November 1932: Der vermögende Fabrikbesitzer Sir William McCordle (Michael Gambon) lädt zusammen mit seiner Frau Sylvia (Kristin Scott Thomas) eine vornehme Gesellschaft ein, um das Wochenende in ihrem Landhaus zu verbringen. Die Gäste, größtenteils Verwandte, sind zahlreich, lassen sich nicht zweimal darum bitten, bei der Jagd und dem Schmaus dabei zu sein. Während die Bediensteten, angeführt von der Haushälterin Mrs Wilson (Helen Mirren) und der Köchin Mrs Croft (Eileen Atkins), im Verborgenen alles vorbereiten und für einen reibungslosen Ablauf sorgen, steigen zunehmend die Spannungen – sowohl innerhalb der Gäste wie auch der Bediensteten. Bis ein heimtückischer Mord geschieht …
Ein abgelegenes Landhaus mit einem reichen Patriarchen, der nachts ermordet wird, das Haus voller Menschen, die alle ein Motiv und die Möglichkeit hatten und damit als Täter in Frage kommen – es gibt wohl kein Szenario, das stärker dem klassischen Whodunnit-Krimi entspricht, als dieses. Die englische Queen of Crime Agatha Christie hat eine ganze Reihe von Romanen verfasst, die alle nach diesem Prinzip funktionieren, die Leserschaft darf im Anschluss nach Lust und Laune Hypothesen aufstellen, wer von den vielen Verdächtigen nun der Mörder ist, während zeitgleich diverse schmutzige Geheimnisse ans Tageslicht kommen. Beispiele für solche Geschichten gibt es nicht zu wenige, auch solche, die sich humorvoll damit auseinandersetzen: Eine Leiche zum Dessert parodierte schon 1976 genüsslich die Klischees solcher Krimis, Knives Out – Mord ist Familiensache demontierte auf seine Weise das Genre und die damit verbundenen Erwartungen.
Ein Klassenporträt mit Mordbeilage
Ein drittes Beispiel, das den traditionellen Krimi inklusive seines Vorzeigeszenarios nahm, aber mit jeder Menge Humor abwandelte, ist Gosford Park. Der Whoddunit à la Christie stand auch hier Pate, wurde bei der Konzeptionierung als Vorlage genommen. Doch Regielegende Robert Altman und Drehbuchautor Julian Fellowes verfolgen hier ein ganz anderes Ziel. Die Mördersuche findet hier zwar statt, wie gewohnt durch einen herbeigerufenen Polizisten. Sonderlich effektiv ist die jedoch nicht, der von Stephen Fry verkörperte Inspector Thompson ist ein selbstverliebter, dabei unfähiger Wichtigtuer, der das Wesentliche aus den Augen verliert: die Bediensteten. Mit ihnen wechselt er kaum ein Wort, weil sie ihm nicht relevant genug sind, er gesteht ihnen nicht einmal ein Motiv zu, einen Mord begangen zu haben.
Das hat natürlich einiges über das damals noch ausgeprägtere Klassenverständnis zu sagen, wenn die Untergegebenen kaum als Individuum wahrgenommen werden, sie nicht viel mehr sind als Gebrauchsgegenstände. Gosford Park hat im Allgemeinen sehr viel zu dem Thema zu sagen, Altman und Fellowes sind sogar mehr damit beschäftigt, die Butler, Zofen und sonstige Angestellte zu zeigen als die Menschen, denen sie dienen. Natürlich dürfen wir auch am Leben der Reichen teilhaben. Doch das geschieht meistens aus den Augen des Personals, das praktisch in fast jeder Szene dabei ist, um ihre Herren und Herrinnen anzukleiden, ihnen Essen zu reichen oder etwas zu bringen. Auf plakative Szenen der Unterdrückung wird jedoch verzichtet. Beschimpft werden in dem vornehmen Haus nur Angehörige des eigenen Standes – das dafür nicht zu knapp.
Ein Haus voller Leben
Das ist auch überaus amüsant. Wenn Maggie Smith als schmarotzende Tante ungeniert über jeden lästert, der ihr über den Werk läuft, dann ist das jedes Mal ein großer Spaß und nimmt Fellowes späteren Megaerfolg Downton Abbey vorweg. Tatsächlich war die Hitserie ursprünglich als Spin-off geplant. Daraus wurde zwar nichts, doch einiges, was später zum Markenzeichen wurde, gilt auch hier. So wie beim späten Nachkommen gibt es bei Gosford Park eine quasi unüberschaubare Zahl an Figuren, die durch das vornehme Haus wuseln, jede mit einer eigenen Geschichte. Es dauert eine Weile, bis man diese auseinanderhalten kann, Altman tut einem nicht den Gefallen, zum Auftakt eine größere Vorstellungsrunde zu veranstalten. Es werden auch nicht wirklich alle an Kontur gewinnen, manche gehen in der Menge dann doch verloren – sowohl bei den Reichen wie bei den Bediensteten, die auch räumlich in die Menschen oben und unten eingeteilt werden. Aber es gibt genügend, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen, auch weil der Film ein hochkarätiges, meist britisches Ensemble versammelt.
Die Vielzahl an Charakteren hat aber auch einen entscheidenden Vorteil: Wie in kaum einem anderen Film hat man hier das Gefühl, tatsächlich Teil einer realen Welt zu sein. Wo auch immer man sich gerade aufhält, irgendwo wuseln Leute im Hintergrund herum, schnappt man beiläufige Gesprächsfetzen auf, die im Raum gerade stattfinden. Das hängt auch mit der besonderen Kameraführung zusammen: In Gosford Park fuhren immer zwei Kameras durch die Szene, ohne dass das Ensemble wusste, wer genau gerade gefilmt wird. Dadurch mussten sie immer auf eine Weise schauspielern, als wären sie gerade im Fokus, selbst wenn sie das nicht waren. Damit einher geht eine unglaubliche Liebe zum Detail. Tatsächlich ist der Film mehr mit diesen Details beschäftigt, mit den Figuren und ihren Auseinandersetzungen, als mit der eigentlichen Geschichte. Trotz des Mordes und des bekannten Szenarios ist die Komödie daher weniger für eigentliche Krimifans gedacht, gleicht eher einem Gemälde, das auch der fantastischen Bilder wegen fesselt. Ein lebendiges Stillleben, menschlich und bewegend, kunstvoll durchkomponiert und dabei doch mit viel Freiraum.
OT: „Gosford Park“
Land: UK
Jahr: 2001
Regie: Robert Altman
Drehbuch: Julian Fellowes
Musik: Patrick Doyle
Kamera: Andrew Dunn
Besetzung: Michael Gambon, Kristin Scott Thomas, Camilla Rutherford, Maggie Smith, Tom Hollander, Natasha Wightman, Ryan Phillippe, Bob Balaban, Jeremy Northam, Kelly Macdonald, Clive Owen, Helen Mirren, Eileen Atkins, Emily Watson, Richard E. Grant, Stephen Fry
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
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Academy Awards | 2002 | Bester Film | Nominierung | |
Beste Regie | Robert Altman | Nominierung | ||
Bestes Original-Drehbuch | Julian Fellowes | Sieg | ||
Beste Nebendarstellerin | Helen Mirren | Nominierung | ||
Maggie Smith | Nominierung | |||
Bestes Szenenbild | Stephen Altman, Anna Pinnock | Nominierung | ||
Beste Kostüme | Jenny Beavan | Nominierung | ||
BAFTA Awards | 2002 | Bester britischer Film | Sieg | |
Beste Regie | Robert Altman | Nominierung | ||
Bestes Original-Drehbuch | Julian Fellowes | Nominierung | ||
Beste Nebendarstellerin | Helen Mirren | Nominierung | ||
Maggie Smith | Nominierung | |||
Bester Newcomer | Julian Fellowes | Nominierung | ||
Bestes Szenenbild | Stephen Altman | Nominierung | ||
Beste Kostüme | Jenny Beavan | Sieg | ||
Bestes Make-up und Haare | Jan Archibald, Sallie Jaye | Nominierung | ||
César | 2003 | Bester europäischer Film | Nominierung | |
Europäischer Filmpreis | 2002 | Publikumspreis für die beste europäische Darstellerin | Helen Mirren | Nominierung |
Maggie Smith | Nominierung | |||
Emily Watson | Nominierung | |||
Golden Globe Awards | 2002 | Bester Film – Musical oder Komödie | Nominierung | |
Beste Regie | Robert Altman | Nominierung | ||
Bestes Drehbuch | Julian Fellowes | Nominierung | ||
Beste Nebendarstellerin | Helen Mirren | Nominierung | ||
Maggie Smith | Nominierung |
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