Für Fay (Sierra McCormick) gibt es nichts Großartigeres, als sich die verschiedensten Theorien anzuhören, wie die Zukunft aussehen könnte. Schließlich ist das Leben der jungen Telefonistin, die in den 1950ern in einem kleinen Ort in New Mexico lebt, alles andere als aufregend. In dem Radio DJ Everett (Jake Horowitz) findet sie dafür einen dankbaren Zuhörer, träumt auch er doch davon, irgendwann die Provinz verlassen zu können und vielleicht bei einem richtigen Radiosender anzufangen. Dabei haben die zwei Aufregung genug, als sie eines Nachts eine seltsame Tonfrequenz unbekannten Ursprungs entdecken, während alle anderen Einwohner beim High-School-Basketballspiel sind. Was hat es mit diesen Geräuschen auf sich? Wie werden sie verursacht? Bei ihrer Suche nach Antworten müssen sie feststellen, dass auch andere eigenartige Erfahrungen machen …
In den letzten Jahren hat sich das Science-Fiction-Genre für viele in eine Ecke manövriert: Wenn wir in Filmen in die Zukunft reisen oder es mit Außerirdischen zu tun bekommen, dann muss das alles groß und bombastisch sein! Selbst prinzipiell kleine, intime Geschichten, wie sie in Passengers oder Ad Astra – Zu den Sternen vorkommen, müssen künstlich aufgeblasen werden, mit großen Stars besetzt, damit sich überhaupt noch jemand dafür interessiert. Das geht mit riesigen Budgets einher, selbst da, wo es das gar nicht gebraucht hätte. Und oft mit inhaltlichen Schwächen, wenn auf der Jagd nach dem Blockbuster-Publikum vieles auf der Strecke bleibt, was das Genre überhaupt ausmacht – etwa die Faszination für Technologie oder die Fähigkeit des Staunens.
Eine Reise in die Vergangenheit
In Die Weite der Nacht gibt es weder Stars noch ein großes Budget, weshalb der Film auch unter dem Titel The Vast of Night beim Independent-Festival Slamdance 2019 Weltpremiere hatte – und nicht etwa beim inzwischen deutlich kommerzielleren Sundance, das zeitgleich stattfindet. Dafür hat es sich eben diese Faszination und dieses Staunen bewahrt, das es im Science-Fiction früher gab, als in der Zukunft wirklich noch alles möglich schien und das Genre einer Reise ins Unbekannte glich. Dass der Film in den 1950ern angesiedelt ist, ist daher natürlich kein Zufall. Hier wird gleich mehrfach an vergangene Zeiten erinnert, an Serien wie Twilight Zone und Outer Limits, aber auch an die Radiodramen, wie es sie früher einmal gab und die den Menschen daheim die Möglichkeit schenkten, mit ihrer Fantasie den eigenen vier Wänden zu entkommen.
Aus diesem Grund suchte sich das Drehbuchduo James Montague und Craig W. Sanger auch zwei junge Menschen aus, die sich daheim in dem kleinen Ort fremd vorkommen. Unglaubliche Symbolkraft hat bereits, wie der Rest der Stadt sich bei einem völlig unbedeutenden High-School-Match trifft, während die zwei allein im Dunkeln hocken und ihren Fantasien und Theorien nachgehen. Die beiden Schauplätze sind dabei rein geografisch eng beieinander, wie wir später feststellen. Und doch könnten sie nicht weiter voneinander entfernt sein. Dass ausgerechnet diese beiden für die Kommunikation mit anderen zuständig sind und das Zusammenbringen von Menschen – er als Radio DJ, sie als Telefonistin –, ist nur einer von vielen gelungenen kleinen Einfällen.
Die Menschen inmitten des Mysteriums
Die Weite der Nacht ist dann auch eine Mischung aus Mystery-Thriller und Charakterdrama. Immer wieder wird bei der Handlung auf die Stopptaste gedrückt, um den Dialogen mehr Raum zu gewähren. Da wird minutenlang gesprochen, ohne dass etwas passieren würde. Für ein Publikum, das bei dem Gedanken an Alien-Invasionen vor allem die Actionvariante bevorzugt, werden hier nicht nur die Füße einschlafen. Dabei ist der Film alles andere als langweilig, wenn man sich auf diese ruhige, eigene Geschichte einlassen kann, die mehr über die Menschen als die mutmaßlichen Außerirdischen zu sagen hat. Ob Rassismus oder Kalter Krieg, Selbstentfaltung oder Isolation – während der Reise durch die Nacht streift der Film unzählige Themen und verknüpft diese kunstvoll miteinander, ist mal neugierig, dann wieder wahnsinnig traurig.
Anders als etwa die Zombie-Invasion Pontypool, das aufgrund des Radio-Settings Vergleiche nahelegt, gibt es hier keine klaustrophobischen Szenen. Es gibt aber auch keine große Auflösung. Stattdessen konzentriert sich Regie-Debütant Andrew Patterson auf die Atmosphäre. Die ist dafür herausragend: Dank wunderbarer, oft ausgedehnten Aufnahmen und eines unheimlichen Sound Designs entsteht hier beste Mystery-Stimmung mit leichten Verschwörungsuntertönen. Der Film vermittelt das Gefühl, dass da draußen irgendwas ist, das wir nicht erfassen können und regt damit wieder die Fantasie im Publikum an, die zu oft mit Effektorgien niedergebrannt wurde. Für die breite Masse wird das vermutlich nicht ausreichen. Aber wer die Geduld und die Neugierde mitbringt, darf sich bei Die Weite der Nacht auf einen der gelungensten Science-Fiction-Filme der letzten Jahre freuen.
OT: „The Vast of Night“
Land: USA
Jahr: 2019
Regie: Andrew Patterson
Drehbuch: James Montague, Craig W. Sanger
Musik: Erick Alexander, Jared Bulmer
Kamera: M.I. Littin-Menz
Besetzung: Sierra McCormick, Jake Horowitz
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
---|---|---|---|---|
Film Independent Spirit Awards | 2020 | Bestes Debüt-Drehbuch | James Montague, Craig W. Sanger | Nominierung |
Slamdance 2019
Toronto International Film Festival 2019
Fantastic Fest 2019
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