Irgendwie hat Şevket (Müfit Kayacan) kein Glück. Erst hatte er seine älteste Tochter Reyhan (Cemre Ebüzziya) in die Stadt geschickt, um dort als Dienstmädchen zu arbeiten. Doch sie kam wieder, schwanger, weshalb sie schnellstens verheiratet werden musste und mit zwanzig wieder in dem abgelegenen Dorf lebt. Und auch Tochter Nummer zwei, die 16-jährige Nurhan (Ece Yüksel), hat es nicht lange dort ausgehalten. Sie soll den Jungen der Familie geschlagen haben, nachdem der ins Bett gepinkelt hat – was nicht akzeptiert werden kann. Bleibt noch die 13-jährige Havva (Helin Kandemir), die dritte der drei Schwestern. Doch erneut ist die Familie vom Pech verfolgt …
Türkische Filme, in denen Frauen im Mittelpunkt stehen, das bedeutete in den letzten Jahren oft eine Auseinandersetzung mit alten, patriarchalen Strukturen, mit Unterdrückung, mit traditionellen Rollenbildern, die nicht einmal annähernd davon ausgehen, dass beiden Geschlechtern dieselben Rechte zustehen sollten. In Sibel reisten wir in eine abgelegene Berggegend, in der die junge Protagonistin auf die Bevormundung durch die Dorfbevölkerung pfiff. In Mustang lernten wir einige Schwestern kennen, die gegen ihren Willen verheiratet werden sollten und denen jede Form von Eigenständigkeit und eigenem Denken ausgetrieben wurde.
Die Sehnsucht nach dem Entkommen
Eine Geschichte von drei Schwestern ist nun eine Art Mischung aus den beiden obigen Filmen. Auch hier begegnen wir Schwestern, über die bestimmt wird und die ihr Schicksal entgegennehmen sollten. Erneut befinden wir uns in einer abgelegenen Berglandschaft, diesmal irgendwo in Zentralanatolien. Dieses Mal ist es zwar keine Zwangshochzeit, welche die drei über sich ergehen lassen sollten. Stattdessen sollen sie als Dienstmädchen für einen reichen Stadtmenschen arbeiten, der die einzige realistische Chance für sie darstellt, der Einöde zu entkommen. Zumal der Vater ohnehin kein Geld hat, seit dem Tod seiner Frau eigentlich nichts mehr funktioniert.
Regisseur und Drehbuchautor Emin Alper schuf damit eine Mischung aus Familien- und Sozialdrama, erzählt von gesellschaftlichen Zwängen, aber auch persönlichen Nöten. Immer wieder zeigt er uns beispielsweise Szenen aus dem Alltag der drei Schwestern, der gleichzeitig von Zuneigung und Zärtlichkeit wie auch Gegensätzlichkeit geprägt ist. Sie mögen sich verbunden fühlen, halten es jedoch kaum miteinander aus – woran die engen Verhältnisse ihres Heims sicher nicht unschuldig sind. Während die drei und ihre Geschichten grundsätzlich den Mittelpunkt darstellen, lässt Eine Geschichte von drei Schwestern jedoch immer wieder den Blick schweifen, stellt auch andere Menschen vor, die dort im Nirgendwo leben, mit den harten Bedingungen zu kämpfen haben und am liebsten weg wollten. Sie können es nur nicht.
Das Märchen der vergangenen Gegenwart
Zwischendurch hat man den Eindruck, dass ein Fluch auf der Gegend liegen könnte, gegen den die Menschen verzweifelt ankämpfen, ohne ihn genau zu kennen. Dazu passt auch die märchenhafte Stimmung, die Alper erzeugt. Schon die Geschichte, dass drei Schwestern nach und nach für dieselbe Stellung ins Spiel gebracht werden, erinnert an die Märchen von einst wie „Tischlein deck dich“ oder „Die drei Brüder“. Auch die Gegend wirkt, als wäre die Zeit stehengeblieben, als hätten wir uns von dem hier und jetzt verabschiedet – nicht zuletzt weil Alper und sein Kameramann Emre Erkmen die Landschaft sehr kunstvoll in Szene setzt. Da trifft ein Sinn für reale Probleme auf eine mal reizende, mal unheimliche Entrücktheit. Ein Städter schwärmt für die Postkartenidylle der Natur, während die Menschen vor Ort kaum mehr von ihr leben können.
Stoff zum Nachdenken gibt es hier also, ebenso solcher, den man einfach genießen kann – wie eben die teils wunderbaren Aufnahmen. Allerdings macht es der Film, der 2019 im Wettbewerb der Berlinale lief, dem Publikum nicht unbedingt einfach. So springt Eine Geschichte von drei Schwestern schon mal ein bisschen durch die Zeit hin und her, was das Folgen zu einer Herausforderung machen kann. An anderen stellen ist das Drama hingegen ein bisschen träge, gerade in den ausgedehnten Dialogen, die sich recht lange mit einem Thema befassen und den Absprung nie so ganz schaffen. Das macht den Film an manchen Stellen zu einer Geduldprobe, zumal nicht alles eine tatsächliche Auflösung erfährt. Doch wer die besteht und sich auf diese Welt einlassen kann, die einerseits sehr speziell ist und doch universelle Themen anspricht, der wird auf dem Weg reich belohnt.
OT: „Kız Kardeşler“
Land: Türkei, Deutschland, Niederlande, Griechenland
Jahr: 2019
Regie: Emin Alper
Drehbuch: Emin Alper
Musik: Nikos Papaioannou
Kamera: Emre Erkmen
Besetzung: Cemre Ebüzziya, Ece Yüksel, Helin Kandemir, Kayhan Açıkgöz, Müfit Kayacan, Kubilay Tunçer
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