Happy End

Kritik

Happy End DVD
„Happy End“ // Deutschland-Start: 12. Oktober 2017 (Kino) // 29. März 2018 (DVD/Blu-ray)

Nachdem ihre Mutter aufgrund einer Überdosis Tabletten ins Koma gefallen ist, kommt die 13-jährige Eve Laurent (Fantine Harduin) erst einmal zu ihrem Vater Thomas (Mathieu Kassovitz) und Anaїs (Laura Verlinden), seiner Frau aus zweiter Ehe. Die wohnen in einem großen Anwesen in Calais, zusammen mit einigen anderen Familienmitgliedern. Da wäre Thomas’ Schwester Anne (Isabelle Huppert), deren Sohn Paul (Franz Rogowski) sowie Georges (Jean-Louis Trintignant), der Vater von Thomas und Anne. Sonderlich friedlich gestaltet sich das Zusammenleben jedoch nicht, da sie alle mit eigenen Problemen zu kämpfen haben. So gab es beispielsweise einen tödlichen Unfall bei der von Anne geleiteten Baufirma. Und auch das Verhältnis untereinander war schon einmal besser …

All zu oft dreht der österreichische Regisseur Michael Haneke inzwischen ja keine Filme mehr. Doch wenn dann doch noch mal einer rauskommt, kann man sich darauf einstellen, dass das harte Kost wird und man sich lieber ganz warm anziehen sollte. Sein für mehre Oscars nominiertes Liebe (2012) war da schon eine kleine Ausnahme. Zwar war auch das Drama um ein altes Ehepaar alles andere als leicht zu ertragen. Immerhin war die Beziehung dort jedoch tatsächlich dem Titel entsprechend von Gefühlen geprägt. Und das ist bei einem Filmemacher, der in Werken wie Benny’s Video oder Funny Games gerade die Empathielosigkeit schmerzhaft betonte, fast schon eine Erleichterung. Es gibt ja doch noch Menschen, die etwas fühlen können!

Zurück zum kalten Anfang
Fast schon wie eine Trotzreaktion wirkt da Happy End, mit dem sich Haneke fünf Jahre später wieder zurückmeldete, so als wollte er alles wieder zurücknehmen, was er das letzte Mal gezeigt hatte. Auffällig ist nicht allein, dass er erneut mit Isabelle Huppert und Jean-Louis Trintignant zusammenarbeitet. Trintignants Figur trägt zudem denselben Namen wie damals in Amour und erzählt hier eine zentrale Szene aus dem vorangegangenen Werk, so als handele es sich um eine tatsächliche Fortsetzung. Doch das ist nur ein Trick: Hupperts Figur trägt nun den Namen der Mutter, der eigene Name wurde an die Nichte weitergegeben. Und selbst Charles ist nicht mehr derselbe, aus einem Klavierspieler wurde der Chef einer Baufirma, inzwischen entmündigt und stark selbstmordgefährdet.

Das sind natürlich nur Details, die kleinen Anspielungen dürften die wenigsten überhaupt registrieren. Aber es passt doch sehr gut zu einem Film, der konsequent alles dekonstruiert, was ihm in die Finger kommt, hinter jedem schönen Schein den Abgrund sucht. Dabei ist es nicht allein die fehlende Empathie der Figuren, die schockiert. Sie zeigen zudem selbstzerstörerische Tendenzen, begehen Selbstmordversuche, sind alkoholabhängig oder suchen wie der als Chirurg arbeitende Thomas den Ausweg aus dem Alltag in sadomasochistischen Affären. Die einzige Figur aus dem Familienkreis, die nicht in irgendeiner Form durch Aggression oder Gefühlskälte auffällt, ist Anaїs. Und das auch nur, weil sie durch gar nichts auffällt, ebenso gut einfach nicht anwesend sein könnte.

Das Unglück im Augenwinkel
Diese Menschenverachtung zeigt sich mal direkt im Zentrum des Geschehens, etwa wenn Happy End die Flüchtlingskrise aufnimmt – nicht grundlos spielt der Film in Calais, das 2015 aufgrund einer riesigen, provisorischen Zeltstadt für Flüchtlinge in den Nachrichten stand. Fast noch eindrucksvoller als diese offensiven Provokationen sind aber die beiläufigen, wenn Todesfälle weder gezeigt noch angesprochen werden. Sie finden einfach nur statt, ohne dass Haneke sie einer Szene würdigt. Der Österreicher kehrt damit wieder zu seiner fragmentarischen Erzählweise zurück, wie beispielsweise in 71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls. Das Publikum bekommt nur Einzelteile, darf sich den Rest selbst zusammensetzen.

Das Drama, das auf den Filmfestspielen von Cannes 2017 Weltpremiere hatte, ist daher ein typischer Haneke, vielleicht schon etwas zu typisch. Zudem ist Happy End schon wieder so überspitzt, dass die Verbindung zur Außenwelt etwas schwerer fällt. Waren seine früheren Filme meist so nahe an dem Alltag dran, dass sich daraus allgemeine Beobachtungen ableiten ließen, sind die Laurents zu sehr in einem Elfenbeinturm gefangen, als dass man dazu unbedingt eine Verbindung aufbauen kann oder muss. Doch das ist nicht weniger eindrucksvoll als die früheren Werke des Filmemachers. Das herausragende Ensemble, die betörenden Bilder, dazu einige schöne kleinere Einfälle machen auch den letzten Film zu einem Ereignis, wie es das nur selten gibt – was vielleicht auch ganz gut so ist.

Credits

OT: „Happy End“
Land: Deutschland, Frankreich, Österreich
Jahr: 2017
Regie: Michael Haneke
Drehbuch: Michael Haneke
Kamera: Christian Berger
Besetzung: Mathieu Kassovitz, Isabelle Huppert, Jean-Louis Trintignant, Fantine Harduin, Franz Rogowski, Laura Verlinden, Toby Jones

Bilder

Trailer

Filmpreise

Preis Jahr Kategorie Ergebnis
Cannes 2017 Goldene Palme Nominierung
Europäischer Filmpreis 2017 Beste Hauptdarstellerin Isabelle Huppert Nominierung
Bester Hauptdarsteller Jean-Louis Trintignant Nominierung

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In „Happy End“ gibt sich Michael Haneke mal wieder seiner Verachtung für eine gefühlskalte Welt hin, wenn er hier anhand einer zutiefst dysfunktionalen Familie den Widerspruch aus schönem Schein und menschlichem Abgrund herausarbeitet. Neue Wege beschreitet der Filmemacher damit nicht, teils ist das auch schon zu überzogen, um noch als Kommentar zur Gesellschaft durchzugehen. Das Drama ist aber erneut sehr sehenswert, in mehr als einer Hinsicht.
8
von 10