Innerhalb der Kultur ist der Status von Werken wie James Joyces Ulysses oder Thomas Manns Der Zauberberg unumstritten. Die psychologische, politische und soziologische Vielschichtigkeit eines wahren Meisterwerks der Literatur, dieses Porträts einer Zeit und einer einzigartigen Sicht auf die Welt sowie die Menschen, die in ihr leben, ist mitunter beinahe genauso faszinierend wie die Personen, die diese erschaffen haben. Wer alleine schon einmal in Dublin war und auf den Spuren eines James Joyce wandelte, vorbeiging am Laden, in welchem Edward Bloom die Limonenseife kaufte und die Nachstellung eines von Joyces Zimmern sah, erhält einen ebenso interessanten Einblick in das Leben eines Künstlers und wie dieser die Welt und seine Kunst sah. Doch trotz der vielen Informationen, die man erhält, bleibt eine Distanz und ein Rätsel haften, denn das Mysterium eines Künstlers ist mitnichten aufgehoben, egal wie sehr man sich bemüht, dessen Leben und Arbeiten zu rekonstruieren.
Fast noch interessanter, dafür aber umso mysteriöser ist das Leben derer, deren Werk überschaubar ist und dennoch einen nicht zu übersehenden Eindruck hinterlassen haben in der Kultur unserer Welt. Als 1958 der Roman Der Leopard in Italien veröffentlicht wurde und in Windeseile die Welt eroberte, war dessen Autor Guiseppe Tomasi di Lampedusa schon ein Jahr tot. In seiner Dokumentation Die Geburt des Leoparden versucht der Italiener Luigi Falorni dem Autor und seinem Werk auf die Spur zu kommen, erzählt mithilfe von vielen Fotos sowie Filmaufnahmen sowie vieler Gespräche – von denen einige inszeniert sind – von einem Leben, welches, ähnlich wie das des Protagonisten in seinem Roman, einen Kontinent im Wandel erlebte und wie sich diese profunden Veränderungen auf ihn selbst wie auch seine Liebsten auswirkten.
Die Deutung der Welt und Lebens
Mehr noch als eine Lebensgeschichte ist Falornis Film eine wort- und informationsreiche Zeitreise in ein Europa im Wandel zweier Weltkriege, eine Geschichte vom Abschied einer Welt und einem Leben, in welchem die Kunst, vor allem aber die Literatur, die Deutungshoheit über alles hatte. Weniger über Daten als vielmehr über die reichen, prächtigen Orte seiner Kindheit, Jugend und des Erwachsenenalters mag sich ein Leben erschließen, das die Fantasie vorzog, das Märchen und den Glanz einer Zeit, auch mit dem Bewusstsein, das dieser vergänglich war. Guiseppe Tomasi di Lampedusa ist in diesen Momenten eine Mischung aus Nostalgiker und Romantiker, ein Mensch, für den die Literatur nicht nur Unterhaltung ist, sondern Lebenselixier und ewiger Begleiter.
Darüber hinaus erzählt Falorni aber auch eine Geschichte seiner Heimat Italien, wie sich dieses im Laufe der Zeit durch die Faschisten und später nach dem Krieg änderte. Wie es Abschied nahm vom Glanz der Aristokratie, wieder zusammenwuchs und zu sich selbst fand. Das Leben eines Menschen wie di Lampedusa dient hier als eine Art Spiegelbild für diese Zeit wie auch für eine Atmosphäre zwischen Wehmut und der Gewissheit des Untergangs, eine Stimmung die sowohl seinen Roman als auch dessen Verfilmung durch Luchino Visconti mit Burt Lancaster von 1963 durchzieht.
Auf erzählerischer Ebene, vor allem durch den reichen Schatz an Bildmaterial sowie vieler seiner Gesprächspartner, allen voran die Ausführungen von di Lampedusas Adoptivsohn Giocchino, hat die Dokumentation viel zu bieten, wobei allerdings die inszenierten Interviews etwas deplatziert wirken, nicht im Einklang mit dem Rest des Films.
OT: „Die Geburt des Leoparden“
Land: Deutschland, Italien, Lettland
Jahr: 2019
Regie: Luigi Falorni
Drehbuch: Luigi Falorni, Thomas Keutner, Bernhard Pfletschinger
Musik: Karlis Auzans
Kamera: Roland Wagner
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