England, Ende der 1930er: Der lange blutige Krieg zwischen den Familien York und Lancester hat ein Ende gefunden, Edward York (John Wood) wurde zum König gekrönt und herrscht nun als Edward IV über Großbritannien. Doch von Frieden keine Spur. Denn Richard Gloucester (Ian McKellen), der Bruder von Edward und erfolgreicher Kriegsherr, gelüstet es selbst nach der Macht. Um diese zu erhalten, ist ihm auch kein Preis zu hoch, selbst vor einem Mord an seinen eigenen Brüdern schreckt er nicht zurück. Doch die sind nicht die einzige Bedrohung, schließlich gibt es auch noch Edwards Gemahlin Elizabeth (Annette Bening) und deren Familie, die ebenfalls Anspruch an den Thron haben und auf die eine oder andere Weise aus dem Weg geräumt werden muss …
Mehr als 400 Jahre liegt der Tod von William Shakespeare nun schon zurück, doch noch immer werden seine 39 Stücke rauf und runter gespielt. Viele Schauspieler und Schauspielerinnen empfinden es als eine Ehre, eine seiner bedeutenden Figuren verkörpern zu dürfen, wer Englisch oder Literatur studiert, der kommt ohnehin nicht drumherum, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Natürlich hat sich in den vergangenen Jahrhunderten einiges getan, weshalb bei aller Liebe zum Original Neuaufführungen gerne mal etwas andere Wege und Interpretationen wagen. Gerade bei Kinofilmen wird um neue Perspektiven gerungen. Das kann mal wörtlich sein, wie etwa in Ophelia, welches die Ereignisse aus Hamlet aus den Augen einer weiblichen Nebenfigur erzählt. Andere versetzen das Geschehen einfach in die Neuzeit, siehe etwa Romeo + Julia von Baz Luhrmann.
Eine alternative Vergangenheit
Auf eine gewisse Weise tut dies auch Richard III. Die zugrundeliegende Geschichte des Stücks befasst sich eigentlich mit den sogenannten Rosenkriegen, die zwischen 1455 und 1485 zwischen den verfeindeten Adelshäusern York und Lancester ausgetragen wurden, um den König zu bestimmen. Regisseur Richard Loncraine (Tanz ins Leben), der zusammen mit Hauptdarsteller Ian McKellen das Drehbuch schrieb, verlagerte dies jedoch in die späten 1930er. Die Thronfolge war zu dem Zeitpunkt natürlich längst geklärt, weshalb der Film eine Art alternative Vergangenheit aufzeigt. Die grundsätzlichen Konflikte wurden beibehalten, das Setting aber komplett verändert. „Ein Pferd! Ein Pferd! Mein Königreich für ein Pferd!“, eines der berühmtesten Zitate aus dem Stück, erhält beispielsweise einen neuen Kontext, wenn drumherum Panzer unterwegs sind und Flugzeuge durch den Himmel rauschen.
Auch sonst gibt es eigenwillige, durchaus reizvolle Kombinationen und Spielereien. Nicht nur durch die zeitliche Neuorientierung in die Phase von Hitlers Weltkrieg, auch durch die Bildsprache wird aus dem historischen England eine faschistoide Variante, die zugleich auf typisch englische Symbole zurückgreift. Das Ergebnis ist ausgesprochen interessant, einerseits vertraut, gleichzeitig fremd bis sogar verstörend. Die bizarren, verschlungenen Intrigen und Machtkämpfe, welche aufgrund der zeitlichen Distanz so fern sind, wirken auf einmal ganz nah. Richard III gibt den Vorfällen eine Glaubwürdigkeit, die gerade auch angesichts politischer Entwicklungen in den USA und Europa fast schon unheimlich glaubwürdig geworden sind.
Ein erschreckender Machtmensch
Wobei das natürlich im großen Maße auch McKellen (Der Herr der Ringe) zu verdanken ist. Er füllt seine Figur mit so viel Wahn und Machtgier an, dass er trotz seiner an und für sich nicht allzu imposanten Statur zu einer furchterregenden Gestalt wird, die man am liebsten weit weg von sich weiß, in einem anderen Land, einem anderen Kontinent. Drumherum wurde ein erstklassiges Ensemble versammelt, zu dem unter anderem Robert Downey Jr. als Elizabeths Bruder und Maggie Smith als Richards Mutter zählen, die allesamt in den Strudel hineingezogen werden. Da werden Allianzen geschlossen und wieder gebrochen, Angehörige rücksichtslos gemeuchelt, und sei es nur als reine Vorsichtsmaßnahme.
Das ist nicht immer ganz leicht zu verfolgen. Obwohl McKellen und Loncraine das Stück Shakespeare deutlich gestrafft haben, beispielsweise indem mehrere Figuren zu einer gemacht wurden, Richard III bleibt auch in der Light-Variante ein Dschungel, ein nicht immer zu durchschauendes Geflecht von familiären und sonstigen Bindungen. Dass in dem Wirbel vieles nur angedeutet bleibt, etwa zu den Figuren und ihren Beziehungen zueinander, das lässt sich kaum vermeiden – zumal der Film mit nicht mal 100 Minuten überraschend kurz ausfällt. Es bleibt ja nicht einmal die Zeit, aus dem Protagonisten mehr zu machen als einen von Machtgier gezeichneten Mann, der seinen Ambitionen alles andere unterordnet und der darüber hinaus keine Charakterisierung erfährt. Doch die Ausgestaltung ist so faszinierend, mit Nuancen spielend, dass man dem Geschehen trotz allem gebannt zusieht. Selbst wer mit dem klassischen Shakespeare nicht so viel anzufangen weiß, schaut hier mal rein und darf sich von dem Machtrausch unterhalten oder eben erschrecken lassen.
OT: „Richard III“
Land: UK
Jahr: 1995
Regie: Richard Loncraine
Drehbuch: Ian McKellen, Richard Loncraine
Vorlage: William Shakespeare
Musik: Trevor Jones
Kamera: Peter Biziou
Besetzung: Ian McKellen, Annette Bening, Jim Broadbent, Robert Downey Jr., Kristin Scott Thomas, Maggie Smith
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
---|---|---|---|---|
Academy Awards | 1996 | Bestes Szenenbild | Nominierung | |
Beste Kostüme | Nominierung | |||
BAFTA Awards | 1997 | Bester britischer Film | Nominierung | |
Bestes adaptiertes Drehbuch | Ian McKellen, Richard Loncraine | Nominierung | ||
Bester Hauptdarsteller | Ian McKellen | Nominierung | ||
Bestes Szenenbild | Sieg | |||
Beste Kostüme | Sieg | |||
Berlinale | 1996 | Goldener Bär | Nominierung | |
Silberner Bär: Beste Regie | Richard Loncraine | Sieg | ||
Europäischer Filmpreis | 1996 | Bester Hauptdarsteller | Ian McKellen | Sieg |
Golden Globe Awards | 1996 | Bester Hauptdarsteller – Drama | Ian McKellen | Nominierung |
Berlinale 1996
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