Der flüssige Spiegel Vif-argent Burning Ghost
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Der flüssige Spiegel

Kritik

Der flüssige Spiegel Vif-argent Burning Ghost
„Der flüssige Spiegel“ // Deutschland-Start: 3. September 2020 (Kino) // 27. November 2020 (DVD)

Einsam streift Juste (Thimotée Robart) durch die nächtlichen Straßen von Paris, blickt aufs Wasser, sucht nach einem Ziel. Eine Aufgabe hat er hingegen: Er hilft den Menschen ins Jenseits zu gelangen und sammelt dafür deren letzten Erinnerungen ein. Doch dann begegnet er eines Tages Agathe (Judith Chemla) und alles scheint ganz anders zu sein. Denn die behauptet, sich an ihn erinnern zu können. Aber weshalb? Wer ist sie? Und was genau verbindet sie mit ihm? Während Juste noch über diese Fragen nachgrübelt, kommen sich die beiden nach und nach näher, entdecken eine neue Zweisamkeit, die aber auch Gefahren mit sich bringt …

Dass Schauspieler, Drehbuchautoren oder Produzenten irgendwann auch einmal Regie führen wollen, das kommt immer mal wieder vor, Beispiele dafür gibt es mehr als genug. Dass jedoch ein Casting Director irgendwann das Fach wechselt, Schauspieler nicht nur findet, sondern diese auch anleitet, das ist das schon eine ziemliche Ausnahme. Stéphane Batut ist eine solche Ausnahme. An mehr als 60 Filmen hat der Franzose bereits gearbeitet, darunter so unterschiedliche Werke wie Der Fremde am See, Mein Ein, mein Alles oder Meine schöne innere Sonne – Isabelle und ihre Liebhaber. Doch das war ihm nicht genug, weshalb er nach mehreren Kurzfilm mit Der flüssige Spiegel sein Langfilmdebüt als Regisseur gibt.

Gemeinsam und grundverschieden
Anders als man vielleicht erwarten könnte, ist der Film nicht vollgestopft mit den Stars, die er im Laufe seiner Karriere in den Werken anderer eingebracht hat. Während Judith Chemla zumindest in mehreren Filmen zu sehen war, darunter in der Roman-Adaption Ein Leben, für welche sie eine César-Nominierung erhielt, war Thimotée Robar ein bis dato unbeschriebenes Blatt. Glücklicherweise verließ Batut bei seinem Regie-Debüt jedoch nicht sein Gespür für die passende Besetzung. Robar ist wunderbar in der Rolle des melancholischen jungen Mannes, der immer wieder aufs Wasser sieht, erfüllt von Sehnsucht. Ihm gegenüber steht mit Chemla eine Frau, welche mit ihrer Lebhaftigkeit einen willkommenen Kontrast zum wortkargen Einzelgänger bildet.

Die Geschichte erinnert teilweise an Filme, in denen Männer aus dem Jenseits und diesseitige Frauen tiefe Gefühle verbindet – etwa Ghost oder Rendezvous mit Joe Black. Der flüssige Spiegel verzichtet dabei jedoch auf den teils offensiven Kitsch, den die thematisch ähnlich gelagerte Konkurrenz aus den USA teilweise an den Tag legt. Stattdessen ist das Drama, welches 2019 in der Cannes-Indie-Sektion ACID lief, über weite Strecken sehr zurückhaltend. Es gibt kaum größere Ausbrüche, von schwülstigen Liebesschwüren ganz zu schweigen. So ganz sicher scheinen sich die beiden ihrer Gefühle ohnehin nicht zu sein. Dafür ist die Geschichte noch zu jung. Oder ist sie zu alt?

Fragen über Fragen
Es gibt viele Fragen, die Der flüssige Spiegel im Laufe der Zeit aufwirft. Fragen, die allerdings oft ebenso nebulös und wenig greifbar sind wie die Antworten, die der Film gibt oder auch nicht gibt. So gönnt uns Batut zwar eine Art Einführung, bevor Juste auf die Menschen losgelassen wird. Vieles bleibt dennoch nicht ganz ersichtlich, wird angedeutet, aber nicht ausformuliert. Es bleibt dem Publikum überlassen, sich selbst einen Weg durch dieses Labyrinth aus Gedanken und Gefühlen zu bahnen, aus Erlebnissen und Erinnerungen, die alle miteinander verbunden sind und doch nicht wirklich eine Richtung vorgeben.

Das wird sicher nicht jedem gefallen. Einigen dürfte das hier schlicht nicht konkret genug sein. Aber es liegt doch ein ganz eigener Zauber auf dieser Begegnung. Ein Traum, der mit dem Bewusstsein verschmilzt, jeder Teil der Geschichte des anderen wird. Verbunden mit schönen Bildern und einer atmosphärischen, vereinzelt etwas zu selbstbewussten Musik, wird daraus ein Werk voller Melancholie und Poesie, ein versponnenes, philosophisch angehauchtes Märchen, bei dem Anfang und Ende eins geworden sind. Das macht Der flüssige Spiegel zu einem Film, bei dem man sich treiben lassen sollte. Der einen mitnimmt auf eine Reise ins Unbekannte, auf der wir vielleicht andere treffen, vielleicht uns selbst, an deren Ende alles irgendwie anders ist, auch wenn wir nicht genau wissen, was unterwegs mit uns geschehen ist.

Credits

OT: „Vif-argent“
IT: „Burning Ghost“
Land: Frankreich
Jahr: 2019
Regie: Stéphane Batut
Drehbuch: Stéphane Batut, Christine Dory, Frédéric Videau
Musik: Gaspar Claus, Benoit de Villeneuve
Kamera: Céline Bozon
Besetzung: Thimotée Robart, Judith Chemla

Bilder

Trailer

Filmpreise

Preis Jahr Kategorie Ergebnis
Prix Lumières 2020 Bester Nachwuchsdarsteller Thimotée Robart Nominierung

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„Der flüssige Spiegel“ handelt von einem jungen Mann, der anderen auf dem Weg ins Jenseits hilft – bis er von einer Frau erkannt wird. Das Liebesdrama ist bewusst rätselhaft gestaltet, verbindet Poesie und Philosophie zu einem melancholischen Märchen, das kaum Antworten gibt und doch sehr viel zu erzählen hat.
7
von 10