Freistatt
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Freistatt

Kritik

Freistatt DVD
„Freistatt“ // Deutschland-Start: 25. Juni 2015 (Kino) // 24. November 2015 (DVD/Blu-ray)

Unterordnen? Das kommt für Wolfgang (Louis Hofmann) nicht in Frage. Und so legt er sich immer wieder mit anderen an, vor allem mit seinem Stiefvater. Der hat irgendwann aber die Faxen dicke und steckt den 14-Jährigen in ein Fürsorgeheim der Diakonie Freistatt. Der Ersteindruck ist gut, Heimleiter Brockmann (Alexander Held) scheint ein netter, unkomplizierter Mensch zu sein. Bald schon muss Wolfgang aber feststellen, dass der Ort sehr viel weniger freundlich ist, als er dachte. Unter den Jungs herrscht ein rauer Ton, Gewalt und Demütigungen stehen an der Tagesordnung. Noch schlimmer ist jedoch der brutale und sadistische Oberbruder Wilde (Stephan Grossmann), dem auch der wohlmeinende Erzieher Krapp (Max Riemelt) hilflos gegenübersteht …

„Und bist du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt“, hieß es in Goethes Ballade Erlkönig 1782. Inzwischen ist man in der Kinder- und Jugenderziehung davon abgerückt, körperliche Züchtigung als Mittel einzusetzen, sowohl bei der privaten, wie auch der staatlichen. Zumindest offiziell wird niemand mehr geschlagen. Umso schockierender ist, was einem Marc Brummund da so zumutet. Der Regisseur und Co-Autor nimmt uns in Freistatt mit auf eine Reise in die 1960er, als das noch etwas anders aussah. Hinter den vermeintlich schützenden Mauern wurde kräftig verprügelt, auch psychologische Gewalt wurde angewendet, um die jungen Menschen gefügig zu machen.

Ein verlogenes System des Missbrauchs
Besonders berüchtigt waren in der Hinsicht die Einrichtungen der Diakonie Freistatt, die über Jahrzehnte hinweg Kinder misshandelt haben. Dass Brummund ausgerechnet das Jahr 1968 auswählte für seine Geschichte, ist dabei natürlich kein Zufall. Eine Zeit der Rebellion und Abrechnung mit der Vergangenheit trifft hier auf Vertreter eben dieser Vergangenheit, die umso härter zurückschlagen und den Status Quo bewahren wollen. Das sorgt quasi automatisch für einen großen Kontrast zwischen der Welt da draußen und der Welt drinnen. Ohnehin wird in dem Drama viel mit solchen Kontrasten gearbeitet: Als wäre der Name Freistatt nicht schon bitter genug für ein Heim voller misshandelter Gefangener, ist auch der idyllische Gemüsegarten von Brockmann geradezu Hohn.

Subtil ist diese Gegenüberstellung natürlich nicht. Leider mag es Brummund, der zuvor mehrfach fürs Fernsehen gearbeitet hatte, insgesamt ein wenig plakativer. Vor allem bei der Figurenzeichnung gab man sich nicht die Mühe, groß mit Schattierungen arbeiten zu wollen. Den meisten Charakteren wird nur eine Eigenschaft zugestanden, die sie tapfer bis zum Ende verteidigen, ohne auch mal Brüche einbauen zu wollen. Lediglich der von Enno Trebs verkörperte Mitgefangene Bernd darf ein bisschen hinter die Kulisse blicken lassen: Eingeführt als grober Fiesling, der die Schwachen drangsaliert, zeigt sich später, dass er selbst ein Opfer ist, das Produkt seiner Umstände.

Aus Opfern werden Täter
Das ist auch eine der bitteren Erkenntnisse des Films: Die jungen Menschen werden so lange gefoltert, bis sie entweder zerbrechen oder selbst zu Tätern werden – aus reinem Selbstschutz. So effektiv und verstörend einige der Szenen hierbei sind, auch in der Hinsicht hätte mehr Feinschliff und Abstufung gut getan. Vieles muss in Freistatt doch sehr schnell gehen, Brummund lässt sich und seinen Figuren kaum Zeit für Entwicklung. Um diese fehlenden Zwischentöne zu überdecken, wird wie in einem schlechten TV-Film besonders aufdringliche Musik drübergelegt, damit auch der letzte versteht: Achtung, hier wird es dramatisch! Da hätte man dem Publikum doch mehr zutrauen dürfen – auch wenn die Auszeichnung mit dem Publikumspreis beim Max Ophüls Preis 2015 zeigt, dass sich viele wohl nicht daran stören.

Die eigentliche Stärke des Films liegt ohnehin beim Schauspielerischen. Während die Erwachsenen das Beste aus ihren eingeschränkten Rollen machen, Alexander Held als scheinheiliger Leiter und Stephan Grossmann als dumpfer Sadist Eindruck hinterlassen, gehört die Bühne doch eindeutig Louis Hofmann. Der Jungschauspieler, der international durch die Netflix-Serie Dark bekannt wurde und in Dramen wie Prélude durch seine sanfte, sensible Art überzeugte, gibt hier den Rebellen, der über sich hinauswachsen muss und will, zum Beschützer und Anführer wird, ohne dabei vom Film verherrlicht zu werden. Tatsächlich ist seine Figur eine der wenigen, die mit tatsächlichen Widersprüchen arbeitet, Ecken und Kanten hat und von Hofmann mit Bravour und Einsatz ausgefüllt wird. Die diversen inhaltlichen Schwächen kann zwar auch er nicht alle glattbügeln, aber er macht die Zeitreise zu einem sehenswerten Porträt und einer Warnung vor den Auswirkungen von Gewalt und faschistoidem Gedankengut, das sich immer wieder als ausgesprochen hartnäckig erweist.

Credits

OT: „Freistatt“
Land: Deutschland
Jahr: 2014
Regie: Marc Brummund
Drehbuch: Nicole Armbruster, Marc Brummund
Musik: Anne Nikitin
Kamera: Judith Kaufmann
Besetzung: Louis Hofmann, Alexander Held, Stephan Grossmann, Max Riemelt, Langston Uibel, Enno Trebs

Bilder

Trailer

Filmfeste

Max Ophüls Preis 2015

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„Freistatt“ nimmt uns mit in eine Erziehungsanstalt Ende der 1960er, in der Jungen systematisch misshandelt wurden. Das ist schockierend und von Louis Hofmann eindrucksvoll gespielt, auch wenn das Drama schon sehr schematisch angelegt ist und oft Zwischentöne sowie Subtilität vermissen lässt.
7
von 10