Zu einer Zeit, in der die Menschen aus Rücksicht auf eine grassierende Virus-Pandemie eingesperrt sind und die eigenen vier Wände möglichst wenig verlassen sollen, ist die Vorstellung etwas komisch, dass Leute freiwillig eine solche Isolation gesucht haben. Und doch erzählt Spaceship Earth von eben einer solchen Selbstisolierung, die 1991 stattfand. Genauer folgen wir hier einer Gruppe von Männern und Frauen, aus den unterschiedlichsten Bereichen der Wissenschaft, die sich dazu entschlossen, ein Gebäudekomplex zu errichten, in dem sie zwei Jahre lang bleiben wollten. Das Ziel: „Biosphäre 2“ sollte ein in sich geschlossenes, von der Außenwelt unabhängiges Ökosystem sein, so wie es später dann auch bei einer Kolonisierung im Weltall zum Einsatz kommen sollte.
Die Menschen hinter dem Experiment
Regisseur Matt Wolf legt bei seinem Film jedoch weniger Wert auf die Technik, die in diesem System verwendet wurde. Er hat zwar Archivaufnahmen gefunden, welche die Truppe bei den Vorbereitungen zeigen, wodurch wir Zeuge werden, wie nach und nach Biosphäre 2 entsteht. Wichtiger sind ihm in Spaceship Earth jedoch die Menschen, welche Teil dieses Experiments wurden. Und so geht es nach einer kurzen Einleitung zum Beginn des Experiments noch einmal weiter in die Vergangenheit, 25 Jahre reisen wir zurück, um mehr über die Teilnehmenden zu erfahren und woher sie kommen.
Diese Informationen sind fast ebenso spannend – und ungewöhnlich – wie das, was ein Vierteljahrhundert später geschehen sollte. Die Idee entstammt einem ganz grundsätzlichen Bekenntnis zu Nachhaltigkeit, wenn die Leute Recycling betrieben, unabhängig sein wollten, der Erde nicht mehr entnehmen, als sie auf Dauer geben kann. All die Schlagworte, die heute herumschwirren bei den Beteuerungen, an die Zukunft zu denken, sie waren damals schon Gegenwart, als man sich auf seine Farm zurückzog und dort arbeitete – wenn man nicht gerade damit beschäftigt war, irgendwelche Theateraufführungen vorzubereiten.
Marketinggag oder Wissenschaft?
Das hört sich mindestens kurios an. Es dürften auch nicht wenige geben, die beim Anschauen von Spaceship Earth die Leute als Spinner abtun, vielleicht gar als Weltverbesserer-Hippies, die nicht imstande sind, in der Realität zu überleben. Umso erstaunlicher, umso beeindruckender ist, was ihnen sehr wohl gelungen ist, sowohl damals in den 60ern wie auch bei ihrem Biosphäre-Projekt. Über den wissenschaftlichen Gehalt des Experiments kann man sich streiten, umso mehr, als das Team irgendwann begann, zunehmend zu schummeln und nachträglich die Regeln zu verändern. Tatsächlich war die Sache damals schon sehr umstritten, Kritiker warfen vor, dass es hier in erster Linie um Selbstverwirklichung und Selbstmarketing ging, weniger um Erkenntnisse. Und zugegeben: An manchen Stellen hat das hier schon ein bisschen was von Big Brother.
Und doch ist es eben verblüffend, was hier auf die Beine gestellt wurde, funktioniert sowohl als ökologisches wie auch soziologisches und psychologisches Experiment. Der Dokumentarfilm, der auf dem Sundance Film Festival 2020 Premiere hatte, ist sowohl Zeitdokument wie auch Aufforderung zu untersuchen, was überhaupt möglich ist. Kann man ein künstliches Ökosystem erschaffen? Was braucht es dafür? Aber auch: Sind wir als Menschen überhaupt in der Lage, mit so etwas umzugehen und uns dauerhaft einsperren zu lassen? Das ist eben nicht nur für die aktuelle Situation interessant, die vielen wie ein Gefängnis vorkommt, sondern auch für eine mögliche Zukunft, wenn wir aus vielleicht ganz anderen Gründen auf solche Biosphären angewiesen sind.
OT: „Spaceship Earth“
Land: USA
Jahr: 2020
Regie: Matt Wolf
Musik: Owen Pallett
Kamera: Sam Wootton
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