In Nina Wu erzählt Midi Z die Geschichte einer Schauspielerin, die im Filmgeschäft ausgebeutet wird und daran zu zerbrechen droht. Anlässlich des Kinostarts am 3. September 2020 unterhielten wir uns mit dem taiwanesischen Regisseur und Co-Autor über die Produktion des Films, seine Zusammenarbeit mit Kameramann Florian Zinke und den besonderen Stil des Films.
In Nina Wu hast du die Mittel des Genrefilms benutzt, um eine wichtige Aussage mit dem Film auszudrücken, wodurch sich der Film vor allem stilistisch sehr von deinen vorherigen Arbeiten abhebt. Inwiefern könnte Nina Wu deswegen für einen Wechsel in deinem kreativen Schaffen stehen?
Die Form einer Geschichte ist für mich so etwas wie ein Werkzeug, das ich immer auswechsle. Wenn ich eine neue Geschichte erzählen will, muss ich ein neues Werkzeug, also eine neue Form wählen, die dafür passt.
Die Ohrfeigen-Szene ist eine der intensivsten in Nina Wu. War es schwierig für Wu Ke-xi diese zu spielen?
Das war wirklich eine schwierige Szene. Als ich Wu Ke-xis Drehbuch zum ersten Mal las, hatte ich sofort einige Szenen, die ich sehr mochte, wusste aber auch um ein paar Momente, die besonders kritisch sein würden. Darunter war eben die Ohrfeigen-Szene, aber auch eine Szene während des Vorsprechens, als Nina vom Produzenten dazu aufgefordert wird, sich wie ein Hund zu verhalten. Wenn man eine Szene wie diese dreht, verlangt man vom Schauspieler ehrlich zu sein, aber eben auch zu spielen. Ich sage damit meiner Schauspielerin, dass sie wie Nina in diesem Moment empfinden soll, was für einen Schauspieler eine enorme Herausforderung darstellt.
Als es Zeit war, die Szene zu drehen, wollten ich und das Team alles so machen, wie wir es im Storyboard und vorher abgesprochen und geplant hatten. Wir stellten die Kameras also so auf, wie wir sie haben wollten, doch dann dachte ich, diese Herangehensweise würde die Schauspieler in ihrem Spiel eingrenzen und wich von den vorherigen Absprachen ab. Ich überlegte, zusammen mit den Schauspielern in der Szene, inwiefern wir Improvisation nutzen konnten und teilte ihnen mit, sie können sich, wenn wir anfangen zu drehen, verhalten, wie es ihnen in der Rolle richtig erscheint und sich davon leiten lassen. Wir verwendeten schließlich tragbare Kameras bei dieser und anderen Szenen, weil sie ein solches Vorgehen erlaubten. Das Publikum soll, wenn es diese Szene ansieht, wissen und erleben, wie sich Nina in diesem Moment fühlt, aber gerade deswegen wollte ich nicht, dass für Wu Ke-xi sowie die anderen Schauspieler es schwierig ist, solche Szenen zu drehen. Deswegen entschloss ich mich, ihnen diese Freiheit zu geben. Wenn ich mich nicht irre, haben wir an dieser Szene sehr lange gearbeitet. Wir haben drei Tage an ihr gedreht und die bestimmt so an die vierzigmal gespielt.
Glaubst du, das Verhältnis zwischen Regisseur und Schauspieler kann gelegentlich genauso problematisch sein, wie es Nina Wu zeigt?
Vielleicht. In der Filmindustrie gibt es viele Schauspieler und Schauspielerinnen, die sich ihre Projekte aussuchen können, aber gerade in asiatischen Ländern haben Regisseure und Produzenten das Sagen, sodass man als Schauspieler immer von der Entscheidung anderer abhängig ist. Ich denke, Szenen wie die Ohrfeigen-Szene zeigen auf übertriebene und brutale Weise, wie das Leben und das Arbeiten eines Darstellers innerhalb dieses Geschäfts aussehen kann und was sie für ihre Karriere auf sich nehmen müssen.
Abgesehen von Wu Ke-xi, über die du schon viel gesagt hast, kannst du uns noch etwas zum Rest der Besetzung erzählen und wie du sie gefunden hast?
Nachdem ich das Drehbuch überarbeitet hatte, hielten wir in Taipeh mehrere Vorsprechen für die einzelnen Rollen ab. Übrigens war Wu Ke-xi nicht von Anfang an Nina Wu, denn erst, nachdem wir einige andere Darstellerinnen gesehen hatten, kristallisierte sich heraus, dass sie wohl die richtige sein würde für die Rolle. Ich hatte sie nie danach gefragt, aber ich nahm an, dass ihr Drehbuch auf ihren eigenen Erfahrungen als Schauspielerin basiert, weshalb ich überlegte, inwiefern dies sie nicht zu der perfekten Besetzung für die Rolle der Nina machen würde.
Die Rolle der Kiki haben wir mit Vivian Sung besetzt, die während ihrer Karriere in vielen, um ehrlich zu sein, minderwertigen Teenagerdramen mitgespielt hatte. Beim Vorsprechen hatte ich das Gefühl, dass sie sehr authentisch sei und dachte, sie würde gut passen für die Rolle der Kiki. Kimi Hsia, die „Frau Nummer Drei“ spielt, kennt die Filmindustrie in Taiwan sehr gut und ist bereits seit 12 Jahren Schauspielerin.
Durch das Vorsprechen wollten wir unter anderem herausfinden, ob es eine Verbindung zwischen den Erfahrungen, welche die Schauspieler in der Filmindustrie gemacht haben, und denen der Rollen, die sie spielen würden, gibt. So fanden wir heraus, wer für eine Rolle passen würde.
Wie kam es zu deiner Zusammenarbeit mit Florian Zinke, dem Kameramann bei Nina Wu? Wie habt ihr euch auf den visuellen Stil des Films geeinigt?
Über Florian kann ich eine interessante und ganz witzige Geschichte erzählen, die ich bis jetzt noch nicht erzählte. Im Laufe meiner Karriere hat sich meiner Herangehensweise an Projekte verändert, was man alleine schon daran sieht, wie viele Leute am Set sind. Bei Return to Burma war da nur ich, weil ich sowohl Kameramann, Regisseur und Produzent sowie für den Schnitt zuständig war. Bei Poor Folk waren es dann schon drei Leute und bei Ice Poison hatte ich dann schon eine Crew von insgesamt sechs Leuten.
Als ich das Drehbuch zu Nina Wu las, war mir sofort klar, dass diese Geschichte sich stilistisch von meinen vorherigen Arbeiten abheben würde. Alles Aspekte, angefangen bei der Kameraeinstellung bis hin zum Licht, mussten der Geschichte dienen und Mittel sein, mit deren Hilfe wir diese erzählen konnten. Ich brauchte also Kameraleute, die dies bewerkstelligen konnten und machte mich auf die Suche, doch hatte kein Glück und bekam viele Absagen.
Vier Monate vor Drehbeginn arbeitete ich an einem anderen Projekt in China und unterhielt mich mit einem Freund über meine bislang erfolglose Suche nach Kameraleuten für Nina Wu. Er erzählte mir dann von Florian, mit dem er schon einmal zusammengearbeitet hatte, der aus Deutschland kam, aber fließend Englisch und Mandarin spricht. Florian arbeitet schon seit zwanzig Jahren als Kameramann und betreute Projekte in seiner Heimat, aber auch in den USA, was ihn in meinen Augen zu einem geeigneten Kandidaten für Nina Wu machte. Als ich ihn dann fragte, ob er mich Florian vorstellen wollte, sagte er mir aber, dass dies unmöglich sei, weil sich Florian auf dem Weg zum Flughagen befände, um dort einen Flieger nach Florida zu erwischen und dort Urlaub zu machen. Danach war ich natürlich sehr enttäuscht, doch zwei Stunden später, es war mittlerweile zwei Uhr morgens, erhielt ich einen Anruf meines Freundes, der mir sagte, Florian sei eben durch die Tür und säße nun in seinem Studio. Also nahm ich ein Taxi und traf so Florian zum ersten Mal.
Während unseres Gespräches sagte er mir, bei der Ausweiskontrolle hätte er Probleme gehabt, weil sein Pass in einem desaströsen Zustand sei. Weil er für seine Arbeit viel reist, sei der Pass zerfleddert und dreckig, was Grund genug war für den Zollbeamten, Florian darauf anzusprechen und ihm die Einreise in die USA nicht zu genehmigen. Um es noch schlimmer zu machen, kam Florian, der ziemlich aufgebracht war, auf die Idee, mit dem Beamten zu diskutieren, was aber natürlich nicht half.
Wir sprachen dann auch über Nina Wu und ich erzählte ihm von dem Projekt. Er kannte meine bisherigen Arbeiten und meinte, er sei wohl wegen seiner Arbeitsweise nicht die richtige Wahl. Als der dann von dem Projekt gehört hatte, erklärte er mir fast sofort, dies wäre eine Geschichte, die in seinen Augen, einen ganz anderen Stil als meine bisherigen Filme verlange. Ich stimmte ihm zu und erklärte ihm, wie ich zu der Form einer Geschichte stehe, die letztlich helfen soll, diese zu erzählen, was er sehr mochte, sodass wir, ohne über seine Bezahlung gesprochen zu haben, beschlossen, für Nina Wu zusammenzuarbeiten.
Was inspirierte den visuellen Stil von Nina Wu?
Während unserer Vorbereitung schauten wir uns viele Filme an, deren Stil ähnelte, den wir mit Nina Wu erreichen wollte. Darunter waren beispielsweise Werke von Nicholas Winding Refn oder Giorgos Lanthimos. Nina Wu erzählt die Geschichte eines Geheimnisses, welches die Figur vor den anderen, dem Zuschauer, teils auch vor sich selbst verbirgt, weshalb die Kamera immer nah an der Figur dran ist. Es ist eine psychologische Geschichte.
Über zwei Wochen hinweg erstellen Florian und ich einen Plan, wie wir bei den einzelnen Szenen vorgehen würde und ich zeichnete auf dieser Basis eine Art Storyboard. In dieser Zeit erklärte ich Florian, welchen Hintergrund Nina hat, dass sie in einer militärisch geprägten Familie in Taiwan aufgewachsen sei, also nicht unähnlich der, die man in dem Film sieht, den Nina letztlich dreht. Ihre Familie war sehr wohlhabend, musste dann aber, weil ihr Vater psychisch krank wurde, ihren Wohlstand aufgeben und aufs Land ziehen. All dies beeinflusste die Art und Weise, wie wir gewisse Handlungen und Szenen angingen in der Vorbereitung.
Kannst du was zu den Drehorten in Nina Wu sagen und warum es wichtig war für dich, in Taiwan zu drehen?
Wir haben vielen Szenen in oder um historischen Bauwerke in Taiwan gedreht, die in gewisser Weise die Biografie Ninas widerspiegeln. Der Film, der in Nina Wu gedreht wird, ist eine Mischung aus Spionagethriller und Liebesdrama, die während des Kalten Krieges spielt. Da wir nicht das Budget hatten, ein Set zu bauen, das hierfür passt, sind wir auf Gebäude ausgewichen, die aus jener Zeit stammen und eine eigene Bedeutung innerhalb der Handlung des Films haben.
Aber letzten Endes sind diese Aspekte – die Drehorte, der Schnitt und sogar die Geschichte – für mich zweitrangig, denn im Zentrum stehen die Darsteller. Von Anfang an habe ich meiner Crew gesagt, dass dies für mich wichtig sei und wir alles tun müssen, um den Schauspielern ihre Freiheit zu geben, damit sie gut spielen können. Schlechtes Schauspiel ist für mich inakzeptabel.
Glaubst du, dass du weiterhin in Burma arbeiten wirst?
Natürlich, denn, wenn man als Künstler ehrlich zu sich ist, wird man seine Wurzeln nicht ignorieren können und dürfen. Manchmal möchte ich diesen entkommen, weil es nicht immer einfach ist, in Burma zu drehen, doch mir sind diese Orte, diese Menschen und dieses Land immer noch sehr wichtig, auch wenn vielen Burmesen nicht mögen, was ich in meinen Filmen zu sagen habe. Es ist schon seltsam, denn, wenn ich nach Burma gehe, werde ich dort als Fremder angesehen und wegen meiner burmesischen Wurzeln gelte ich in Taiwan gleichermaßen als Außenseiter. Sozusagen bin ich ein Mann ohne einen Platz in der Welt. (lacht)
Vor sechzehn Jahren habe ich Burma verlassen, doch die Geschichten und Erlebnisse, die mit diesem Land verbunden sind, kann ich nicht vergessen. Viele dieser Geschichten sind noch immer nicht erzählt, weshalb ich auf jeden Fall nach Burma zurückkehren werde, um dort Filme zu drehen. Übrigens, ich arbeite gerade an einer Dokumentation, die in Burma gedreht wird.
Kannst du uns noch etwas zu Projekten sagen, an denen du gerade arbeitest?
Ich schrieb zwei Drehbücher während des Lockdowns. Das erste spielt in einer psychiatrischen Klinik in Burma und das andere in China, genauer gesagt in Peking. Mal sehen, welches davon ich als Nächstes machen werde.
Vielen Dank für das nette Gespräch.
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