Gerechtigkeit zu sorgen. An beidem waren sie jedoch weniger interessiert, zumindest nicht aus neutraler Sicht. Stattdessen verfälschten sie Ergebnisse oder führten erst gar keine Prüfung durch. Zudem wurde bei den Drogen auch schon mal zugegriffen und für sich selbst genutzt. Ein Mensch, der also dafür sorgen sollte, dass Drogenvergehen aufgedeckt werden, beging selbst welche.
Jeder kann ein Verbrecher sein!
Das ist auf den ersten Blick vielleicht nicht übermäßig erwähnenswert. Korruption gibt es schließlich in allen Lebensbereichen, ob nun Wirtschaft oder Politik oder auch Polizei. Warum sollten also Leute in Laboren besser sein? Was das genau bedeutet, dass an diesen Stellen mindestens geschludert wird, wenn nicht gar betrogen, das wird im Laufe der vier Folgen klar: Keiner der Angeklagten, dessen Fall von den beiden untersucht wurde, konnte auf Gerechtigkeit hoffen. Wem auch immer vorgeworfen wurde, Drogen zu haben bzw. zu verkaufen, der wurde automatisch schuldig gesprochen, ohne sich dagegen wehren zu können. Denn wenn Experten sagen, es handle sich um Drogen, dann muss das auch stimmen.
Anleitung für einen Drogenskandal verfolgt deshalb zwei Hauptstränge in der eigenen Erzählung. Der eine betrifft die beiden Frauen, erzählt aus ihrem Leben, dem Umfeld, den Vergehen und den Ermittlungen gegen sie. In dem anderen geht es um die Opfer und den Kampf für deren Gerechtigkeit. Vor allem Letzteres verdient sich dann auch die skandalöse Betitelung, wenn Polizei und Staatsanwaltschaft nicht daran denken, die Sache zu untersuchen und mögliche Fehler auszumerzen. Die Alternative – wir lassen einfach alle im Knast –, die war dann doch deutlich einfacher und bequemer. Damit wird der des Öfteren vorgebrachte Vorwurf, dass es Justiz und Exekutive nicht um Gerechtigkeit geht, noch einmal unterstrichen.
Und was folgern wir daraus?
Was die Dokumentarserie nicht leistet, ist die Antwort auf folgende Frage: Welche Auswirkungen haben die Mauscheleien tatsächlich? Wie viele Leute sind durch sie zu Unrecht ins Gefängnis gekommen? Hat es überhaupt einen Unterschied gemacht? Wenn Drogen konsumiert statt untersucht werden, bleiben sie schlussendlich trotzdem Drogen. Diese Fragen lassen sich natürlich auch nicht beantworten, denn rekonstruieren kann man die Fälle und Abläufe kaum, ebenso wenig die (nicht) untersuchten Mittel. Also lautet die Forderung der Verteidigung, dass alle freigelassen werden müssen, deren Schuld nicht ohne die Substanzen bewiesen werden kann. Das bedeutet, dass auch alle Schuldigen straffrei davonkommen müssen, um falsche Bestrafungen zu verhindern.
Das hätte eine interessante Debatte zum Thema Gerechtigkeit werden können. Doch Regisseur Erin Lee Carr hielt sich lieber von diesen heiklen Gebieten fern, hält sich an die einfachere und befriedigendere Variante, dass am Ende das Gute gesiegt. Anleitung für einen Drogenskandal lässt einen aber auch mit einem unguten Gefühl zurück, nicht allein, weil so viele Fragen unbeantwortet blieben. Ebenso unangenehm ist die Erkenntnis, dass das eigene Schicksal so leicht von anderen bestimmt werden kann, von unscheinbaren kleinen Rädchen, die leicht zu entscheidenden Faktoren werden kann, ohne dass man es ahnt. Zumindest in der Hinsicht ist die Doku auch geglückt, selbst wenn andere Faktoren wie diverse Wiederholungen oder die besagte fehlende Auseinandersetzung nicht ganz glücklich sind.
OT: „How to Fix a Drug Scandal“
Land: USA
Jahr: 2020
Regie: Erin Lee Carr
Musik: Ian Hultquist
Kamera: Shane Sigler, Bryan Sarkinen
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)