In seinem ersten Spielfilm The Vigil – Die Totenwache (Kinostart: 23. Juli 2020), der unter anderem auf dem diesjährigen Fantasy Filmfest Nights lief, erzählt Regisseur und Drehbuchautor Keith Thomas von einem jungen Mann, der die traditionelle Totenwache für ein verstorbenes Mitglied der Gemeinde halten soll. Was ein einfacher Job und eine ruhige Nacht zu werden verspricht, stellt sich aber bald als Albtraum heraus, als in dem Haus unheimliche Dinge vor sich gehen. Wir sprachen mit dem Filmemacher über die Dreharbeiten, die Themen sowie über neue Projekte wie die Neuverfilmung des Stephen King Romans Feuerkind.
Du hast einen sehr interessanten Lebenslauf, hast sowohl als Schriftsteller als auch in der medizinischen Forschung gearbeitet. Wie bist du zum Film gekommen und inwiefern haben diese Erfahrungen The Vigil beeinflusst?
Als ich in die High School ging, wollte ich Regisseur werden, da ich mich sehr für Filme interessierte, aber ich wusste nicht, wie ich dieses Ziel erreichen konnte. Meine Familie hatte keinerlei Verbindungen mit dieser Welt. Auf dem College studierte ich Film, aber auf einer sehr akademischen Ebene.
Für zehn Jahre war ich auf dem Feld der medizinischen Forschung tätig, habe mit Patienten gearbeitet und Studien zu Drogen erstellt. Während dieser Zeit habe ich meine kreative Seite durch meine Tätigkeit als Autor ausgelebt und so habe ich zunächst Kurzgeschichten oder Romane geschrieben, bis ich schließlich meine ersten Drehbücher verfasste. Das war vor ungefähr zehn Jahren.
Während ich also in der Forschung tätig war, brachte ich mir selbst das Drehbuchschreiben bei, schreib sehr viele und verkaufte durch meinen Agenten in Los Angeles auch einige meiner Skripts. Schließlich kündigte ich meinen Job in der Forschung, um mich ganz auf meine Tätigkeit als Drehbuchautor zu konzentrieren, bis ich dann 2017 zu einem Punkt kam, an dem ich mir dachte, ich hätte nun genug gelernt, um meinen ersten Kurzfilm zu drehen. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich viel über die Theorie des Filmemachens, aber nicht sehr viel über die technischen Abläufe eines Filmdrehs. Dennoch konnte ich meine Frau überzeugen, einen Teil unserer Ersparnisse in dieses Projekt zu investieren, meinen ersten Horror-Kurzfilm, der ungefähr neun Minuten lang wurde und so etwas wie das Fundament für The Vigil legte.
Bevor ich die Idee zu The Vigil hatte, hatte ich ein Drehbuch geschrieben, welches sich mit Themen wie Hexerei befasste. Wie üblich im Filmgeschäft, dauert es sehr lange, bis so ein Projekt endlich grünes Licht erhält und während dieser Wartezeit hatte ich die Idee zu The Vigil. Hierbei folgte ich der Faustregel, als Autor von Dingen zu erzählen, die man kennt und in meinem Falle waren dies die jüdische Kultur, insbesondere die von New York City, wo meine Eltern ursprünglich herkommen. Meines Wissens hatte es noch nie einen Horrorfilm gegeben, welcher sich mit dieser Welt befasst und so entstand die Grundstruktur zu The Vigil, als ich mir Gedanken darüber machte, welche Themen ich ansprechen wollte und was mir persönlich an einer solchen Geschichte am Herzen liegt.
Als ich dann das Skript fertig hatte, war es ein Glücksfall, dass dieses Projekt ziemlich schnell Produzenten fand und der Film innerhalb eines Zeitraums von acht Monaten entstand.
The Vigil erzählt eine Geschichte, die sich sehr mit Konzepten, Traditionen und Mythen des Judentums, vor allem des Chassidismus auseinandersetzt. Kannst du uns was zu diesen Themen sagen und welche Rolle sie für den Film spielen?
Ich komme aus einer jüdischen Familie, die sehr liberal eingestellt ist und nicht streng orthodox wie die Gemeinde, die man in The Vigil sieht. Während meiner Kindheit und Jugend spielte Religion eigentlich keine große Rolle, wir gingen noch nicht einmal in die Synagoge.
Erst als ich erwachsen wurde, fing ich an, mich mehr mit dem Judentum zu befassen, weil mich gerade die jüdischen Mythen so faszinierten. Im Christentum gibt es sehr viele Geschichten und Mythen über Dämonen, über die Hölle und den Teufel und ich suchte nach etwas Vergleichbarem im Judentum, doch viel gibt es leider nicht, es sei denn, man sucht wirklich sehr umfassend. Gerade in den sehr orthodoxen, streng religiösen Zweigen des Judentums gibt es sehr viel zu diesen Themen zu finden.
Als ich dabei war, die Idee zu The Vigil auszuarbeiten, wurde mir bewusst, dass ich etwas Authentisches erzählen wollte, etwas, was noch nie in einem Film behandelt worden war und kam so auf die Figur des Mazzik. Hierbei erhielt ich die Hilfe eines Rabbis aus der Gemeinde, der ich angehöre und mir so etwas wie eine grobe Einführung über die Funktion und das Auftreten von Dämonen im Judentum gab. Da es im Judentum keinen Teufel und keine Hölle gibt, haben böse Geister einen ganz anderen Ursprung als im christlichen Glauben. Was er mir erzählte, war unglaublich faszinierend und im fertigen Film gibt es eine Sequenz, die einen Teil dessen beinhaltet, was mir der Rabbi erzählte.
Ein besonders interessanter Aspekt, was Dämonen im Judentum angeht, ist, dass sie keinerlei physische Form besitzen und unsichtbar sind. Für The Vigil musste ich dem Mazzik daher eine solche Form geben, welche ihrerseits die Themen der Geschichte, also Angst, Trauma und Schuld, widerspiegelt.
Abgesehen von diesen Themen finde ich, dass dein Film in gewisser Weise auch andere, leider sehr aktuelle Bezüge aufweist, denn er bezieht sich auf das Wiedererwachen antisemitischer Ideen in der heutigen Welt. Inwiefern befasst sich The Vigil mit diesen Entwicklungen?
Als ich die Geschichte zu The Vigil weiterentwickelte, machte ich mir Gedanken darüber, was für die Figur, die Dave Davis im Film spielt, jenes Trauma sein könnte, weshalb ihn der Dämon heimsucht und ihn in diesem Haus festhält. Dabei erinnerte ich mich an ein Ereignis, was ich in den 90er Jahren, als ich mit meiner Familie in New York City lebte, beobachtet hatte. Ich sah, wie eine Gruppe Betrunkener einen kleinen, ultraorthodoxen Jungen belästigte. Sie schnitten ihm zwar nicht, wie die Gruppe im Film, die Schläfenlocken, seine Pejes, ab, doch mich schockierte dieses Ereignis, weil niemand, ich eingeschlossen, einschritt während dies alles passierte.
Auch wenn dieses Ereignis jetzt 20 Jahre zurückliegt, beschäftigt es mich noch sehr und ist leider ein Spiegel einer Entwicklung, die man hier in den USA, aber auch in Europa beobachten kann. Es geht um Vorbehalte und einen Hass, der sehr alt ist und immer in solche turbulenten Zeiten wie den heutigen zutage tritt.
Es ging mir nicht darum, ein Statement mit dieser Szene in der Geschichte abzugeben, sondern deutlich hervorzuheben, was den Hauptcharakter beschäftigt und warum er eine solche Angst und Schuld mit sich schleppt. Für ihn ist dies ein Trauma, welches ihn sein ganzes Leben beschäftigt, ähnlich dem Trauma des Holocaust, das die ganze Gemeinschaft der Juden beschäftigt.
Die Art und Weise, wie sich dein Film mit Themen wie Trauma und Angst befasst, erinnert mich persönlich an Jennifer Kents Der Babadook, wo es auch um ein Monster geht, welches wiederum eben jenes Trauma repräsentiert.
Das stimmt. Mich beeindrucken und beschäftigen Geschichten, in denen das Monster weniger etwas ist, was von außen her kommt, sondern aus dem Innern einer Person, etwas, dass sich manifestiert hat mit der Zeit.
Während ich an der Geschichte zu The Vigil feilte, kam ich an einen Punkt, an dem ich mit entscheiden konnte, ob dies eher ein psychologischer Horrorfilm sein soll, wo sich alles im Kopf des Protagonisten abspielt. Das wolle ich aber nicht, stattdessen soll man merken als Zuschauer, dass dies alles echt ist. Dennoch ist der Dämon und wie er sich manifestiert eine direkte Spiegelung dessen, was die Hauptfigur fühlt und durchmacht, was jeder im Zuschauerraum potenziell verstehen kann, denn jeder von uns versteht, was ein Trauma ist und was es heißt, eines durchzumachen.
The Vigil ist ein Film, dessen Spannung sich nicht zuletzt durch den sehr begrenzten Raum definiert, in dem die Geschichte erzählt wird. Kannst du was zu deiner Zusammenarbeit mit Kameramann Zach Kuperstein und dem Rest der Crew erzählen und wie ihr den Ton sowie die Atmosphäre des Films erzielt habt?
Von Beginn an war mir klar, dass ein großer Teil der Geschichte sich innerhalb dieses Hauses abspielen würde. Von daher wollte ich zunächst einmal zwei Dinge und das erste war, dass ich ein echtes Haus haben wollte, kein Studioset. Auf der einen Seite grenzt dieses Vorhaben einen sehr ein, weil man beispielsweise die Wände nicht bewegen kann wie in einem Studioset, doch andererseits bekommt man mit einem solchen Haus wie in The Vigil viel von der Atmosphäre, die den Film ausmacht, praktisch direkt mitgeliefert. Das Haus im Film hatte einer alten Frau gehört, die ein paar Monate, bevor mein Team und ich dorthin kamen, gestorben war, und von der Inneneinrichtung ließen wir vieles so, wie wir es vorfanden.
Die andere Sache, die mir wichtig war, hatte damit zu tun, dass, wenn wir uns als Zuschauer über 80 Minuten in diesem Haus aufhalten, es sich besonders anfühlen und abwechslungsreich sein musste. Jede Etage des Hauses ist anders, sieht anders aus und wird anders gezeigt, weshalb ich zusammen mit Zach eine Liste mit Einstellungen erstellte und wir festlegten, wie genau wir einen Raum darstellen wollten, wo die Kamera stehen sollte und wie dieser ausgeleuchtet werden würde.
Darüber hinaus war mir klar, dass ich, auch wenn diese Technik das Filmemachen einfacher macht, auf Handkamera verzichten wollte und stattdessen auf Steadycams sowie Dollyshots setzen würde. Die größte Herausforderung war dann natürlich die Kamera so zu bewegen, dass man die ganzen Leute, die dahinter standen, nicht sehen würde. (lacht)
Zach und ich verfolgten die Prämisse, die Atmosphäre so dicht wie möglich zu machen, wobei uns das Gefühl des langsamen Grauens, was der Zuschauer mitnehmen sollte und erleben sollte, besonders wichtig war. Dieses Gefühl sollte, je länger man sich in diesem Haus aufhält, zunehmen, wobei wir auf eine Vielzahl von Tricks zurückgriffen, beispielsweise filmten wir mit Kameraobjektiven, die kleinere Macken haben, sodass Teile des Bildes verschwommen oder verzerrt waren. Zach und ich gingen sogar so weit, dass wir nicht nur ein Storyboard erstellten, sondern, wenn man es so nennen kann, ein Photoboard, also er mich, in der Position der Schauspieler in dem jeweiligen Raum fotografierte und dabei das entsprechende Objektiv benutzte.
Diese intensive Planung ermöglichte es uns beim Dreh konzentriert zu arbeiten und ich konnte mich intensiv den Schauspielern widmen.
Kannst du uns auch etwas zu deiner Zusammenarbeit mit Hauptdarsteller Dave Davis sagen?
Den richtigen Schauspieler für diese Rolle zu finden war eine weitere, große Herausforderung. Zunächst wollten wir jemanden aus der Gemeinde in New York City haben, der dort aufgewachsen war und Jiddisch sprach so wie die Leute, die man am Anfang des Films in der Selbsthilfegruppe sieht. Das sind alles Menschen, die aus dieser jüdischen, sehr orthodoxen Gemeinde kommen.
Noch während wir uns auf jemanden aus diesem Umfeld konzentrierten, sah ich Bomb City, einen Film, der in Texas spielt und die Geschichte um den Tod eines Punkrockers erzählt. Dave spielte die Hauptrolle in dem Film und trug einen gigantischen, grünen Irokesenschnitt. Wegen seiner emotionalen Darstellung wusste ich sofort, er wäre der richtige für The Vigil. Wie sich herausstellte, ist Dave aus New York, sodass ich ihm das Drehbuch zuschickte. Er mochte es sehr und schließlich besetzten wird ihn für die Hauptrolle.
Ganz zu Anfang sagte ich meinen Produzenten, dass es in The Vigil vor allem drei Handlungsorte gibt: Brooklyn, das Haus und das Gesicht der Hauptfigur. Unser Darsteller muss dazu in der Lage sein, den Film zu tragen und sie Emotionen, welche diese Figur durchlebt, zu zeigen, auch ohne jeglichen Dialog. Ich wusste, Dave würde dazu in der Lage sein.
Erst ein paar Tage vor Drehbeginn fand Dave dann heraus, dass er im Film auch Jiddisch sprechen musste und er nahm sich, wie generell während der Vorbereitung vor dem Dreh, sehr viel Zeit diesen Akzent und diesen Soziolekt zu lernen. Wenn man einen Beweis dafür haben will, wie er sich in seine Rolle hineinsteigerte, muss man nur die Sequenz betrachten, in der er versucht, das Haus zu verlassen. Es war sehr kalt an dem Abend, doch Dave schmiss sich regelrecht auf den Asphalt und durchleidet Schmerzen, was man an seinem Gesichtsausdruck sehen kann. Für ihn war diese Rolle eine körperlich wie emotionale auslaugende Erfahrung, was er wahrscheinlich in jedem Interview sagen wird. Es ist unglaublich, was er für diese Rolle alles getan hat.
Kannst du uns was zu neuen Projekten sagen, an denen du zur Zeit arbeitest? Ich habe zum Beispiel gehört, dass du beteiligt bist an einer Verfilmung des Stephen King-Romans Feuerkind.
Das ist richtig. Seit langem plane ich, zusammen mit Blumhouse und Universal eine Neuverfilmung des Romans, der schon einmal mit der noch jungen Drew Barrymore in der Hauptrolle verfilmt wurde. Wenn es die Coronakrise irgendwann wieder zulässt, werden wir an diesem Projekt weiterarbeiten.
Darüber hinaus habe ich noch ein paar andere Geschichten, wie die, welche sich mit Hexerei befasst und ich eben schon einmal erwähnte. Es gibt noch ein Drehbuch, das ich erst kürzlich fertig geschrieben habe. Die Geschichte spielt sich, wie The Vigil, in einem Haus ab und von einem Monster handelt.
The Vigil hat sehr viel gutes Feedback bekommen seitens der Presse und der Zuschauer meine Hoffnung ist, dass ich so bald es geht wieder hinter einer Kamera stehen und filmen werde.
Dürfen wir bei der Neuverfilmung von Feuerkind auf einen Gastauftritt von Drew Barrymore hoffen?
Die Diskussionen über einen solchen Auftritt gab es und gibt es natürlich. Es wäre toll, wenn sie es machen würde. Das Drehbuch zu Feuerkind habe ich nicht geschrieben, sondern Scott Teems, der unter anderem am Skript zu David Gordon Greens Halloween Kills mitschrieb und an Serien wie Narcos arbeitete. Ich glaube, wenn man Fan des Romans von King ist, wird man diese Neuverfilmung sehr zu schätzen wissen.
Vielen Dank für das tolle Gespräch.
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