Generell fürchten wir das Chaos oder das Unbeständige in unserem Leben. Gerade in einer Zeit, die sich durch Begriffe wie Leistung und Profit maßgeblich definiert, ist die Idee des Kontrollverlusts aus individueller wie auch gesamtgesellschaftlicher Ebene eine große Verunsicherung. Struktur und Beständigkeit werden so zu Pfeilern in unserem Leben ausgerufen, von uns wie auch von anderen Instanzen aus, was aber naturgemäß die Beständigkeit des Chaos in unserem Leben, zumindest zu einem gewissen Maße, verwischt, denn gerade im Empfinden der Unsicherheit und der Konsequenzen für einen selbst erkennt man einen wichtigen Schritt zur Menschwerdung. Man ist immer eine Zeit lang schiffbrüchig, bis man dann endlich an Bord kommt oder dorthin zurückkehrt, wie der römische Philosoph Seneca einst sinngemäß sagte.
Für Wolf-Eckart Bühlers und Manfred Blanks Dokumentation über den Schauspieler Sterling Hayden aus dem Jahre 1983 spiegelt das Zitat in vielfacher Hinsicht den Lebensweg des Darstellers wider, was sich auch im Titel Leuchtturm des Chaos andeutet. Der Film zeigt Ausschnitte aus langen Gesprächen mit Hayden, der zu der Zeit schon lange nicht mehr an einem Film gearbeitet hatte und sich mit seinem Schoner auf einer Tour durch Europa befand. Über eine Woche lang erzählt Hayden über seine Beziehung zu Hollywood, seine Kindheit und Jugend sowie seine Aussage vor dem Komitee für unamerikanischen Umtriebe, ein Ereignis, welches ihn noch viele Jahre danach sehr beschäftigt.
Eine Reise nach wer weiß wohin
Als der Film 1983 beispielsweise auf dem Edinburgh Film Festival lief war das Kritikerecho eher verhalten, man warf den Filmemachern Blank und Bühler vor allem einen Mangel an Struktur und ein scheinbares Desinteresse für ihr Thema und damit die Person Haydens vor, der sich teils in langen, offensichtlich alkoholdurchtränkten Monologen äußert, die sich in Nichtigkeiten verlieren und ihn daher in einem denkbar schlechten Licht porträtieren. Mag dies auch auf formaler Ebene eine berechtigte Kritik sein, so lässt sie doch den Wert außer acht, den ein Film wie Leuchtturm des Chaos bei genauem Hinsehen für seinen Zuschauer bereithalten kann. Denn es geht den Regisseuren mitnichten um ein Porträt eines Stars oder gar einer jener Hochglanz-Biografien, wie sie die Film- und Buchindustrie zuhauf jedes Jahr ausspeit, sondern um die Bestandsaufnahme eines Lebens, nach einer beständigen Suche nach Antworten.
Vom ersten Bild an ist man als Zuschauer gezwungen, mit dem Image des Leinwandhelden aufzuräumen, denn von dem ist bei dem Sterling Hayden in Leuchtturm des Chaos nicht mehr viel übrig. Mit einem langen Rauschebart, ungekämmten Haaren und stets eines Whiskeyflasche in Reichweite präsentiert sich Hayden vor der Kamera, verliert bei seinen Äußerungen oft den Faden, unterbricht und entschuldigt sich, bisweilen richtet er gar Beleidigungen oder Flüche an sich, die Wut über sich deutlich im Gesicht zu erkennen. Hayden ist eine Person, die irgendwie immer nahe am Zerbrechen ist, die eigene Stärke beteuert, lacht und scherzt, nur um dann wenig später den Tränen nahe zu sein, wenn es um die Verfehlungen der Vergangenheit geht.
Es mag auch sein, dass die Kamera der Person Haydens nicht nahekommt, wie es in der Kritik hieß, aber gemessen an dem, was er sagt und wie er sich verhält, braucht es keinerlei Eingriff seitens der Filmemacher. Einzig und allein stellt sich die Frage, ob es sich auch bei diesen Bildern um eine Rolle handelt oder ob es Hayden, wie es an einer Stelle heißt, gelungen ist sich selbst zu finden. So wechselt auch der Ton des Films zwischen intimer Wärme und einer schmerzvollen Ferne, einem starken Kontrast, der vielleicht noch am ehesten als Annäherung an Sterling Hayden gelten kann.
OT: „Leuchtturm des Chaos“
Land: Deutschland
Jahr: 1983
Regie: Wolf-Eckart Bühler, Manfred Blank
Drehbuch: Hella Kothman
Kamera: Bernd Fiedler
Beteiligte: Sterling Hayden, Charles Brauer
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