Da saßen sie so gemütlich vor dem Fernseher, freuten sich über die neueste Folge ihrer Lieblingsserie. Und was passiert? Bildstörung. Neustart, ausstöpseln, nichts bringt, auf dem Bildschirm ist nur ein seltsames Rauschen zu sehen. Doch das ist nur der Anfang, kurze Zeit später tauchen dort Symbole auf, die nicht nur auf die gemütliche Runde irgendwie hypnotisierend wirken. In der ganzen Stadt sind die Leute von ihren Smartphones, Rechnern und Fernsehern gefesselt, auf denen nichts mehr ist, wie es mal war. Aus den Radios kommt kein menschlicher Ton mehr, die Internetverbindungen sind gekappt. Und als wäre das nicht schon verwirrend genug, wird die Stadt nun von riesigen Katzen belagert, die auf den Dächern lauern und mit herkömmlichen Waffen nicht zu vertreiben sind …
So traurig es natürlich ist, dass Filmfeste derzeit regulär nicht stattfinden können, die alternativen Online-Varianten haben auch ihre Vorzüge. Siehe Annecy. Nicht allein, dass dieses Jahr ein internationales Publikum an dem traditionsreichen Animationsfestival teilhaben kann, ohne dafür die eigenen vier Wände verlassen zu müssen. Durch den Wegfall der großen Titel, die sonst im Rahmen des Festivals gezeigt worden wären, bleibt mehr Platz für kleine, ungewöhnliche Werke. Und von denen gab 2020 jede Menge. Wer beispielsweise einen etwas anderen Humor pflegt, der bekam einiges geboten. Selbst das an und für sich familientaugliche Jungle Beat – The Movie aus Mauritius setzt auf ein ziemlich schräges Szenario, das estnische Stop-Motion-Abenteuer Old Man – The Movie wird im weiteren Verlauf völlig surreal.
Der erste Eindruck trügt
Dass man auch in Argentinien humoristischen ein klein wenig anders unterwegs ist, das beweist Lava. Optisch macht das Ganze recht wenig her. Die simpel gezeichneten Figuren sind weder technisch noch vom Design her Hingucker, die Hintergründe sind genauso spartanisch. Eigentlich ist der Film so billig, dass man ihn sich nicht einmal als Fernsehserie unbedingt angeschaut hätte und man ihn zunächst nicht viel Interesse entgegenbringt. Glücklicherweise trügt der erste Eindruck aber. Denn was dem Werk an visueller Finesse fehlt, das macht es durch einen umso größeren What-the-Fuck-Faktor wieder wett. Schon der Einstieg, wenn von Tätowierungen die Rede ist, gestaltet sich ein wenig seltsam. Später verzichtet man komplett auf Faktoren wie Sinnhaftigkeit.
Am ehesten ist Lava noch als Satire plausibel. Das betrifft einerseits den Wahn zu sozialen Medien bzw. einer medialen Konsumgesellschaft, die durch den Blick auf große und kleine Bildschirme längst nicht mehr mitbekommt, was um sie herum geschieht. Gleichzeitig erinnert der Film aber auch ein wenig an die Paranoia-Thriller von anno dazumal, die gerne auch in Form von Hörspielen übers Radio übertragen wurden. Die Weite der Nacht setzte diesen kürzlich ein filmisches Denkmal. Doch während die US-Variante dies aus liebevoller Bewunderung heraus tut, da macht man sich hier lieber über alles lustig und produziert grotesken Quatsch.
Ein irrer Blödsinn
Das ist durchaus unterhaltsam, zumal man sich in Südamerika einen Spaß daraus machte, Erwartungen einfach mal zu unterwandern. Mal wird das eigene Medium aufs Korn genommen, wenn auf einmal Dinge möglich werden, die nicht möglich sein können – was entsprechend kommentiert wird. Außerdem werden à la Reality Z unentwegt irgendwelche Figuren aus dem Spiel genommen, teils auf überraschend brutale Weise, weshalb man sich erst recht nicht sicher sein kann, worauf das nun hinauslaufen wird. Hinzu kommt: Während in anderen Geschichten, die mit mysteriösen Ereignissen arbeiten, nach und nach Puzzleteile zusammengefügt werden, wird Lava mit der Zeit nur verwirrender. Die Antworten, welche die Figuren und das Publikum erhalten, etwa zur Rettung durch Tätowierungen, erzeugen nur noch mehr Fragen. Das Ziel entfernt sich umso weiter, je näher man ihm kommt.
Das wird die einen begeistern, die es eben abwegiger mögen, im Idealfall sogar Spaß damit haben, dass Lava Mysterythriller so weit demontiert, dass am Ende nur ein großes Fragezeichen bleibt. Andere wird es hingegen frustrieren, wenn die große Aufklärung fehlt, man letztendlich mit dem Blödsinn allein gelassen wird. Schade ist zudem, dass bei den Witzen doch des Öfteren wiederholt wird, was bei einem Film, der nur wenig länger als eine Stunde ist, nicht unbedingt hätte sein müssen. Aber auch wenn dann nicht die ganz große Begeisterung rausspringen sollte, es lohnt sich schon, diesen eigenwilligen Animationsfilm anzuschauen. Denn wer weiß, wann man eine erneute Gelegenheit dazu erhält.
OT: „Lava“
Land: Argentinien
Jahr: 2019
Regie: Ayar Blasco
Drehbuch: Salvador Sanz, Ayar Blasco, Nicolás Britos
Musik: Emisor
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