Es ist eine schöne Tradition für Albert (Jean-Pierre Darroussin) und seine Tochter Jeanne (Anaïs Demoustiers): Jedes Jahr fahren sie zu ihrem Geburtstag in ein anderes europäisches Land und lernen dessen Kultur kennen. Nach Rom und Berlin steht nun Schweden auf dem Programm, Albert hat bereits alles ganz genau geplant – inklusive einer kleinen Schatzsuche. Womit er allerdings so gar nicht gerechnet hat: Die beiden sind nicht allein. Genauer müssen sie sich aufgrund eines Missverständnisses das Ferienhaus mit der Vermieterin Annika (Lia Boysen) und deren französischer Freundin Christine (Judith Henry) teilen. Und das ist nicht der einzige Faktor, der bald für Ärger sorgt …
So ein Urlaub kann eine wunderbare Erfahrung sein. Man erweitert den eigenen Horizont, sieht etwas Neues, kann ein wenig Stress abbauen und den Alltag hinter sich lassen. Ein Urlaub kann aber auch im Gegenteil selbst eine absolut stressige Angelegenheit werden, wenn Pläne nicht aufgehen und man mit den Leuten aneinandergerät, mit denen man eigentlich eine schöne Zeit verbringen wollte. So wie in Wir sind alle erwachsen, wo praktisch jeder mit jedem irgendwann einmal in Konflikt gerät, egal ob nun aus dem eigenen Umfeld oder nicht. Wo auch das Chaos auf jeden Schritt und Tritt wartet.
Von wegen abschalten …
Und doch ist Wir sind alle erwachsen keine der üblichen Urlaubskomödien im Stil von Die schrillen Vier auf Achse und Konsorten. Es gibt auch keine Culture-Clash-Probleme, wie man sie vielleicht bei einer französisch-schwedischen Begegnung erwarten könnte. Wenn hier vier Menschen ihre Schwierigkeiten haben, dann nicht aufgrund der turbulenten Ereignisse oder Missgeschicke. Vielmehr waren die Schwierigkeiten schon da, noch bevor sie sich überhaupt begegnet sind. Das unfreiwillige Zusammenleben in dem Ferienhaus dient letztendlich nur als Katalysator dafür, sich dem zu stellen, vor dem sie die ganze Zeit schon fliehen wollten. Mit dem sie sich vielleicht einfach nicht auseinandersetzen wollten.
Im Mittelpunkt steht das komplizierte Verhältnis zwischen dem alleinerziehenden Vater und seiner bald 17-jährigen Tochter. Ein Mann der Kultur, der Pläne. Einer, der immer alles kontrollieren will. Das hat bislang funktioniert, da Jeanne nicht unbedingt der rebellische Typ ist. Sie ist vielmehr so folgsam und passiv, dass es einen fast wahnsinnig machen kann. Aus diesem Grund sollte man auch keine großen Streitszenen erwarten, weder in dramatischer noch komischer Hinsicht. In Wir sind alle erwachsen geschieht das alles etwas leiser und subtiler. Geradezu unbemerkt vom Vater entwickelt sie eigene Gedanken und Gefühle, selbst wenn sie diese nicht in Worte fassen kann. Bis er merkt, was los ist, dann ist es eigentlich auch schon zu spät: Regisseurin und Co-Autorin Anna Novion erzählt von dem Erwachen eines jungen Menschen.
Man ist nie zu alt, um (nicht) erwachsen zu sein
Sie erzählt aber auch von Menschen, die bereits die 40-Jahres-Marke überschritten haben und – dem Titel zum Trotz – nicht wirklich erwachsen oder souverän sind. Albert muss lernen, seine Tochter langsam loszulassen, Annika stellt sich einer früheren Beziehung, Christine hat Stress mit ihrer derzeitigen. Das ist als Zuschauer und Zuschauerin manchmal ganz lustig, wie sich die Figuren in unangenehme Situationen begeben. Und es ist irgendwie tröstlich: Man darf sich hier vergewissern, dass auch andere ihr Leben nie so sehr in Griff haben, wie man es in dem Alter erwarten sollte. Man bekommt aber auch vorgelebt, dass der Lernprozess tatsächlich weitergeht, eine Sackgasse nicht zwangsweise das Ende sein muss.
Ein solcher Film kann sich schnell in Klischees flüchten, Kalendersprüche ausspucken, die sich philosophisch und tiefgründig geben, ohne tatsächlich etwas zu sagen. Glücklicherweise ist das bei Wir sind alle erwachsen anders. Gerade weil hier vieles nonverbal abläuft, sind auch die Erkenntnisse erarbeitet, Schritt für Schritt, nicht einfach mit lautem Getöse vor die Füße geworfen. Das Ergebnis ist charmant, witzig, auch liebenswürdig – selbst wenn die Figuren keine klassischen Held*innen sind. Zudem sind die Bilder aus Schweden so schön und idyllisch, dass man richtig Lust bekommt, selbst dorthin zu reisen, egal ob nun allein oder mit anderen Nervensägen.
OT: „Les Grandes Personnes“
Land: Frankreich, Schweden
Jahr: 2008
Regie: Anna Novion
Drehbuch: Anna Novion, Béatrice Colombier, Mathieu Robin
Musik: Pascal Bideau
Kamera: Pierre Novion
Besetzung: Jean-Pierre Darroussin, Anaïs Demoustier, Judith Henry, Lia Boysen, Jakob Eklund
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
---|---|---|---|---|
César | 2009 | Beste Nachwuchsdarstellerin | Anaïs Demoustier | Nominierung |
Cannes 2008
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