Es ist ein eigenartiger Traum, den Rosaleen (Sarah Patterson) da eines Nachts hat. In diesem lebt sie in einem Märchenwald zusammen mit ihrer Familie. Als ihre Schwester Alice von einem Wolf getötet wird, schicken ihre besorgten Eltern zu ihrer Großmutter (Angela Lansbury). Die kümmert sich nur zu gern um die Jugendliche, war diese doch immer ihr Liebling. Aus diesem Grund gibt die abergläubische alte Dame ihr auch mehrere Ratschläge mit auf den Weg, die sie vor einem ähnlichen Schicksal wie ihre Schwester bewahren soll. Doch schlimmer noch als diese zähnefletschenden Wölfe, so erzählt sie, sind die Wölfe, die sich nicht als solche zu erkennen geben und sich als freundliche, wohlerzogene Männer tarnen …
Von den vielen Volksmärchen, die uns erhalten geblieben sind, ist das rund um Rotkäppchen sicherlich eines der bekanntesten – und eines der unheimlichsten. Ein Wolf, der die Großmutter frisst, sich als diese verkleidet, um dann auch die Enkelin verspeisen zu können, das ist schon der Stoff, aus dem Albträume gemacht sind. Tatsächlich wurde dieses Märchen auch lange als Abschreckung für junge Mädchen genommen, sollte sie vor den Wölfen da draußen warnen, aber auch davor, vom rechten Wege abzukommen. Denn indem Rotkäppchen sich vom Wolf überreden lässt, erst noch Blumen zu pflücken, beschwört sie das spätere Unglück herauf.
„Mädchen weich vom Wege nicht.
Bleib allein und halt nicht an,
traue keinem fremden Mann.
Geh’ nicht bis zum bitteren Ende,
gib dich nicht in fremde Hände.
Deine Schönheit zieht sie an,
und ein Wolf ist jeder Mann.
Merk Dir eines: In der Nacht
Ist schon mancher Wolf erwacht.
Weine um sie keine Träne!
Wölfe haben scharfe Zähne.“
Bekannte Geschichte neu interpretiert
Die britische Autorin Angela Carter nahm dieses Märchen sowie viele andere, schrieb sie um, interpretierte sie neu in einem oft feministischen und stärker sexuellen Kontext. Das tat sie im Fall von Rotkäppchen erst in Buchform in der 1979 veröffentlichten Kurzgeschichtensammlung Bloody Chamber, später auch als Radiofassung. Eben diese diente ihr und Regisseur Neil Jordan als Vorlage, als die beiden das Drehbuch zu Die Zeit der Wölfe verfassten. Das Problem, dass die Geschichte prinzipiell zu kurz war, um daraus einen kompletten Film zu machen, lösten sie, indem sie eine Art Rahmenhandlung einfügen: die des Traums von Rosaleen. Das gab ihnen die Möglichkeit, mehrere Erzählungen zusammenzuführen, ohne sich um Anknüpfungen groß Gedanken machen zu müssen.
Tatsächlich ist Die Zeit der Wölfe weniger eine fortlaufende Geschichte, als vielmehr eine eigene Sammlung, die durch gemeinsame Themen zusammengehalten wird, nicht durch die Handlung. Sowohl die Hauptgeschichte innerhalb des Films – die Rosaleen im Märchenwald – wie auch die vier Untergeschichten, welche die Großmutter und Rosaleen erzählen, handeln von Wölfen, von Frauen, von Treue und Verrat. Mit dem tatsächlichen Rotkäppchen-Märchen haben nur wenige etwas zu tun. Stattdessen geht es darum, wie einzelnen Figuren Unrecht getan wird oder sie anderweitig zum Opfer werden. Manche drehen darauf den Spieß um, andere werden teuer bezahlen, gehen an ihren Gefühlen und Leidenschaften zugrunde.
Gefühle müssen frei sein
Und doch ist Die Zeit der Wölfe eben nicht die puritanische Fassung des Märchens, laut der Mädchen immer brav und keuch sein müssen. Umgekehrt ist nicht jeder Mann ein Wolf, nicht jeder Wolf ein Monster. Das macht es etwas schwierig, aus dem Film dann eine tatsächliche Schlussfolgerung zu ziehen. Trotz des oben zitierten Gedichts plädieren Jordan und Carter eben nicht dafür, Gefühle vollends zu unterdrücken. Das ist gar nicht möglich, finden sie doch ihren Weg. Es ist auch nicht ratsam, denn gerade in der Hinwendung zum inneren Tier kann das Glück liegen, die Erfüllung – selbst wenn das bedeutet, selbst zum Wolf werden zu müssen.
Zu interpretieren gibt es in dem mit Symbolen vollgestopften Film daher einiges, gerade auch im Hinblick auf das sexuelle Erwachen Rosaleens. Man kann sich aber auch ebenso treiben lassen. Denn auch das ist eine Folge der Traumstruktur: Hier geht alles nahtlos ineinander über, folgt einer Logik, die in sich stimmig ist und die man doch nicht erklären kann. Die Spezialeffekte sind natürlich in die Jahre gekommen, gerade die Transformationsszenen wirken heute etwas kurios. Dafür ist der Wald sowie die darin enthaltenen Orte noch immer sehr schön anzusehen. Obwohl in einem Studio errichtet und überschaubar, bietet er kaum Möglichkeiten der Orientierung, was zusammen mit den rätselhaften Geschichten dazu führt, sich diesem ausgeliefert zu fühlen. Das erinnert an die früheren Horrorfilme der Hammer Studios, mit dem Unterschied, dass die Bedrohung nicht vom Unbekannten und Unsichtbaren ausgeht, das irgendwo in den Schatten lauert, sondern dem, was unmittelbar vor einem ist – oder in einem selbst.
OT: „The Company of Wolves“
Land: UK
Jahr: 1984
Regie: Neil Jordan
Drehbuch: Neil Jordan, Angela Carter
Vorlage: Angela Carter
Musik: George Fenton
Kamera: Bryan Loftus
Besetzung: Sarah Patterson, Angela Lansbury
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
---|---|---|---|---|
BAFTA Awards | 1985 | Beste Kostüme | Elizabeth Waller | Nominierung |
Bestes Make-up | Jane Royle, Christopher Tucker | Nominierung | ||
Bestes Szenenbild | Anton Furst | Nominierung | ||
Beste Spezialeffekte | Christopher Tucker, Alan Whibley | Nominierung |
Sitges 1984
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