
Amélie (Audrey Tatou) hat schon seit Kindheitstagen eine blühende Fantasie und erfreut sich an den kleinen Dingen im Leben. Ein wirkliches Ziel hat sie hingegen nicht – bis sie eines Tages per Zufall eine alte Kiste mit Erinnerungstücken findet, die sie dem früheren Besitzer wiedergibt. Inspiriert von diesem Vorfall, setzt sie sich zum Ziel, allen Menschen in ihrem Umfeld Glück zu bringen – darunter ihrem zurückgezogen lebenden Vater (Rufus) und den Leuten im Café, in dem Amélie arbeitet. Ihr eigenes Glück vernachlässigt sie jedoch. Dabei wüsste sie schon, wie sie dieses finden könnte, hat sie ihr Herz doch an den eigenwilligen Nino Quincampoix (Mathieu Kassovitz) verloren, der vergessene Aufnahmen von Fotoautomaten sammelt …
Die Franzosen können charmant und romantisch, das wissen wir. Oftmals wird das Kino unserer Nachbarn darauf reduziert, wie sehr sie das Spiel mit dem Herzen verstehen. So sehr, dass es zuweilen zu einfallsloser Gefälligkeit neigt. Wie einfallsreich es aber sein kann, das bewies 2001 Die fabelhafte Welt der Amélie. Die Geschichte um eine junge attraktive Frau, die über Umwege in den Armen einen ebenso attraktiven jungen Mannes landet, mag im Kern recht gewöhnlich sein. Der Weg zu dem obligatorischen Happy End ist es aber auf keinen Fall. Stattdessen ist die Liebeskomödie eine der eigenwilligsten, verschrobensten und dabei doch massentauglichsten Vertreterinnen ihrer Art.
Aus dem Abgrund zum Glück
Dass der Film ein wenig anders sein würde, das war sicher zu erwarten gewesen, handelte es sich doch um das neueste Werk von Jean-Pierre Jeunet. Und der hatte schon mit Delicaessen und Die Stadt der verlorenen Kinder bewiesen, dass er eine ganz eigene Vision hat. Unerwartet war jedoch, dass er nach seinen vorangegangenen düsteren Filmen diese Vorliebe fürs Abwegige in ein derart freundliches Gewand stecken würde und vor allem auch konnte. Ganz verschwunden ist sein Hang zum Morbiden hier zwar nicht, anfangs gibt es einen bösen Vorfall, der Amélie zur Halbwaise macht. Auch später wird es die eine oder andere tragische Geschichte geben, wenn uns der Franzose vor allem gescheiterte Figuren vorführt, die an der Liebe verzweifelten, an künstlerischen Ambitionen, alle irgendwo Gefangene sind.
Doch dem setzt Die fabelhafte Welt der Amélie eben die befreiende Fantasie entgegen. Amélie, die schon als Kind ihre Vorstellungskraft nutzte, um dem freudlosen, einengenden Alltag zu entkommen, wird ihr Talent anwenden, um nun das Leben anderer schöner zu machen. Was den Film dabei besonders macht, ist die Hauptfigur selbst. Audrey Tautou (L’auberge espagnole – Barcelona für ein Jahr) mag wie ein unschuldiges Reh aussehen, wenn sie mit ihren großen Augen klimpert. Anders als in vielen romantischen Filmen ist ihre Amélie aber nicht dazu verdammt, sich zurechtzumachen und auf ihren Prinzen zu warten. Sie geht raus, wird selbst aktiv, treibt die Handlung voran. Und sie tut das mit Humor, einem schelmischen Humor, der sich in diversen einfallsreichen Streichen äußert.
Skurrile Figuren an jeder Ecke
Das ist dann auch tatsächlich lustig: Die Mischung aus kindlicher Fantasie und manipulativem Schabernack ist unterhaltsam, selbst in den Passagen, in denen Die fabelhafte Welt der Amélie dann doch brav den Konventionen folgt. Hinzu kommt, dass praktisch jede Figur, die hier irgendwann auftaucht, ihre Schrullen hat. Ob es die hypochondrische Kollegin ist, der Maler mit den zerbrechlichen Knochen oder auch Nino, der beim Anblick der verlorenen Fotos ins Träumen gerät – Jeunet und sein häufiger Co-Autor Guillaume Laurant haben eine Reihe von Exzentrikern entworfen, die in einer realen Welt vermutlich gar nicht überlebensfähig wären.
Doch mit der realen Welt hat Die fabelhafte Welt der Amélie ja auch wenig am Hut. Hier wird ein Paris entworfen, das zwar vorgeblich das Ende der 1990er abbildet, aber doch eine in sich geschlossene Welt darstellt, die schon aufgrund der dominierenden Gelbtöne entrückt und nostalgisch aussieht. Mehr noch als eine Liebesgeschichte ist der Film daher ein Märchen, das sich behutsam der diversen Verlierer annimmt und sie am Ende triumphieren lässt. Anstatt sich aber auf Wohlfühlkitsch auszuruhen, wie es andere vielleicht getan hätten, versteht Jeunet seinen Film als Plädoyer dafür, das Besondere im Gewöhnlichen zu suchen, verborgene Schätze des Alltags, und dafür mit offenen Augen durchs Leben zu gehen. Und das gilt dann eben auch außerhalb dieser Wunderblase, die so bunt schillert und dabei so zerbrechlich ist.
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