Die Liebe Frisst das Leben
Szene aus "Die Liebe frisst das Leben – Tobias Gruben, seine Lieder und die Erde" von Regisseur Oliver Schwabe

Oliver Schwabe [Interview]

In seinem neuen Film Die Liebe frisst das Leben – Tobias Gruben, seine Lieder und die Erde (seit 15. Mai 2020 als Video on Demand erhältlich) nimmt sich Regisseur Oliver Schwabe der Lebensgeschichte des Musikers Tobias Gruben an. Der Dokumentarfilm feierte auf dem Filmfest Hamburg 2019 seine Premiere und war auch Teil des Film Festival Cologne 2019. Im Interview reden wir mit dem Filmemacher über den Werdegang des Projekts, über die Verbindung von Leben und Kunst bei Tobias Gruben und über die Musik im Film.

Wie kamen Sie zu dem Projekt?
Ich habe in den 80ern Cyan Revue, die erste Band von Tobias Gruben, gehört. Die Musik hat sich an Vorbildern aus dem englischsprachigen Raum orientiert, aber für Deutschland war sie doch sehr ungewöhnlich.

Die Musik dieser Band hatte ich ganz vergessen, bis ich dann Anfang der 2010er Jahre wieder über einen der Songs gestolpert bin. Danach habe ich mich auf die Suche nach der Platte gemacht und nach weiteren Stücken von Cyan Revue und darüber habe ich erst vom Tode Tobias Grubens erfahren, ein Ereignis, von dem ich gar nichts mitbekommen hatte. Ich wusste zwar noch von seiner Nachfolgeband Die Erde, hatte aber nichts von seinem Tod 1996 gehört.

Dies war dann der Anstoß für eine Recherche, die mich zu Sebastian Gruben, Tobias’ Bruder, führte, der schon seit längerer Zeit unveröffentlichte Stücke seines jüngeren Bruders, die dieser noch vor seinem Tod eingespielt hatte, Fans zugänglich machte. Keines dieser Stücke war je auf einem Tonträger erschienen. Als ich dann diese Stücke hörte, war ich von deren Qualität begeistert und dachte, diese Musik müsse man einem breiteren Publikum zugänglich machen, denn das muss gehört werden. So ist dann die Idee zu Die Liebe frisst das Leben entstanden.

Was ist an der Musik für Sie besonders faszinierend? Die Texte? Die Komposition? Die Stimme?
Als ich mich damals für Cyan Revue begeisterte, hing dies vor allem mit meinem Faible für New Wave und Punk zusammen. Grubens nächste Band Die Erde, in der Gruben dann anfing auf Deutsch zu singen, stand für mich auf einer Stufe mit der Gruppe Einstürzende Neubauten. Interessanterweise hat Die Erde für die Neubauten bei Tourneen und Auftritten als Vorband gespielt, es aber nie auf den gleichen Bekanntheitsgrad gebracht. FM Einheit, Schlagwerker der Neubauten, hat dann auch die erste Platte von Die Erde produziert. Zu dem Zeitpunkt, als Die Erde bekannter wurde, hatte Tobias Gruben die Band dann schon wieder verlassen. Meinungsverschiedenheiten mit dem anderen musikalischen Genius in der Band, Horst Petersen, führten wohl dazu. Ich glaube, beide hatten verschiedene Visionen, was die Zukunft der Band anbetraf und deshalb hat es letztlich nicht mehr funktioniert.

Die Stücke, an denen Gruben danach gearbeitet hat, sind zeitlos, fast schon Chansons, die an den späten Rio Reiser erinnern. Das hat mich sehr fasziniert, gerade auch die Texte dieser Lieder, weil sie so direkt waren. Die Songs entstanden zur Zeit der Hamburger Schule, als Bands wie Cpt. Kirk &. oder Blumfeld eher verschachtelte Texte schrieben, während Tobias Gruben jemand war, der ganz klar herausgesungen hat, was er denkt und was er meint, was seine Musik so ungewöhnlich, neu und auch heute noch relevant macht.

Haben Sie ein Lieblingslied von Tobias Gruben?
Es gibt eigentlich viele und ich habe versucht, viele von ihnen im Film unter zu bekommen. (lacht)

Mir gefällt Mit Dir besonders gut, gerade in der Live-Version, die auch im Film zu sehen ist, weil sie so eine existenzielle Kraft in sich trägt. Ich mag auch Laub sehr gerne, da erzählt Gruben die Geschichte der Menschheit aus der Sicht eines Baumes. Und ein Song wie Heroin, der im Film gleich zweimal vorkommt, ist alleine durch die Perspektivverschiebung, dass die Droge zu dem Süchtigen singt, einfach nur einzigartig.

Manchmal ist es auch nur die Musik, die mir gefällt, beispielsweise das Schwere und Tragende bei Laub, aber bei Liedern wie Heroin sind es vor allem die Texte, die bestechen.

Ihre Gesprächspartner sprechen immer wieder in Bezug auf Tobias Gruben die Trennung zwischen Leben und Kunst an oder ob dies nicht eine Einheit ist. Wie sehen Sie das auf Tobias Gruben bezogen?
Als ich den Film geplant und konzipiert habe, war mir nicht klar, dass der Film so tief in die Familiengeschichte Grubens eindringen würde. Erst als ich mit den Freunden und Familienmitgliedern gesprochen hatte und vor allem die Briefe Tobias’ Teil des Films wurden, zeigte sich mir diese Ebene. Über die Gespräche mit Tobias’ ehemaligen Bandmitgliedern und anderen Musikern merkte ich, dass diese eigentlich gar nicht so viel über Tobias’ Familie wussten, aber klar war, dass Tobias in seinen Songs Erfahrungen mit seiner Familie verarbeitete.

Er hat also Privates in seiner Kunst thematisiert, vielleicht war das auch eine wichtige Triebfeder für sein Schaffen. Daher rührt dieses Spannungsverhältnis zwischen Kunst und Leben, denn Tobias hat, glaube ich, schon versucht, auch über seine Kunst mit seinen Eltern zu kommunizieren – nicht nur in Songs, sondern auch in sprachgewaltigen Briefen. Diese Übersetzung der bestehenden Probleme in die Kunst hat aber nicht zu einer Lösung der Probleme geführt.

So etwas kann man, das vermute ich zumindest, auch in den sogenannten Blutbildern von Tobias sehen, für die er sich durch die Einnahme von Drogen in einen bestimmten Bewusstseinszustand versetzte und dann mit dem Blut, was aus der Spritze kam, noch Kunst anfertigte. Für ihn war dies dann eine Art Ritual und nichts existenziell Gefährliches, womit er sich ein Stück weit selbst belogen hat.

Wie hat die Familie von Tobias Gruben auf das Projekt reagiert?
Mir war klar, dass ich die Perspektive der Familie für den Film brauchte, denn es gibt in Die Liebe frisst das Leben zwei Lager – die Musiker, die vornehmlich in Hamburg waren, und die Familie in Starnberg – und die beiden Gruppen haben sich zu Lebzeiten kaum vermischt. So hat Tobias beispielsweise nie Freunde aus Hamburg mit zu seinen Eltern nach Starnberg gebracht. Deswegen war mir klar, dass ich nicht nur die Musikerkollegen Grubens nach ihrer Sicht auf Tobias’ Musik fragen wollte, sondern auch die Familie.

Als ich dann Kontakt zu Tobias’ Schwester und seinem Bruder aufnahm, waren beide sofort bereit, mit mir darüber zu reden, weil sie sich gefreut haben, dass es nach all den Jahren und den Erfahrungen mit dem Vater, der Tobias’ Musik nie anerkannt hat, jetzt einen Film über ihren Bruder und seine Musik geben sollte. Über die langen, sehr offenen Gespräche sind dann Dinge ans Tageslicht gekommen, von denen ich vorher nichts wusste wie z. B. die Briefe von Tobias oder eben die bereits genannten Blutbilder, von denen ich zwar gehört hatte, aber nicht dachte, dass es sie noch gibt.

Ab einem Punkt habe ich mich gefragt, was ich hier eigentlich für einen Film mache, denn ich war im Begriff, in eine Familiengeschichte einzudringen, Themen anzusprechen, die mich eigentlich nichts angingen. Als ich dann den ersten Rohschnitt des Films fertig hatte, habe ich diesen der Familie gezeigt und die waren einverstanden mit dem Ergebnis, weil nichts erzählt wird, was nicht auch so vorgefallen ist.

Diese Ebene gibt dem Film etwas sehr Intimes und die Briefe Tobias Grubens an seinen Vater erinnern mich zumindest an vielen Stellen an die Korrespondenz, die ein Autor wie Franz Kafka mit seinem Vater pflegte.
Das ist gerade das Tragische, denn wir reden hier von einem bildungsbürgerlichen Haushalt, in dem die gesammelten Werke Kafkas im Bücherregal stehen und Tobias wie auch sein Vater diese gelesen haben. Und das, was in dieser Literatur erzählt wird, ist in vielerlei Hinsicht ähnlich dem, was die in der Familie Gruben zum Konflikt zwischen Vater und Sohn führte. Von daher hätte man das Problem eigentlich erkennen müssen.

In Ihrem Film wird die Stadt Hamburg an einer Stelle als „Musik-Mekka“ dieser Zeit in den 80ern beschrieben. Welche Bedeutung hatte diese Stadt im Leben Tobias Grubens?
So gegen Anfang oder Mitte der 80er Jahre gab es in Deutschland, zumindest für das Musikgenre, für das sich Tobias interessiert hat, viele Städte, an denen bestimmte Musik gemacht wurde. Da gab es Berlin mit Bands wie Malaria oder Einstürzende Neubauten, wo es künstlerischer, aber auch sehr existenziell zuging. Dann gab es aber auch Düsseldorf und den Ratinger Hof im Dunstkreis der Kunstakademie, wo eine bestimmte Szene um Bands wie DAF oder Fehlfarben entstand. Und dann gab es natürlich die Szene in Hamburg.

Aus Gründen, die mir nicht genauer bekannt sind, ist Tobias Gruben dann nach Hamburg gegangen, um sich dort eben nur noch um seine Musik zu kümmern, aber es hätte auch genauso gut Berlin oder Düsseldorf sein können. Doch Sebastian, Tobias’ Bruder, sagt im Film, dass es für seinen Bruder schon immer Hamburg sein musste.

Hamburg war meiner Meinung nach deswegen vielleicht wichtig, weil es ein Ort war, an dem sich sehr viele Musiker trafen, die ursprünglich nicht aus Hamburg kamen und Tobias, aus München kommend, so sehr schnell Zugang zu dieser Szene fand und ein Teil von ihr werden konnte. Er wurde dann schnell Sänger von Cyan Revue, also war der Umzug nach Hamburg der richtige Weg.

Wie kam es zu der Kollaboration mit den vielen Künstlern und Bands, die wir im Film sehen und Grubens Songs einsingen und wie haben sie auf das Projekt reagiert?
Mir ist wichtig, wenn es um einen filmischen Rückblick auf Musik geht, dass ich mich nicht in einer  „Retrospektive“ verliere, sondern ich möchte immer eine Brücke ins Jetzt schlagen. Als ich 2013 die Musik Tobias Grubens wieder neu entdeckte, berührte mich das, was ich da hörte,  immer noch, was die Zeitlosigkeit der Musik Tobias Grubens betont und zeigt, dass die Musik nicht an eine bestimmte Epoche gebunden ist.

Ich wollte Grubens Musik ins Jetzt  holen und ich habe mich dann nach Bands umgesehen, bei denen ich mir vorstellen konnte, dass es da eine Seelenverwandtschaft geben könnte zur Musik Grubens. Hendrik Otremba, Sänger der Band Messer, hatte, fast zur gleichen Zeit, als ich anfing, den Film vorzubereiten, einen Artikel im Musikmagazin „Testcard“ über Tobias Gruben geschrieben und ich vermutete, dass Tobias Gruben für die Band Messer eine Referenz sein könnte.

Im Falle von Isolation Berlin hatte die Band zu der Zeit gerade ihr Album Vergifte Dich herausgebracht und die Musik war sehr nahe an dem, was auch Tobias Gruben gemacht haben könnte. Als ich mit der Band Kontakt aufnahm, mussten sie zwar zugeben, dass sie Tobias Gruben nicht kannten, waren aber von Grubens Musik, die ich ihnen zukommen ließ, sehr begeistert.

Mit Tom Schilling hatte ich schon in verschiedenen Projekten zusammengearbeitet, er spielt ja selbst in einer Band und ich dachte mir, dass er die Musik mögen würde. Er war dann auch direkt Feuer und Flamme, als ich ihn fragte, ob er einen Song Tobias Grubens für den Film einspielen möchte.

Ich habe großen Respekt vor Musikern, vielleicht weil ich insgeheim auch gerne Musiker geworden wäre. Deshalb schrieb ich den Künstlern nicht vor, welchen Song Grubens sie spielen sollten. Sie haben von mir eine komplette Playlist aller Songs erhalten und konnten selbst wählen. Interessant finde ich, dass dann Stücke wie Heroin oder Leben den Lebenden gewählt wurden, die auch zu meinen Lieblingsliedern von Gruben zählen.

Wo Sie das gerade ansprechen, möchte ich betonen, dass ich Timm Völkers Version von Leben den Lebenden als sehr eindringlich empfand.
Das freut mich sehr. Im Hintergrund der Szene, in der Timm singt, fahren wir übrigens durch das Karoviertel, in dem Tobias Gruben in Hamburg gelebt hat.

Alle Coverversionen sind im Film in einer Einstellung gedreht, weil ich zum einen keine Videoclips drehen wollte und zum anderen, weil die Coverversionen nicht in Konkurrenz zum Original treten sollten. Man kann sich so auf die Musik konzentrieren  und in der visuellen Klarheit und Reduktion entfalten die Texte und die Musik so eine ganz besondere Wirkung.

Der Soundtrack erscheint ja parallel zum Film gegen Ende April. Werden auf dem nur die Stücke von Tobias Gruben zu hören sein oder auch die Coverversionen?
Sebastian Gruben, dem Bruder von Tobias, war es besonders wichtig, dass auch die unveröffentlichten Stücke seines Bruders nach dem Film oder mit dem Film zugänglich sein werden. Das habe ich als Arbeitsauftrag aufgefasst, und dafür gesorgt, dass die Musik von Tobias Gruben auch über den Film hinaus zugänglich gemacht wird.

Auf dem Soundtrack befinden sich die Stücke Tobias Grubens, die im Film vorkommen und zum Teil noch nie veröffentlicht wurden, und die exklusiv für den Film eingespielten Coverversionen sowie ein Bonustrack. Auf der CD sind noch einmal fünf weiter Songs zu hören.

Vielen Dank für das Gespräch.

Oliver Schwabe

Zur Person
Oliver Schwabe wurde 1966 in Hannover geboren und ist ein deutscher Regisseur, Kameramann und Drehbuchautor. Nach seinem Studium an der Kunsthochschule für Medien Köln und an der New York University, Department Arts and Media arbeitete Schwabe unter anderem als Kameramann für Jan Schütte und Lars Jessen und gründete zusammen mit dem Regisseur Christian Becker das Label field recordings und fünf Jahre später, im Jahre 2007 die gleichnamige Filmproduktionsfirma. Neben seiner Arbeit als Kameramann konzentrierte sich Schwabe als Regisseur von Dokumentarfilmen auf deutschsprachige Bands und Musiker.



(Anzeige)