Früher, da war Jean-Louis (Jean-Louis Trintignant) ein erfolgreicher Rennfahrer und großer Frauenschwarm. Doch das liegt lange zurück, inzwischen vegetiert er ein wenig im Altersheim vor sich her, hat zunehmend Schwierigkeiten, sich an etwas zu erinnern. Bis auf eine Ausnahme: Anne (Anouk Aimée). Nie könnte er die Frau vergessen, die er mehr als 50 Jahre zuvor kennengelernt hat, weil ihre Tochter Françoise (Souad Amidou) und sein Sohn Antoine (Antoine Sire) auf dasselbe Internat gingen. Um seinem Vater wieder etwas Schwung zu verleihen und neuen Lebensmut zu verschaffen, macht sich Antoine deshalb auf die Suche nach Anne und wird tatsächlich fündig. Aber lässt sich die Zeit einfach so zurückdrehen?
Normalerweise wird der Name Richard Linklater damit verbunden, wenn zwischenmenschliche Beziehungen und Figuren als Langzeitprojekt dargestellt werden – allen voran die Before-Trilogie, die in drei Filmen, die über 18 Jahre veröffentlicht wurden, von einem Paar erzählt. Das ist beeindruckend und doch nichts im Vergleich zu dem, was Claude Lelouch getan hat. Denn der erzählte 2019 in Die schönsten Jahre eines Lebens von Jean-Louis und Anne, die sich in dem 1966 erschienenen Film Ein Mann und eine Frau kennen und lieben gelernt haben. Eine Liebesgeschichte, die sich über 50 Jahre erstreckt? Das ist selbst in einem Filmumfeld, das lieber einmal zu oft als zu wenig eine Fortsetzung herausbringt, ziemlich ungewöhnlich.
Alles noch mal auf Anhang
Dabei wird zuweilen vergessen, dass Lelouch schon einmal eine Fortsetzung gedreht hat. Die kam 1986 heraus und trug den besonders einfallsreichen Titel Ein Mann und eine Frau – 20 Jahre später. Im Gegensatz zum überaus erfolgreichen Original, das sogar zwei Oscars abgestaubt hat, ist der zweite Teil jedoch ziemlich untergegangen. Allein in Frankreich schrumpfte die Besucherzahl auf ein zehntel zusammen, in Deutschland erschien der Film erst viele Jahre später. Das geschah nicht ganz grundlos: Mit dem Vorgänger hatte das Drama kaum mehr etwas gemeinsam. Anstatt erneut eine romantisch-schlichte Liebesgeschichte zu erzählen, entschied sich Lelouch für eine Art Meta-Film, der die Verbindung von Realität und Kunst untersucht.
In Die schönsten Jahre eines Lebens, das 2019 in Cannes Premiere hatte, ist das alles wieder komplett vergessen. Aber auch inhaltlich tut der Regisseur und Drehbuchautor so, als hätte es den zweiten Teil gar nicht gegeben. Immer wieder reden die beiden Figuren über die Ereignisse 50 Jahre zuvor, es werden auch passend dazu Szenen aus Ein Mann und eine Frau eingeblendet. Das Wiedersehen 20 Jahre später, als die zwei sich zusammensetzen, um ihre eigene Geschichte zu verfilmen, das hat nun wohl doch nicht stattgefunden. Lediglich dass Anne eine Enkeltochter hat und als Filmproduzentin gearbeitet hat, wurde beim dritten Film übernommen. Ein bisschen verwirrend ist das schon, wenn nicht gar ärgerlich, zumal es das Problem von Lelouch aufzeigt: Er möchte an einen der größten Erfolge seines Lebens anknüpfen, weiß aber nicht so recht wie.
Ein starkes Paar mit Brüchen
Das bedeutet nicht, dass Die schönsten Jahre eines Lebens ohne eigene Verdienste wäre. Die Thematisierung von Demenz im Umfeld eines Liebesfilms ist nun wirklich nicht alltäglich. Außerdem sind Aimée und Trintignant nach wie vor herausragende Schauspieler*innen. Die gemeinsamen Szenen sind die Höhepunkte des Films, wenn etwa Jean-Louis noch einmal seinen Charme zu spielen versucht, Aimée dem sichtlich gealterten Partner mit einer Mischung aus Zuneigung und Traurigkeit begegnet. Ein schöner Einfall ist dabei noch, die Kinder der beiden Figuren wie damals zu besetzen. Während Antoine Sire in allen drei Filmen den Sohn spielte, setzte Souad Amidou 1986 aus, ist zum dritten und vermutlich letzten Teil aber doch noch mal dabei. Natürlich sind die Kinder von damals nicht mehr wiederzuerkennen. Nett ist es trotzdem.
Mit solchen Referenzen und Reminiszenzen lässt sich aber kein kompletter Film füllen, selbst wenn dieser mit 90 Minuten nicht sehr lang ist. Denn dafür tritt das hier zu sehr auf der Stelle: Das Prinzip der Parallelmontagen hat Claude Lelouch schon in den ersten beiden Teilen zu Genüge genutzt, zunächst zur Aufzeigung der Gefühlswelt, danach um mit Fiktionalisierung und subjektiven Wahrnehmungen zu spielen. So eigenartig und ziellos Ein Mann und eine Frau – 20 Jahre später damals auch war, das Prinzip des Erfolgsfilms wurde immerhin auf eine einfallsreiche Weise abgewandelt. Hier gibt es jedoch nur mehr vom Alten: Die schönsten Jahre eines Lebens erzählt nicht nur von zwei Figuren, die ihrer Jugend nachhängen, sondern ist selbst Ausdruck von Nostalgie und Selbsthommage. Verständlich ist das, von vereinzelten Momenten aber einmal abgesehen nicht wirklich interessant, da einfach nur alte Tricks wieder ausgegraben werden und die Beschäftigung mit der Erinnerung zu sehr an der Oberfläche bleibt und über Zitate nicht hinauskommt.
OT: „Les Plus Belles Années d’une vie“
IT: „The Best Years of a Life“
Land: Frankreich
Jahr: 2019
Regie: Claude Lelouch
Drehbuch: Claude Lelouch
Musik: Calogero, Francis Lai
Kamera: Robert Alazraki
Besetzung: Anouk Aimée, Jean-Louis Trintignant, Souad Amidou, Antoine Sire
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