Kaum sind die deutschen Kinos wieder eröffnet, sind auch sie wieder am Start: Reisedokus. In den letzten Jahren haben sie sich einen festen Platz auf den hiesigen Leinwänden erkämpft, erfahren, erlaufen. Es vergeht kaum mal ein Monat, in dem nicht jemand seine gesammelten Reiserfahrungen in Form eines Films festhält und mit dem Rest der Welt teilt. Quasi die Maxi-Ausgabe der früheren Diaabende, mit denen man Freunde so schön quälen konnte. Doch solche Reisefilme können mehr sein als Ausdruck von gelangweiltem Narzissmus, wie er in Zeiten allgegenwärtiger Selfies nicht gerade unüblich ist. Im Idealfall bringt einem ein solches Werk die Welt tatsächlich näher, indem sie nicht nur schöne Bilder bietet, sondern auch eine Auseinandersetzung, eine Begegnung mit dem Fremden, als ein Impuls dafür, offen zu sein für das, was da kommt.
Zuletzt durften wir auf diese Weise verschiedene Formen von Erleuchtung kennenlernen (Weltreise mit Buddha), begegneten auf den Straßen Amerikas kuriosen bis befremdlichen Gestalten (Ausgrissen!). Gerade Letzterer Film bietet sich bei 972 Breakdowns – Auf dem Landweg nach New York als Vergleich an, haben beide doch die USA als Ziel, während junge Menschen auf motorisierten Zweisitzern durch Europa fahren. Das provoziert natürlich die Frage, ob zwei thematisch so ähnliche Filme innerhalb kürzester Zeit wirklich sinnvoll sind. Doch zum Glück gibt es eine Reihe von Unterschieden, welche die zwei Dokus dann doch nicht redundant machen.
Eine Panne nach der anderen
Der erste betrifft die Reiseroute. Wo die bayerischen Burschen den Weg Richtung Westen einschlugen, da sind bei 972 Breakdowns fünf Menschen mit Motorrädern in Richtung Osten aufgebrochen. Genauer führte die Route von Deutschland aus nach Georgien, weiter über Kasachstan, die Mongolei bis in den fernsten Flecken von Russland, von wo aus es über die Beringstraße nach Alaska gehen sollte. Das zumindest war der Plan. Doch wo ein Plan, da auch eine Unwegsamkeit, wo eine Maschine, da eine Möglichkeit, dass diese kaputt geht. Und das tun sie oft in dem Film: Die Doku trägt ihren Titel nicht ohne Grund.
Tatsächlich hätte man den Film auch problemlos in Anlehnung an die frühere TV-Show Pleiten, Pech und Pannen nennen können. Immer wieder kommt es zu unvorhergesehenen Zwischenfällen, streikt eine der Maschine, gibt es Schwierigkeiten beim Vorankommen, auch eine körperliche Verletzung ist da mal drin. Wo andere Reisedokus diese unangenehmen bis peinlichen Störungen gerne mal unter den Tisch fallen lassen, um sich lieber den aufbauenden Themen zu widmen, da tragen die fünf Teilnehmer und Teilnehmerinnern ihre Unglücke selbstbewusst vor, mit einem deutlichen Hauch Selbstironie und Galgenhumor auch. Manchmal meint man gar, es gäbe den Film nur um zu zeigen, dass eine solche Reise so richtig daneben gehen kann.
Zwischen Zweifel und Spannung
Wobei 972 Breakdown am Ende natürlich schon mehr ist als eine an Schadenfreude appellierende Reality TV Show. Auch wenn die Reise sicherlich nicht das war, was sich die fünf immer so im Vorfeld ausgemalt hatten, der Weg führt durch viele spannende Gegenden, an hilfsbereiten Menschen vorbei, die offensichtlich an dem Sinn der ganzen Expedition zweifeln. Gerade die weiten Strecken durch das menschenleere Asien, auf denen die stimmungsvollen, wenngleich anfälligen Motorräder unterwegs sind, bieten jede Menge fürs Auge, zeigen entlegene Orte und unberührte Natur. Sie bieten aber auch einige eher kuriose Zwischenfälle und eine nervenaufreibende Fahrt gegen die Zeit, wenn der Ausgang noch rechtzeitig vor dem Ablauf des Visums erreicht werden muss. Denn wer will schon illegal in einem Land wie Russland unterwegs sein?
Sympathisch ist zudem, dass die fünf zwar ihre Erfahrungen mitteilen, dabei jedoch keine Selbstdarsteller sind. Da gibt es keine geschönt-ergreifenden Momente und mühsam ausformulierte Kalendersprüche, welche eine neue Ergriffenheit beweisen sollen. 972 Breakdowns ist ebenso rau wie die Gegend, eine Mischung aus Distanz und Intimität, während wir mit den fünf immer weiter ins Nirgendwo vordringen, ohne zu wissen, welcher Weg da wieder herausführt. Wer mit Reisedokus nichts anfangen kann, der braucht es hiermit auch nicht unbedingt zu versuchen. Innerhalb dieses beliebten Segments muss sich diese hier aber keinesfalls verstecken. Zwar kann sie nicht mit den idyllischen Postkartenmotiven prahlen, die andere gern verkaufen und verzichtet darauf, die Reise zu einer lebensverändernden Erfahrung hochstilisieren zu wollen. Zu zeigen hat sie aber mehr als genug.
OT: „972 Breakdowns“
Land: Deutschland
Jahr: 2020
Regie: Daniel von Rüdiger
Musik: 0101
Wer mehr über die Reise, das begleitende Buch oder auch die Kinotour erfahren möchte, der wird auf der Homepage www.leavinghomefunktion.com fündig.
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