Indien, Anfang des 20. Jahrhunderts. Als Satya (Avinash Tiwary) aus London zurückkehrt, wo er Jura studiert hat, herrscht in seiner Familie das reine Chaos. Sein älterer Bruder Mahendra (Rahul Bose) ist tot, gestorben unter mysteriösen Umständen, die Braut (Paoli Dam) aus dem Haushalt verbannt. Der ältere Zwilling von Mahendra wiederum ist seit einigen Jahren schon spurlos verschwunden, weshalb dessen Braut Bulbbul (Tripti Dimri) nun das Sagen hat, die als Kind an ihn verheiratet wurde. Und es bleibt nicht bei diesem einen Tod, noch weitere Männer in dem Dorf werden von irgendjemandem getötet. Während Satya versucht, eine Antwort auf seine Fragen zu finden, macht das Gerücht einer blutrünstigen Hexe die Runde …
Horror made in India
Nachdem Netflix eine Zeit lang auffallend viele Horrortitel aus Singapur importiert hatte, scheint der Streamingdienst nun Gefallen an Indien gefunden zu haben. So schaffte es dieses Jahr die Anthologie Ghost Stories zu uns, kürzlich folgte die Serie Vetala, die eine Abrechnung mit dem britischen Kolonialismus und folkloristische Elemente zu einem blutigen Gemetzel verband. Der neue Film Bulbbul geht da in eine grundsätzlich ähnliche Richtung, wenn wir erneut in die Vergangenheit zurückreisen und es mit einer Figur aus dem Reich der Mythen und Legenden zu tun bekommen. Ganz vergleichbar sind die beiden Titel jedoch nicht.
So wird das britische Empire beispielsweise nicht verdammt. Im Gegenteil: Es ist kein Zufall, dass Satya ausgerechnet in London studiert und mit seiner weltgewandten, rationalen Art einen ziemlichen Kontrast zu den eher simplen Leuten vom Land bildet. Dafür ist Bulbbul in anderer Hinsicht zu gesellschaftlichen Aussagen bereit, fast schon genötigt. Schon zu Beginn, wenn die Titelfigur als kleines Kind an einen erwachsenen Mann verheiratet wird, ist das für heutige Augen ein entsetzlicher Anblick. Und auch später wird Anvita Dutt viel dafür tun, das von Frauen erlittene Unrecht anzusprechen und zu sühnen. Wenn Männer in dem Film ums Leben kommen, dann nicht ganz grundlos.
Geduld, Geduld …
Das klingt nach einem Rachethriller, wie man sie im Genrekino doch des Öfteren zu Gesicht bekommt. Das stimmt jedoch nur zum Teil. Auch das Horrorlabel, das im Vorfeld von Netflix auf den Film geklebt wurde, passt nicht so recht. An vielen Stellen ist Bulbbul mehr ein Drama, verbunden mit historischen und sozialen Elementen. Dazu trägt auch die Musik bei, die schon sehr stark verdeutlichen soll, wie furchtbar traurig das Schicksal es zuweilen meint. Nachvollziehbar ist das, jedoch auf eine ziemliche übertriebene Weise dargestellt. Dutt mag es schon ausgesprochen schwülstig, was verbunden mit der lethargischen Art zu einer echten Geduldprobe wird.
Interessant sind dafür die Szenen, in denen die vermeintliche Hexe ihre Auftritte hat: Bulbull hüllt das Geschehen in einen konstanten roten Schleier. Der kommt im Laufe der anderthalb Stunden sicher ein wenig exzessiv zum Einsatz, sieht ebenso wie die Spezialeffekte später auch nicht sonderlich überzeugend aus. Und doch verleiht diese Gestaltung dem Geschehen ein unwirkliches Ambiente, gibt dem Ganze eine traumartige Atmosphäre. Diese Momente ebenso wie die historische Ausstattung tragen dazu bei, dass der Film in der Summe nicht uninteressant ist. Doch wie bei Vetala auch lässt der Inhalt trotz vielversprechender Ansätze zu wünschen übrig. Für Horrorfans wird das hier schlichtweg zu langweilig sein, für Mysteryfreunde zu vorhersehbar, für Dramaanhänger zu oberflächlich. Von allem etwas also, insgesamt aber nicht genug.
OT: „Bulbbul“
Land: Indien
Jahr: 2020
Regie: Anvita Dutt
Drehbuch: Anvita Dutt
Musik: Amit Trivedi
Kamera: Siddharth Diwan
Besetzung: Avinash Tiwary, Tripti Dimri, Paoli Dam, Rahul Bose, Parambrata Chattopadhyay
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