So etwas wie Normalität kennt Ai (Sairi Ito) nicht und schon gar nicht so etwas wie eine Familie. Nachdem ihr Vater ihre Mutter (Leona Hirota) verlassen hat, widmet die sich immer wieder einer anderen Religion und vernachlässigt Ai, die vergeblich um ihre Aufmerksamkeit ringt. Schließlich gibt sie Ai sogar in die Obhut einer religiösen Sekte, in deren Mitte Ai endlich so etwas wie Glück und Zusammenhalt erfährt, auch wenn dieser nur kurz ist. Wieder zurück in der Wirklichkeit geht Ai das erste Mal zur Schule, wo ihr der Außenseiter Ryota (Kenta Suga) das erste Mal begegnet und sich sogleich in sie verliebt. Während Ryota als Mitglied einer Gang, angeführt von dem Hünen Kenta (Antony) und seinem Kumpel Yuji (Kaito Yoshimura), die Straßen aufmischt und für den Gangsterboss Kida (Denden) den ein oder anderen Job erledigt, wechselt Ai wiederholt die Familien. Ihr Glück findet Ai aber leider bei keiner der Ersatzfamilien, die sich sucht und auch wenn Ryota zu ihr hält, findet er doch keinen Zugang zu der jungen Frau.
Traurig auf der Welt zu sein
Neben seiner hohen Produktivität als Regisseur zeichnet sich der Japaner Eiji Uchida in seinen Geschichten auch durch eine gewisse Vorliebe für die Randbereiche sowie die Außenseiter der Gesellschaft aus. Während sein vorheriger Film Lowlife Love die Independent- und Pornoindustrie seines Landes zeigte, bleibt Love and Other Cults zumindest teilweise in einem ähnlichen Metier und erzählt dabei eine Geschichte, die auf tatsächlichen Ereignisse beruht. Wie schon in seinen vorherigen Arbeiten geht es um das Finden der Familie, über die großen Suche nach dem Glück und der Liebe in dieser Welt, die gleichzeitig ein Prozess der Identitätsfindung ist.
Zentral für den Film ist die Geschichte Ais, auch wenn sich der Film immer wieder kurzzeitig auf andere Charaktere konzentriert. Die von Sairi Ito mit großem Engagement gespielte Ai gleicht in gewisser Weise jenem unglücklichen Regisseur aus Lowlife Love, der einmal in seinem Leben einen Moment des Erfolgs erlebte und nun versucht, diesen zu reproduzieren. Während Kiyoshi Shibukawas Figur aber in eine gewisse Trägheit verfällt, sucht Ai stets nach einer neuen Familie, nach einem neuen Glück, was sie letztlich auch zum Ziel vieler Charaktere macht, die sie am Ende nur ausnutzen. Rührend sind dabei vor allem jene Szenen, in denen sie sich Mühe gibt, die „Ersatz-Tochter“ zu sein, was von der tatsächlichen Tochter als Bedrohung empfunden wird. So umgibt ihre Figur eine gewisse Verzweiflung, eine Trauer „auf der Welt zu sein“, wie sie es Ryota an einer Stelle sagt, da diese ihr das Glück für einen Moment lang zeigte, nur um es ihr dann kurze Zeit später wieder zu entreißen.
Konsequent für diese Geschichte zeigt Uchida in seiner Inszenierung jene dunklen und dreckigen Bereiche der Stadt. Der urbane Raum, wie ihn die Kamera Maki Itos einfängt, ist unordentlich, bisweilen labyrinthisch und verräterisch, während alle Szenen außerhalb dieses Ortes – in der Sekte und am See – schon idyllisch wirken, wie ein Ausweg für die Charaktere, nicht nur aus der Stadt, sondern auch aus der Rolle, die ihnen die Stadt bislang zugestanden hat. Besonders schön sind die Szenen, in denen der wortkarge Hüne Kenta durch eine Bekanntschaft, in die er sich verliebt, das Tauchen lernt und in der friedlichen Unterwasserwelt eine so gegensätzliche, so friedliche Alternative zu seinem sonstigen Leben kennenlernt. Doch diese Idylle hält nicht ewig, wie das Glück Ais begleitet diese Szenen stets die Aura des Temporären.
Streunende Fische
Das Kino Eiji Uchidas ist eines, welches von seinen Figuren und den Orten lebt, weniger aber von einer besonders künstlerischen Inszenierung. In den über 90 Minuten seines Films umfasst er nicht nur viele Charaktere, sondern auch viele Geschichten oder Schicksale, was bisweilen etwas aus dem Ruder zu gehen scheint. Das Spiel seiner jugendlichen Darsteller wie auch die detailreiche Inszenierung ihrer Handlungsräume leiten den Film angenehm auf dessen Hauptthemen zurück.
Generell erzählt auch dieser Film von den „streunenden Fischen“, wie es an einer Stelle heißt, von Menschen, die an den Randbezirken der Gesellschaft ihr Glück suchen. Dabei gleitet der Film immer wieder ins Episodenhafte über, zeigt dabei aber, dass selbst einem in gewisser Weise soziopathisch veranlagten Charakter wie Yuji ein Mensch steckt, der auch nur nach einer Familie sucht, auch wenn seine Wahl mit der japanischen Mafia, wie man ahnt, ein böses Ende nehmen wird.
OT: „Kemonomichi“
Land: Japan
Jahr: 2017
Regie: Eiji Uchida
Drehbuch: Eiji Uchida
Musik: Hiroyuki Onogawa, Yuya Shitou
Kamera: Maki Ito
Besetzung: Sairi Ito, Kenta Suga, Kaito Yoshimura, Antony, Denden, Matthew Chozick, Leona Hirota
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