Fuma (Tatsuji Sugiyama) versteht die Welt nicht mehr. Als wäre es nicht schon verwirrend genug, dass er in einem Wald aufwacht, ohne zu wissen, wie er dorthin gekommen ist, entdeckt er dort bald auch noch seinen Sohn Ren (Riku Enomoto). Ganz allein sind sie aber nicht, wie er schmerzhaft feststellen muss, als eine seltsame Gestalt auftaucht. Gleichzeitig ist unweit davon entfernt eine Gruppe von Menschen (Takako Sakai, Tomoya Mochizuki, Hitomi Kawano, Daiki Tanaka) auf dem Weg zu einer Hochzeitsprobe. Doch deren Pläne werden zunichte gemacht, als ihr Wagen eine Panne hat und sie so gar keine Ahnung haben, wo sie eigentlich gerade sind …
Immer kräftig drauf!
Die kurze Phase rund um die Jahrtausendwende, als Horrorfilme aus Japan die ganze Welt eroberten, waren geprägt von eher ruhigen Werken. Filme wie Ring oder Ju-on: The Grudge setzten mehr auf eine unheilvolle Atmosphäre und grausige Geister, die in den Schatten vor sich hin schlurften, begleitet von Geräuschen oder einem Score, die es einem kalt den Rücken hinunterlaufen ließen. Doch es gibt auch eine ganz andere Richtung im Land der aufgehenden Sonne. Horrorfilme, die ausgesprochen explizit sind, sehr derb, dabei auch kräftig aufs Gaspedal treten. Blutige Massaker, die sich an den eigenen bizarren Szenarien erfreuen.
Zumindest teilweise entspricht Mimicry Freaks absolut dieser Strömung. An Blut und Gewalt mangelt es nicht, an unappetitlichen Begegnungen, die mit Tod oder Sex enden. Manchmal auch beidem, so richtig ist das hier nicht immer zu unterscheiden. Um einen reinen Exploitation Film handelt es sich dabei nicht. Vielmehr hat Regisseur und Drehbuchautor Shûgô Fujii ein Werk geschaffen, das sich erfolgreich aller Kategorisierungen verweigert. Immer wieder schafft es der Japaner, sein Publikum vor den Kopf zu stoßen, es analog zu den diversen Figuren, die sich im Wald verlaufen haben, durch ein Labyrinth von Bildern und dröhnen Geräuschen zu hetzen, zwischen Farbexplosionen und Fragmenten einer Geschichte, die sich nur mühselig zusammensetzen lassen.
Ein unheimlich wilder Mix
Einzelne Elemente daraus herauszupicken und vorzustellen, würde dem Film daher einerseits nicht gerecht werden. Mimicry Freaks ist eines dieser Werke, deren Summe der Einzelteile mehr ist als diese selbst. Zum anderen ist es gerade der Überraschungsfaktor, welcher einen großen Teil des Unterhaltungswerts des Horrorstreifens ausmacht. Während man bei einem Großteil der Genrevertreter doch eine recht gute Ahnung davon hat, was als nächstes passieren wird oder worauf alles hinausläuft, selbst die gefürchteten Jump Scares festen Regeln folgen, da ist das hier von Anfang an sehr wirr gestaltet. Szenen in der Gegenwart vermischen sich mit denen der Vergangenheit, man weiß nie genau, was gerade real ist, was eingebildet. Zumal Fujii die Szenen gern auch mal wieder aufgreift und verändert, sodass nichts von dem, was man hier sieht, wirklich Bestand hat.
Mimicry Freaks bietet daher eine ganz andere Form des Horrors. Während inhaltliche Vergleiche zu bekannten Kollegen durchaus auf der Hand liegen, allein schon des Waldhütten-Settings wegen, verliert man in den oft schnell geschnittenen und mit eigenwilligen Farben angereicherten Schrecksekunden bald die Orientierung. Mit den Figuren unterwegs zu sein, ähnelt mehr einem Traum als einer Geschichte, wenn nichts verlässlich ist – nicht Ort, nicht Zeit, nicht Identität. Und doch ist der Film nicht allein willkürlich. Stattdessen verbindet Fujii seinen Ausflug in die lokale Hölle mit einem Abstieg in die menschlichen Abgründe, über die man noch lange nachdenken kann. So oder so ist der Beitrag vom Japan-Filmfest Hamburg 2020 eine ganz eigenwillige Seherfahrung, nach der man eine Zeit braucht, um sich zu sammeln und den wilden Mix aus Eindrücken zu verarbeiten.
OT: „Chô-gitai ningen“
Land: Japan
Jahr: 2019
Regie: Shûgô Fujii
Drehbuch: Shûgô Fujii
Musik: Kenji Ueda
Kamera: Shûgô Fujii
Besetzung: Tatsuji Sugiyama, Riku Enomoto, Takako Sakai, Tomoya Mochizuki, Hitomi Kawano, Daiki Tanaka
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