Es hat schon seinen ganz eigenen Reiz, in den Bergen unterwegs zu sein. Sicher, es gibt die schöne Aussicht, ein bisschen idyllische Natur sowie die Möglichkeit, sich an der frischen Luft und bei strahlendem Sonnenschein zu bewegen. Es bedeutet aber auch, eine Auszeit zu finden: Inmitten der regungslosen Giganten, die es lange vor uns gab und die es lange nach uns geben wird, finden wir eine ganz eigene Ruhe. Ein Gegengewicht zum stressigen Alltag und den Wirrungen einer aus den Fugen geratenen Welt, in der nichts Bestand hat. Am Anfang sieht es auch bei Die Kordillere der Träume so aus, als würde sich Patricio Guzmán der Faszination der Berge hingeben, vergleichbar zu anderen Dokumentarfilmen wie This Mountain Life – Die Magie der Berge, wenn er sich mit der zentralen Andenkette beschäftigt, die einen Großteil der Landschaft Chiles bestimmt.
Zwischen Geografie und Geschichte
Wer die anderen Werke des Filmemachers gesehen hat, der weiß jedoch, dass der Südamerikaner nicht einfach einen Werbefilm für seine Heimat gedreht hat, um ein bisschen den Tourismus anzukurbeln. Dafür sind seine Gefühle auch einfach zu zwiespältig. Als 1973 das Militär putschte und eine Diktatur errichtete, war der 1941 geborene Guzmán eines der vielen Opfer, wurde verhaftet, gefoltert, floh anschließend ins Ausland. Doch noch immer beschäftigt ihn, was sich in Chile zugetragen hat, aber auch was die Folgen waren, machte sich in zahlreichen Dokumentationen Gedanken dazu. Die Kordillere der Träume folgt hier seinen früheren Titeln Nostagie des Lichts (2010) und Der Perlmuttknopf (2015). Damals nahm er die Atacama-Wüste im Norden bzw. Patagonien im Süden, um etwas über sein Land dessen Geschichte zu sagen. Jetzt eben die Berge.
Die stellen mit ihrer massiven Ungerührtheit einen starken Kontrast zu den Geschichten dar, die von den Menschen ausgehen. Besonders die Unterdrückung durch das Militär steht im Mittelpunkt, die Verfolgung und erlittene Gewalt, von den vielen Menschen, die seinerzeit verschwunden sind, ganz zu schweigen. Zum Teil geschieht das in filmischer Form, dank des Kameramanns Pablo Salas, der in den 1980ern viele Proteste gegen das Regime festhielt. Der Filmemacher erzählt von seinen persönlichen Erfahrungen, teilt aber auch seine Aufnahmen, wie Menschen von den Soldaten zusammengeschlagen und abgeschleppt werden. Erinnerungen an eine Zeit des Aufruhrs, die erst Jahre später zu dem erhofften Ziel führten, die Diktatur zu beenden.
Die unsichtbaren Folgen
Wobei, ganz zu Ende ist so etwas nie. Guzmán redet auch über das Chile von heute, das immer noch von der Zeit damals geprägt ist – vor allem auch von dem System, das die USA mitbestimmten. Die Kordillere der Träume zeigt die bizarren Auswüchse eines kapitalistischen, neoliberalen Systems, das einigen beispielsweise durch die Kupfervorkommen großen Reichtum gebracht hat, während der Rest in Armut lebt. Auf diese Weise verbinden sich die verschiedenen Themen dann auch. Die Kordillere, das große Bergmassiv, lieferte das Material, lieferte das Kupfer oder die Steine, welche genutzt wurden, um die Straßen zu pflastern. Was anfangs noch so unbeteiligt wirkt, ein ferner Hintergrund, ist letztendlich doch mit dem Alltag verbunden, selbst wenn man diesen nicht sieht.
Der Dokumentarfilm, der bei dem Filmfestspielen von Cannes 2019 Premiere hatte, stellt immer wieder solche Verbindungen her, verknüpft das Mystische mit dem Realen, die Vergangenheit mit der Gegenwart. Und er verbindet es mit der Kunst: Guzmán traf sich nicht nur mit Salas, sondern auch anderen Künstlern und Künstlerinnen, sprach mit ihnen über die Berge und Kunst als Vermächtnis. Manchmal ist das Ergebnis etwas eigenartig, die Querverbindungen funktionieren mal direkt, mal eher assoziativ. Doch Die Kordillere der Träume zeigt Wirkung, ist erhellend, dann wieder melancholisch-sehnsuchtsvoll, eine Aufforderung zu erinnern und zu sehen, so lange es noch geht, anstatt gedankenverloren daran vorbeizugehen.
OT: „La cordillera de los sueños“
Land: Chile, Frankreich
Jahr: 2019
Regie: Patricio Guzmán
Drehbuch: Patricio Guzmán
Musik: Miranda y Tobar
Kamera: Samuel Lahu
Preis | Jahr | Kategorie | Ergebnis | |
---|---|---|---|---|
César | 2020 | Bester Dokumentarfilm | Nominierung |
Cannes 2019
Filmfest München 2019
Toronto International Film Festival 2019
Film Festival Cologne 2019
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