Wenn es im europäischen Kino eine Preisverleihung gibt und es im Kreise der möglichen Kandidaten oder Titel einen iranischen gibt, hält sich wacker die Tradition, diesen zumindest ehrenhalber zu erwähnen oder sogar gleich mit dem Preis zu versehen. Mögen die Geschichten auch spannend und teilweise erhellend sein, so kommt die filmische Qualität doch bisweilen etwas kurz, wenn man sich einige der Preisträger ansieht. Auch die Aussage bleibt entweder banal oder ganz auf der Strecke und der Zuschauer nur mit einem vagen Gefühl zurück, ohne aber wirklich etwas Neues gesehen oder kennengelernt zu haben. Vielleicht sollte man gerade deswegen sich daran erinnern, dass Künstler Mittel und Wege haben, hinter eine Fassade zu schauen, anstatt sich mit der Abbildung dieser zu begnügen.
Besonders in einem Land wie dem Iran, welches noch immer für den Westen wie eine Art Blackbox zu sein scheint, wenn man die Berichterstattung über das Land bisweilen sieht, ist erfüllt von jenen, die keine Stimme haben, die ungehört bleiben, aber mit denen sich gerade die Kunst befassen sollte. Während der Produktion seines Dokumentarfilms Starless Dreams (2016), einem Film über weibliche jugendliche Straftäter im Iran und deren Alltag, stand für den Regisseur und Drehbuchautor Mehrdad Oskouei fest, eben jene ohne Stimme in seinem Land gefunden zu haben. In seinem neuen Film Sunless Shadows, einer Art Fortsetzung zu Starless Dreams, erzählt er die Geschichte einer Gruppe Frauen, die im Iran wegen Mordes oder Beihilfe zum Mord an ihrem Vater, Ehemann oder Bruder in Haft sitzen. Er unterhält sich mit ihnen über ihren Alltag, ihr Leben vor der Haft, über Reue und Schuld, aber auch über Gnade und macht eine Dokumentation, die während ihrer Laufzeit von 74 Minuten mehr Wahrheiten über den Iran sowie dessen Gesellschaft zu sagen weiß als manche Spielfilme in über zwei Stunden.
Über den Tod und das Leben
Oskoueis Dokumentation, die unter anderem auf dem diesjährigen DOK.fest München gezeigt wird, beginnt mit einer der jungen Frauen, die direkt in die Kamera spricht, über ihre Tat, ihre Schuld, aber auch darüber, was sie zu der Tat getrieben hat. Innerhalb des Films werden auch ihre Mitgefangenen Gebrauch davon machen und sich in einer Videobotschaft an ihre Eltern, ihre Schwestern oder gar an ihre Opfer wenden, aber vor allem an das Publikum. Daneben zeigt der Film eben jenen Alltag dieser Gemeinschaft von Frauen, einige von ihnen haben während ihrer Haft bereits Kinder auf die Welt gebracht. Es sind Bilder, die auf den ersten Blick banal wirken, die vom Kochen, Spielen oder vom unbeschwerten Quatschen miteinander handeln, aber in Zusammenhang mit ihren individuellen Biografien und Taten erscheint diese Gemeinschaft wie eine Familie zu sein, die manchen dieser Frauen nie hatten.
Es ist bezeichnend, dass die Männer, wenn man die gelegentliche Stimme des Regisseurs aus dem Off einmal ausklammert, nur in den Geschichten der Frauen eine Rolle spielen. Auch wenn sie im Nachhinein vieles bedauern und die bisweilen immer noch lieben, erkennt man in ihren Gesichtern und ihren Stimmen noch jenen Schock über die Schläge, der Schrecken vor den Misshandlungen von jenen Personen, von denen sie dachten, dass sie Schutz bieten würden. Jedoch scheint Schutz in diesem System nur einseitig zu sein, sich im Wegsperren zu äußern, woran die omnipräsenten Gitter, die Gefängnismauern und die Wachtürme bei aller Harmonie der Gruppe untereinander immer wieder erinnern.
OT: „Sunless Shadows“
Land: Iran, Norwegen
Jahr: 2019
Regie: Mehrdad Oskouei
Kamera: Mehdi Azadi
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