Als Samia Zibra (Zita Hanrot) ihre neue Stelle an einer Schule in einem Pariser Banlieue antritt, mag sie noch nicht so wahnsinnig viel Erfahrungen haben. Doch das macht sie mit umso größerem Idealismus und Tatendrang wieder wett. Bald muss sie dabei jedoch feststellen, dass das alles nicht so einfach ist, wie sie es sich vorgestellt hatte. Vor allem die Förderklasse macht ihr und den anderen das Leben schwer. Dabei hätten einige von den Schülern und Schülerinnen durchaus eine vielversprechende Zukunft, wenn sie nur mal richtig mitmachen würden und ihre Talente nutzten …
Wenn in Deutschland Filme über schwere Themen gedreht werden, dann läuft das meistens auf ebenso schwere Problemdramen hinaus, bei denen alle immer ganz betroffen sind, um der Schwere der Lage angemessen zu begegnen. In Frankreich sieht man das etwas lockerer. Ob nun Obdachlosigkeit (Der Glanz der Unsichtbaren) oder der Umgang mit autistischen Jugendlichen (Alles außer gewöhnlich), in der Grande Nation müssen gesellschaftliche Relevanz und Spaß kein Widerspruch sein. Die Idee dahinter: Mit etwas Humor lassen sich dicke Brocken leichter verkaufen, man erreicht ein größeres Publikum und kann so letztendlich mehr bewegen.
Tragikomik mit Massentaugenlichkeit
An Erfolg mangelte es La Vie scolaire – Schulalltag sicher nicht, zumindest nicht daheim: Mehr als 1,8 Millionen Menschen strömten letztes Jahr in die Kinos, um mitanzusehen, wie eine junge Schulpädagogin gegen den perspektivlosen Status Quo ankämpft. Hierzulande müssen wir leider auf eine Kinoauswertung verzichten. Dafür ist die Tragikomödie nach diversen Festivalteilnahmen jetzt dank Netflix in Deutschland verfügbar. Und wie auch bei den obigen Titeln wird hier Ernst und Humor miteinander verknüpft. An manchen Stellen ginge der Film auch als Dokumentation durch, wenn mit viel Detailarbeit der Alltag aufgezeigt wird. An anderen vertrauen Grand Corps Malade und Mehdi Idir, die gemeinsam Regie führten und das Drehbuch schrieben, hingegen auf launige Übertreibungen.
Von einem Fack ju Göhte ist man hier dennoch weit entfernt. Wo in Deutschland mit Karikaturen und Klischees gearbeitet wurde, mit einer lustvollen Überzeichnung und derben Späßen, da ist La Vie scolaire stärker an dem interessiert, was tatsächlich in den Schulen so vor sich geht. Das ist nicht wirklich ein Wunder: Grand Corps Malade, der in Frankreich auch im Bereich Poetry-Slam überaus erfolgreich ist, hatte schon bei seinem Debüt Lieber Leben seine eigenen Erfahrungen in einer Reha-Anstalt für Jugendliche aufgearbeitet. Bei seinem zweiten Film und der zweiten Zusammenarbeit mit Idir wendet er sich seinen Schulerlebnissen zu. Da die inzwischen jedoch eine Weile zurückliegen, gingen sie im Vorfeld des Drehs an reale, aktuelle Schulen, wollten auf diese Weise näher an dem dran sein, was heute geschieht.
Eine Geschichte, wie sie das Leben schreibt
Das funktioniert ganz gut. Abgesehen von einigen Stellen ist La Vie scolaire ein recht universeller Film, der zwar im Hier und Jetzt verankert ist, aber nicht völlig davon abhängig. Allerdings wird es dem Film etwas zum Verhängnis, dass es in den letzten Jahren gerade aus Frankreich zu viele ähnliche Titel gegeben hat. Ob nun Wilde Kräuter, Die Grundschullehrerin oder Die Schüler der Madame Anne, es gab bei unseren Nachbarn eine ganze Reihe solcher Werke, die sich mit Kindern aus schwierigen Verhältnissen auseinandersetzten. Anders als bei Lieber Leben, das ein für die meisten Leute unbekanntes Setting anbot, fehlen hier die Einfälle oder auch die Figuren, um sich wirklich innerhalb dieses Themengebietes abzuheben. Das meiste hier hat man dann doch schon gesehen.
Doch das allein macht aus La Vie scolaire – Schulalltag keinen schlechten Film. Die Tragikomödie reiht sich vielmehr ein in der großen Ansammlung empfehlenswerter Titel, steht den anderen nicht nach. Es ist rührend, wie eine junge Lehrerin sich nicht von dem Zynismus der anderen unterkriegen lässt, weiter fest an eine Zukunft der Schüler und Schülerinnen glaubt. Und natürlich ist es schön, wenn diese auch sich selbst neu kennenlernen und das Gefühl entwickeln, nicht wertlos zu sein. Grand Corps Malade und Mehdi Idir haben ein Plädoyer dafür gedreht, niemanden zurückzulassen, das Besondere im Einzelnen zu suchen und für das zu kämpfen, woran man glaubt. Das ist dann zwar weder neu noch tiefgründig, auch nicht so persönlich wie die erste Kooperation der beiden. Aber sie ist doch sehenswert genug, um auch auf einen dritten Film der beiden zu hoffen.
OT: „La Vie scolaire“
Land: Frankreich
Jahr: 2019
Regie: Grand Corps Malade, Mehdi Idir
Drehbuch: Grand Corps Malade, Mehdi Idir
Musik: Angelo Foley
Kamera: Antoine Monod
Besetzung: Zita Hanrot, Alban Ivanov, Liam Pierron, Antoine Reinartz, Gaspard Gevin Hié, Moryfère Camara, Bakary Diombera, Mahamadou Sangare
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
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César | 2020 | Bester Nachwuchsdarsteller | Liam Pierron | Nominierung |
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