Über mangelnden Zulauf kann sich Sibyl (Virginie Efira) eigentlich nicht beklagen, als Psychotherapeutin ist sie durchaus gefragt. Nur: Eigentlich wäre sie ja lieber Autorin geworden, hat ihre Ambitionen auch nie so ganz aufgegeben. Und vielleicht ist jetzt die richtige Zeit dafür gekommen, schließlich ist die Schauspielerin Margot (Adèle Exarchopoulos) ihre neueste Patientin – und eine wunderbare Inspiration für ihren geplanten Roman. Also lässt sie sich auf deren diversen Marotten ein, überschreitet bewusst Grenzen, um das Erlebte in ihre eigene Geschichte einfließen zu lassen. Allerdings bedeutet das auch für Sibyl, irgendwann an ihre Grenze zu stoßen …
Es ist eine dieser Fragen, die quasi untrennbar mit dem Erschaffen von Kunst verbunden sind: Woher bekommen die Künstler und Künstlerinnen eigentlich ihre Inspirationen? Während die einen darauf bestehen, einer kreativen Eingebung zu folgen, gehen andere ganz offen damit um, in irgendeiner Form das eigene Leben oder das des Umfelds zu verarbeiten. Oder sie tun es eben heimlich, wie es die Titelfigur in Sibyl – Therapie zwecklos vollzieht. Eine Frau, deren eigentliche Aufgabe es wäre, ihrer Patientin zu helfen, diese aber zunehmend für ihre eigenen Zwecke missbraucht. Wäre doch schade, dieses tolle Material nicht irgendwie zu nutzen!
Eine Kunst zum Lachen
Eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Wesen der Kunst ist Sibyl – Therapie zwecklos natürlich nicht. Es ist ja nicht einmal eindeutig, ob Sibyl überhaupt in der Lage wäre, Kunst zu produzieren oder ob sich ihr schriftstellerisches Talent darauf beschränkt, sich Dialoge merken und aufschreiben zu können. Das erinnert ein wenig an den spanischen Kollegen El Autor, wo ebenfalls ein Möchtegernautor im Leben anderer wilderte, um etwas auf Papier zu bringen. Wo dort jedoch die Situation in eine Thrillerrichtung eskalierte, bleiben die Stalkingtendenzen von Sibyl vergleichsweise harmlos. Der Film macht sich über sie und die anderen Figuren lustig, ohne dass einem dabei das Lachen im Halse steckenbleiben möchte.
Wobei Regisseurin und Co-Autorin Justine Triet (Victoria – Männer & andere Missgeschicke) durchaus auch ein Auge für die tragischen Dimensionen ihrer Figuren hat. So ist Margot beispielsweise zwar am Rande einer Witzfigur, wenn sie irgendwie mit allem überfordert ist, der Film lässt aber durchschimmern, dass das wirklich ernst werden kann. Und auch Sibyl selbst hat mit inneren Dämonen zu kämpfen, die sie früher mit Alkohol ertränkt hatte oder das zumindest versuchte. Ihr Wunsch, von anderen anerkannt zu werden, das ist nicht bloße Eitelkeit oder entsteht aus einem großem Sendungsbewusstsein. Sie hat nur das Gefühl, dass ihre bisherige Existenz nicht das mit sich brachte, was sie brauchte, sieht keinen rechten Sinn in dem, was sie tut.
Der Traum von der eigenen Bedeutung
Zumindest streckenweise ist die Tragikomödie, die im Wettbewerb von Cannes 2019 Premiere hatte, dann auch das Porträt einer Frau, die einen Platz für sich in der Welt sucht. Die Art und Weise mag dabei ein wenig fragwürdig sein, Justine schwankt ein bisschen zwischen Protagonistin und Antagonistin durch ihre Übergriffe. Triet und Efira, die schon bei Victoria erfolgreich zusammengearbeitet hatten, schaffen es aber, genügend Mitgefühl zu erzeugen. Die angesprochene Sehnsucht, etwas aus sich zu machen, jemand zu sein, der vielleicht etwas Bedeutendes leistet, die ist so universell, dass man sich als Zuschauer gut damit identifizieren kann.
Etwas unerwartet lässt Sibyl – Therapie zwecklos dieses Porträt im weiteren Verlauf wieder etwas aus den Augen, wenn dann doch der komische Aspekt betont wird. Das funktioniert prinzipiell gut, vor allem wegen eines erinnerungswürdigen Auftritts von Sandra Hüller (Toni Erdmann) als nervlich angekratzte Regisseurin. Aber es wird so lustvoll übertrieben, dass man hieraus nicht mehr wirklich etwas ableiten kann – allenfalls als Satire auf das Filmgeschäft an sich. Unterhaltsam ist die Mischung aus Drama und Farce jedoch, ein amüsanter kleiner Film über große Träume und lauter Leute, die irgendwie alle eine Therapie bräuchten, wenn auch nicht unbedingt bei Sibyl.
OT: „Sibyl“
Land: Belgien, Frankreich
Jahr: 2019
Regie: Justine Triet
Drehbuch: Justine Triet, Arthur Harari
Kamera: Simon Beaufils
Besetzung: Virginie Efira, Adèle Exarchopoulos, Gaspard Ulliel, Sandra Hüller, Laure Calamy, Niels Schneider, Paul Hamy
Cannes 2019
Toronto International Film Festival 2019
International Film Festival Rotterdam 2020
Max Ophüls Preis 2023
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