The Euphoria of Being
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Das Glück zu leben – The Euphoria Of Being

Kritik

„Das Glück zu leben – The Euphoria Of Being“ // Deutschland-Start: 30. September 2021 (Kino)

Passend zum 75-jährigen Jubiläum des Endes der Nazi-Schreckenherrschaft gab es dieses Jahr auf dem DOK.fest München ein eigenes Segment, das sich mit dem Krieg und dem Holocaust auseinandersetzt, mit schmerzhaften Erinnerungen und der Frage, wie sich heute mit dieser Geschichte leben lässt. Vor allem jüdische Familien standen dabei im Mittelpunkt, die sich mit dem Erbe und der Identität befassen, befassen müssen. In Endlich Tacheles war es beispielsweise ein geplantes Computerspiel, das den Entwickler dazu veranlasste, lange unterdrückte Gefühle der Kriegsgeneration wieder aufleben zu lassen. Im Fall von Das Glück zu leben – The Euphoria of Being, der das Festival eröffnete, wird der Tanz als Medium genutzt.

Eine späte Trauma-Arbeit

Genauer ist es hier die 90-jährige Ungarin Éva Fahidi, die im Rahmen einer Performance ihre Geschichte zu erzählen versucht. Lange hatte auch die betagte Dame, die als einzige ihrer Familie den Gang ins Konzentrationslager überlebte, darauf verzichtet, groß in der Vergangenheit herumwühlen zu wollen, zu groß war der Schmerz, zu überwältigend das Trauma. Später begann sie aber doch, sich diesen Erlebnissen gegenüber zu öffnen und zu verarbeiten, am Ende stand die Autobiografie The Soul of Things. Diese wiederum rief Réka Szabó auf den Plan, die als künstlerische Leiterin einer Tanztheatergruppe arbeitet und zusammen mit ihr diese Performance auf die Beine stellen wollte.

Der Dokumentarfilm The Euphoria of Being begleitet dieses Projekt, arbeitet sich chronologisch von den ersten Proben bis zum großen Auftritt vor. Das ähnelt vom Prinzip her natürlich anderen Tanzdokus, die von Vorbereitungen berichten, etwa Mein Leben – Ein Tanz, der von dem geplanten Comebackversuch der Flamenco-Ikone La Chana erzählte. Im direkten Vergleich gibt es hier jedoch deutlich weniger zu sehen. Fahidi ist zwar erstaunlich gelenkig, aber eben doch keine Tänzerin. Und auch der große Auftritt fällt hier kurz aus. Zwar erfahren wir durch eine Texttafel zum Schluss, dass die Tanzperformance auch danach noch oft aufgeführt wurde, bislang 77 Mal. Wir bekommen aber nur einen minimalen Einblick, wie das wirklich aussieht.

Tänzerische Zeitreise

Stattdessen ist bei The Euphoria of Being der Blick oft in die Vergangenheit gerichtet. So wie die Performance ihre Erlebnisse und Erfahrungen ausdrücken soll, so vermittelt der Film diese in Form von Gesprächen. Immer wieder erzählt Fahidi von der Zeit damals, von dem Konzentrationslager, von der Familie, die sie dort verloren hat. Da sind persönliche Momente dabei, aber auch solche universeller Natur. Und natürlich erschreckende: Auf die Frage, ob die Nazis oft die nackten und wehrlosen Jüdinnen missbrauchten, erwidert sie, dass sie nicht mehr als Menschen wahrgenommen wurden, geschweige denn als Frauen. Den Frauen, schmutzig und verwahrlost, wurde so sehr das Menschsein abgesprochen, dass sie nicht einmal als Vergewaltigungsopfer in Frage kamen.

All das gibt die Überlebende wieder, ohne Scheu, mal nüchtern, mal emotional. Doch inmitten dieser grausamen Geschichten findet sich immer wieder Humor, findet sich das Leben: Éva Fahidi hat gelernt, mit ihrem Trauma umzugehen und einen Weg in die Gegenwart zu finden. Das ist als Zuschauer nicht nur bewegend bis tröstlich. Es kann manchmal überraschend unterhaltsam sein, wenn die 90-Jährige unter Beweis stellt, dass sie nicht nur körperlich fit geblieben ist. Ihr Geist ist scharf, die Ausdrucksweise überlegt, sie ist erfüllt von einer Lebensfreude, die man nur bewundern kann. The Euphoria of Being ist dann auch vor allem aufgrund der charismatischen und gewitzten Protagonistin sehenswert, selbst für Leute, die mit dem Thema Tanz nichts anzufangen wissen. Der Dokumentarfilm ist ein einfühlsames und zugleich unaufgeregtes Werk über das Erinnern, aber auch eine Gemeinschaft, die zwischen den Frauen entsteht und von viel Vertrauen geprägt ist.

Credits

OT: „A létezés eufóriája“
Land: Ungarn
Jahr: 2019
Regie: Réka Szabó
Musik: Balázs Barna
Kamera: Claudia Kovács

Bilder

Trailer

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In „The Euphoria of Being“ verarbeitet eine inzwischen 90-jährige Überlebende des Holocausts ihre Vergangenheit im Rahmen einer Tanzperformance. Der Schwerpunkt liegt dabei jedoch nicht auf der Performance selbst, sondern der Erinnerung und den Geschichten, welche dank der lebhaften, charismatischen Protagonistin fesseln.