Seymour Levov (Ewan McGregor), von den anderen oft „Der Schwede“ genannt, hat es geschafft: Er hat seine eigene, kleine Traumfamilie, nachdem er die ehemalige Schönheitskönigin Dawn Dwyer (Jennifer Connelly) geheiratet hat – trotz der Skepsis seines Vaters. Als dann später auch noch die Tochter Merry (Dakota Fanning) hinzukommt, scheint nichts mehr das Glück stören zu können. So dachte er. Doch in den USA der 1960er geht es hoch her, die Frage nach dem Vietnamkrieg entzweit das Land. Merry lässt sich dabei von der Antikriegsstimmung mitreißen, wird zu einer engagierten Aktivistin. Seymour hält nicht viel davon, lässt sie aber gewähren. Bis sie zur Hauptverdächtigen eines Bombenanschlags wird und spurlos verschwindet …
Irgendwann erwischt es sie wohl alle mal. Wenn Schauspieler alles in ihrem Leben erreicht haben oder zumindest das Gefühl haben, dass es nicht mehr weitergeht, versucht so manch einer, dann doch mal die Seiten zu wechseln und selbst Regie zu führen. Das Ergebnis ist dabei zwangsläufig nicht wirklich einheitlich: Nicht jeder, der gelernt hat, vor der Kamera zu agieren, weiß deshalb automatisch, was auf deren anderen Seite zu tun ist. Interessant ist dabei aber zumindest meistens, womit die Künstler und Künstlerinnen so ihr Debüt abgeben, welche Stoffe ihnen am nächsten waren, welche Genres ihnen liegen.
Hohe Ziele zum Anfang
Im Fall von Ewan McGregor, der durch Trainspotting berühmt wurde und später in Blockbustern wie Star Wars: Episode I – Die dunkle Bedrohung mitspielte, ist es vor allem sein Mut, der beeindruckt: Als ersten Film einen Roman auszusuchen, der einen Pulitzer Preis gewonnen hat, das muss man sich erst einmal trauen. Zumal die gleichnamige Vorlage von Amerikanisches Idyll, ein 1997 erschienenes Buch von Philip Roth, sich intensiv mit der amerikanischen Geschichte des Vietnamkriegs auseinandersetzt und dabei den amerikanischen Traum gleich mit seziert. Das ist nicht unbedingt der Stoff, den ein in den frühen 70ern geborener Schotte unbedingt verinnerlicht hat.
Dass der Film im Vergleich zur Vorlage deutlich vereinfacht wurde, dürfte aber nicht allein daran liegen. Vielmehr wird McGregor vor demselben Problem gestanden haben, das eine solche Adaption immer mit sich bringt: Wie soll man ein Werk von mehreren hundert Seiten in einen einzelnen Film packen? Dass da einiges auf der Strecke bleibt, ist quasi vorgegeben. Während man sich auf das große Ganze konzentriert und die Geschichte im Groben beibehält, bleibt für Details, Nuancen und Kontexte wenig Platz. Wenn beispielsweise die Rahmenhandlung aus einer Unterhaltung anlässlich des Todes von Levov entsteht, dann war das in gedruckter Form noch die Gelegenheit eines perspektivischen Erzählens. Im Film gibt es hingegen nur noch einen Voice-over, der ebenso wie die Figuren nichts hinzuzufügen hat.
Ein Land bricht auseinander
Stoff gibt es natürlich immer noch genug. Amerikanisches Idyll zeigt auf, wie ein Mensch von seinem schönen, kleinen Glück träumt, von ehrlicher Arbeit und harmonischen Familienleben, vor dessen Augen aber alles immer mehr in die Brüche geht. Zum Teil war es das schon vorher: Einer der faszinierendsten Aspekte des Films ist es, mit welcher Verblüffung die Eltern ihrer Tochter gegenüberstehen. Wie sehr sie mit ihrem eigenen Leben beschäftigt waren und dabei Merry fremd geworden sind. Im Kleinen zeigt das Drama eine Nation, die mit sich selbst ringt, eine Rebellion, die sich quer durch das Land zieht und dabei Dinge zum Vorschein kommen, derer sich vieler nicht bewusst waren oder sie nicht wahrhaben wollten. Das Glück des amerikanischen Traums, es hat kein solides Fundament.
Diese Entfremdung wird in der zweiten Hälfte noch ausgeprägter, wenn sich das Drama stärker in eine Krimirichtung bewegt und Sevov nach seiner Tochter sucht – im wörtlichen wie übertragenen Sinn. Ab diesem Zeitpunkt wird es leider arg plakativ, die fehlenden Nuancen werden hier stärker störend als in der stimmigeren ersten Hälfte. Auch bei den Figuren wäre mehr Detailreichtum wünschenswert gewesen. Dafür gibt es schöne Bilder aus einem Amerika der 1960er, welche man sich immer wieder gern ansieht und die doch maßgeblich zu der Atmosphäre beitragen. Ob es dafür den Film gebraucht hätte, darüber kann man sich streiten, ebenso ob McGregor den Regie-Weg weiter beschreiten sollte. Ein brauchbares Debüt ist Amerikanisches Idyll aber schon geworden.
OT: „American Pastoral“
Land: USA
Jahr: 2016
Regie: Ewan McGregor
Drehbuch: John Romano
Vorlage: Philip Roth
Musik: Alexandre Desplat
Kamera: Martin Ruhe
Besetzung: Ewan McGregor, Jennifer Connelly, Dakota Fanning, Peter Riegert, Rupert Evans, Uzo Aduba
Toronto International Film Festival 2016
Filmfest Hamburg 2016
Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diesen Link erhalten wir eine Provision, ohne dass für euch Mehrkosten entstehen. Auf diese Weise könnt ihr unsere Seite unterstützen.
(Anzeige)