Heute sind Games aus unserer Gesellschaft eigentlich nicht mehr wirklich wegzudenken. Es gibt sie in den unterschiedlichsten Formen, sowohl in Hinblick auf Genre wie auch Komplexität, dazu in den verschiedensten Geräten. Hardcore-Gamer packen sich selbst zusammengebaute PCs in die Bude, um das Maximum herauszuholen, viele greifen zu herkömmlichen Konsolen wie der Playstation, um sich ungestört in fremde Welten zu stürzen, dank der tragbaren Nintendo Switch und Smartphones muss man aber auch unterwegs nicht auf Spielspaß verzichten. Gedaddelt werden kann jetzt überall, egal ob ich stundenlang Abenteuer erleben möchte oder es nur darum geht, ein paar Minuten Wartezeit zu überbrücken.
Zurück zu den spielerischen Anfängen
Diese Vielfalt und Größe der milliardenschweren Industrie ist dabei natürlich nicht vom Himmel gefallen. Sie ist auch deutlich jünger als andere Formen der Unterhaltung wie Film oder Musik. Aber wie hat das eigentlich alles begonnen? Eine Antwort darauf gibt die neue Netflix-Dokumentation High Score, welche sich – nicht ohne Wehmut – an die Anfänge zurückerinnert, an vergangene Helden sowie den einen oder anderen Stolperstein, den es unterwegs aus dem Weg zu räumen gab. Genauer beleuchtet die Serie in sechs zwar chronologisch abgearbeiteten, aber in sich eigenständigen Episoden verschiedene Themen von der Gründerzeit bis in die 1990er.
Das bedeutet einerseits die üblichen Verdächtigen. In den Spielhallen verschluckten Games wie Space Invaders oder Pac-Man Unmengen an Münzen, Atari machte die Möglichkeit auswechselbarer Spiele daheim salonfähig, Nintendo rettete eine gesamte Branche und schenkte uns Ikonen wie Mario, der wie kaum ein anderer für Videospiele steht – selbst bald 40 Jahre später. Dazwischen werden andere Akteure kurz eingeführt, etwa im PC-Bereich. Ein Kapitel ist Sega gewidmet, das in den 80ern eher erfolglos dem Kollegen nacheiferte, bis dank der Genesis-Konsole – alternativ als Mega Drive bekannt – und einer betont coolen Marketing-Kampagne, die auf ältere abzielte, tatsächlich Bewegung in das Monopol kam.
Altbekannte Geschichten
Wer sich mit Videospielen auskennt oder die Zeit damals selbst erlebt hat, für den wird das natürlich nichts Neues sein. High Score nimmt für sich aber auch nicht wirklich in Anspruch, bahnbrechende Erkenntnisse erforscht zu haben. Vielmehr ist die Serie ein kollektives und nostalgisches Erinnern daran, wie Spiele einmal ausgesehen haben. Für ein jüngeres Publikum dürfte das diverse Kuriositäten bedeuten, wenn unförmige Pixelhaufen vor einfarbigen Nicht-Hintergründen herumgeschoben werden. Denn das ist das Einzigartige an dieser Unterhaltungsform, im Vergleich zu den anderen: Während Filme, Musikalben oder Bücher zwar ein Produkt ihrer jeweiligen Zeit waren, aber mit gewissen Einschränkungen heute noch so konsumierbar sind wie vor Jahrzehnten, da ist vieles im Game-Bereich kaum wiederzuerkennen, hat sich vieles zu sehr verändert.
Eine solche Langzeitperspektive fehlt in High Score. Nur selten, etwa bei der Episode über Rollenspiele, wird auch mal der rote Faden etwas länger gespannt, so dass er bis zur Gegenwart reicht. Viele essentielle Punkte neueren Datums kommen hier erst gar nicht vor. Die Geschichte der Videospiele zu erzählen, ohne dabei Sony zu erwähnen, ist befremdlich, auch Microsoft wird nicht erwähnt. Dazu fehlt nahezu der komplette Bereich des tragbaren Videospiels. Der Gameboy wird nur beiläufig mal angesprochen, obwohl er stärker noch als die stationären Konsolen den Markt erweiterte und neue Zielgruppen fand. Von der logischen Evolution zu Smartphones ganz zu schweigen. Aber selbst innerhalb der gezeigten Themen finden sich eklatante Lücken. Bei besagten Rollenspielen Ultima und Final Fantasy zu zeigen, aber nicht Wizardry und Dragon Quest? So viel Nintendo, aber kein Wort zu Legend of Zelda? Selbst bei Sega wird verschwiegen, dass es vor dem Genesis mit dem Master System einen langjährigen Versuch gab, Fuß zu fassen. Und so schön es ist, dass sich hier einer an die alten Text-Adventure erinnert, bei denen man Befehle noch per Tastatur eingeben musste, für die Revolution der Click-Adventures von Lucasarts (Maniac Mansion) hätte da auch noch Platz sein müssen.
Zufällige Begegnung mit alten Freunden
Diesen Anspruch der Vollständigkeit sollte man daher gleich von vornherein aufgeben, High Score ist eine eher willkürliche Stichprobe aus einer deutlich umfangreicheren Geschichte. Aber es ist eine spaßige Stichprobe. Da kommen viele Urgesteine zu Wort von der Abenteuerpionierin Roberta Williams (King’s Quest) über den Dungeon Master Richard Garriott und Pac-Man-Erfinder Toru Iwatani bis zum Zeichner Yoshitaka Amano, von Atari-Mitbegründer Nolan Bushnell bis zu John Romero (Doom) und Dylan Cuthbert und Giles Goddard, die mit Star Fox wichtige 3D-Arbeit ablieferten. Sie alle haben ihre eigenen Geschichten zu erzählen aus einer Zeit, als die Technik noch andere Formen der Kreativität erforderte.
Unerwartet, aber nicht unsympathisch ist zudem, dass eine Reihe von Leuten zu Wort kommen, die nicht selbst Spiele designten, sondern als Spieleberater arbeiteten, an Wettbewerben teilnahmen oder die Branche als solche prägten – darunter der Anwalt John Kirby, der nicht nur der gleichnamigen Figur seinen Namen gab, sondern Nintendo in einem Gerichtsstreit vor dem Untergang rettete. Diese Menschen mögen das Videospiel als solches nicht vorangetrieben waren, sind aber Teil einer Welt, aus der es so viele Geschichten zu erzählen gibt. Da das Ganze auch noch visuell nett aufbereitet ist, mit vielen Pixel-Rekonstruktionen von realen Ereignissen, ist High Score ein zwar oberflächlicher, aber auch kurzweiliger und netter Einstieg in einer freundschaftlichen Atmosphäre.
OT: „High Score“
Land: USA
Jahr: 2020
Regie: William Acks, France Costrel, Sam Lacroix, Melissa Wood
Musik: Power Glove
Kamera: Peter Fackler, Harvey Hogan
https://www.youtube.com/watch?v=B4jopG1wX88
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